Der saudische König, Abdullah hat im vergangenen Monat ein Gesetzesdekret erlassen, nach dem die Zugehörigkeit, Mitarbeit, oder auch nur der Kontakt zu Terrorgruppen, sowie deren Förderung durch Geld oder Propaganda mit Gefängnisstrafen bis zu zwanzig Jahren verboten werden sollte. Die Muslimbrüder waren schon damals als Terrorgruppe definiert worden. Eine Kommission erhielt die Aufgabe festzulegen, welche anderen Gruppen ebenfalls unter diesen Begriff fallen sollten.
Die Kommission hat nun bekannt gegeben, dass die in Syrien kämpfenden Gruppierungen Nusra-Front und ISIS von Saudi-Arabien als Terrorgruppen eingestuft werden. Das gleiche geschieht mit den Houthi, welche heute weite Gebiete in Nordjemen beherrschen, desgleichen einer Hizbullah Gruppierung (mit dem gleichen Namen wie jene in Libanon), die unter der schiitischen Minderheit in Saudi Arabien besteht. Als Terroristen gelten darüber hinaus, sagte die Kommission, alle jene Personen, die gegen das Regime in Saudi-Arabien protestieren. Diese Überdehnung des Begriffs Terrorismus hat scharfe Kritik durch Amnesty International hervorgerufen. Die Organisation äusserte die Befürchtung, dass auf diesem Wege alle Kritik am Regime als Terrorismus eingestuft werden könnte.
Furcht vor einer neuen Welle des Terrors
Saudi Arabien hat besondere «Sicherheitsgerichte», die seinerzeit eingesetzt wurden, um die Terrorkampange zu bekämpfen, welcher das Königreich in den Jahren 2003 bis 2006 ausgesetzt war. Sie haben soeben drei Todesurteile über damalige Terroristen verhängt.
Nach Schätzungen des saudischen Innenministeriums kämpfen zur Zeit gegen 1’200 saudische Untertanen in Syrien in den Reihen der dortigen Rebellengruppen, die meisten von ihnen vermutlich bei ISIS und Nusra-Front. Diese erhielten eine Frist von 15 Tagen, innerhalb derer sie nach Saudi-Arabien zurückkehren sollen, wenn sie Gefängnisstrafen vermeiden wollen. Die saudischen Behörden und Prediger hatten schon vor diesen Strafankündigungen gegen die Teilnahme von saudischen Untertanen an den Kämpfen in Syrien Stellung genommen. Doch sowohl Kämpfer wie auch Gelder waren den genannten Gruppen aus Saudi-Arabien und aus den anderen Erdölstaaten am Golf zugeflossen.
Dass das Königreich nun versucht, diesen Entwicklungen entgegenzutreten, nachdem es sie lange Zeit offenbar stillschweigend geduldet hatte, hängt wohl damit zusammen, dass auch Riad erkennen musste: Der syrische Bürgerkrieg wird noch lange andauern. Zuvor hatte wohl die Illusion vorgeherrscht, er werde bald mit dem Sturz Assads zu Ende gehen. Je länger er aber dauert und je mehr Jihadisten er in seinen Bann zieht, desto gefährlicher werden für Saudi-Arabien selbst die aus den Kämpfen zurückkehrenden Terroristen, die sich selbst als Jihadisten sehen und geneigt sein dürften, ihre Aktivitäten im Königreich weiterzuführen.
Lehren aus der ersten Welle
Dies hat das Königreich schon einmal erprobt, als in den Jahren nach 1980 die arabischen Kämpfer im Jihad gegen die Russen aus Afghanistan in ihre Ursprungsländer zurückkehrten. Sie wurden zu Quellen des Wissens um Explosiva und zu Gründern der unterschiedlichen Terrorgruppen, die auch gegen das Königreich selbst vorgingen. Bin Laden, leitete eine von ihnen, die sich internationalen Zielen zuwandte. Andere beschränkten ihre Aktivität auf Saudi-Arabien selbst. Sie wurden von den saudischen Sicherheitsdiensten zwischen 2003 und 2007 in einer Kampagne eliminiert, in deren Verlauf Tausende von Personen festgenommen wurden.
Die Wiederholung einer derartigen Situation möchte das Königreich offenbar vermeiden, indem es nun versucht, Schranken gegen die Teilnahme seiner Untertanen an den Kämpfen in Syrien zu errichten.
Politische Koordination im Golfrat
Offenbar versucht das Königreich auch, die anderen Mitglieder des Kooperationsrates am Golf dazu zu veranlassen, ihre Politik mit der eigenen zu koordinieren. Schon im vergangenen November wurde ein Vertrag aufgestellt und von allen sechs Mitgliederstaaten des Rates unterzeichnet, der vorsah, keiner der Mitgliedstaaten solle Gruppen oder Individuen unterstützen, welche die Sicherheit und Stabilität der Golfstaaten gefährden, «sei es direkt durch Wirken der Sicherheitskräfte, sei es indirekt durch politische Einflussnahme. Auch feindliche Medien sollen nicht unterstützt werden.»
Der genaue Wortlaut dieses Vertrages wurde nur auszugsweise bekannt. Dass es ihn gab, wurde deutlich, als drei der Bundesstaaten, Saudi-Arabien, Bahrain und die Arabischen Emirate, in der vergangenen Woche ihre Botschafter überraschend aus Qatar abzogen. Sie begründeten ihren Schritt damit, dass Qatar den erwähnten Koordiantionsvertrag zwar unterschrieben habe, sich aber nicht an ihn halte. Qatar bestritt dies. Seine Vertreter erklärten, sie hielten sich an den Vertrag, der sich auf die Golfpolitik beziehe. Doch in Bezug auf seine (weiter gefasste) Aussenpolitik sei Qatar souverän.
Kuwait beliess seinen Botschafter in Doha mit der Begründung, Kuwait wolle als Vermittler auftreten und versuchen, den Riss innerhalb des Golfrates wieder zu heilen. Oman zog den seinen ebenfalls nicht zurück. Die Politk Omans unterscheidet sich von jener der anderen Mitgliedstaaten zum Beispiel im wichtigen Punkt Iran. Oman sucht mit Iran gute Beziehungen zu unterhalten und hat mitgeholfen, die Gespräche zwischen Teheran und Washington in Gang zu bringen.
Für und gegen die Muslimbrüder
Zwischen Qatar und Saudi-Arabien bestehen alte Rivalitäten und Spannungen, die sich verstärkt haben, seitdem das kleine aber schwerreiche Qatar eine eigene aussenpolitische Linie verfolgt. Diese lief jener von Saudi-Arabien entgegen im Bezug auf die Muslimbrüder. Qatar suchte diese zu fördern und unterhielt gute Beziehungen zu Mursi, als dieser ein Jahr lang in Kairo herrschte.
Saudi-Arabien jedoch fürchtet die Brüder, weil sie Islam und Demokratie anstreben und behaupten, diese seien vereinbar, während Riad die Monarchie mit dem Islam kombiniert und der Ansicht ist, nur sie könne mit dem Islam zusammenleben. Die Meinung der Brüder erscheint den saudischen Herrschern unzulässig, gerade weil sie islamisch sein will, aber nicht zugleich einen absoluten Herrscher an der Spitze des Staates als notwendig erachtet. Qatar hingegen setzte auf das Modell der Islamischen Demokratie – allerdings nur ausserhalb Qatars.
Nach dem Sturz Mursis hat die Halbinsel am Golf manchen der Brüder Asyl geboten. In Qatar wohnhaft ist seit geraumer Zeit der sehr bekannte Islamprediger Yussuf Qaradawi, der bei dem Sender «Al-Jazeera» eine permanente Plattform besitzt. Qaradawi neigt den Brüdern zu und tritt für sie ein. In seinen jüngsten Predigten soll er soweit gegangen sein, dass er die Herrscher von Saudi-Arabien angriff und «beleidigte». Dies gab Anlass zu besonderem Zorn auf seine Beschützer in Qatar. Wahrscheinlich erwarteten die Saudis, dass Qatar ihn im Namen des Koordinationsvertrages entweder ausweise oder mindestens zum Schweigen bringe.
Weil auch die Offiziere in Kairo bittere Feinde der Brüder sind, hat Saudi-Arabien sie nach ihrem Eingriff, der Mursi zu Fall brachte, mit Zusagen von Milliarden unterstützt. In Kairo wird derzeit mehreren Journalisten von al-Jazeera der Prozess gemacht. Ihnen wird Zusammenarbeit mit den Brüdern vorgeworfen. Sie erklären, sie hätten nur ihre Arbeit getan und in deren Verlauf auch über die Brüder informiert. Qatar ist Heimat und Standort von al-Jazeera.
Eine neue Konstellation in Syrien?
Wie die neuen Terrorgesetze Saudi-Arabiens sich auf die Kämpfe in Syrien auswirken werden, bleibt abzuwarten. Nusra und ISIS müssen wohl mit künftig verminderten Einnahmen rechnen. Die Feinde von ISIS von der «Islamischen Front», die heute mit ISIS in Kämpfen stehen, können wohl auf weitere Hilfe aus den Golfstaaten zählen. Sie stehen nicht auf der saudischen Liste der Terroristen, obwohl es sich bei ihnen auch um «Jihadisten» handelt. Auch sie sind Kämpfer im Heiligen Krieg mit dem Ziel, einen islamischen Staat zu errichten.
Die Nusra-Front, die mit ISIS auf die saudische Terrorliste gesetzt wurde, steht wie die «Islamische Front» auf Kriegsfuss mit ISIS. In der vergangenen Woche hatte Nusra ISIS aufgefordert, sich entweder einem islamischen Schiedsgericht zu stellen, das die Streitpunkte zwischen den beiden Gruppen entscheiden sollte, oder aus den Provinzen Idlib und Aleppo abzuziehen. ISIS hat das zweite getan und seine Kämpfer Richtung Osten ins Euphrat-Tal zurückgezogen. Dort beherrscht ISIS die Stadt Raqqa und beabsichtigt offenbar, sie als territoriale Basis zu halten und zu verteidigen.
ISIS im Irak
ISIS steht auch im Irak in der Defensive. ISIS-Kämpfer haben sich seit Beginn des Jahres in den beiden Städten der irakischen Anbar-Provinz halten können, Falludscha und Ramadi, obwohl beide von den irakischen Truppen umzingelt sind. Teile der sunnitischen Stämme von Anbar stehen offenbar auf ihrer Seite.
In den letzten Tagen verlautete von Seiten des irakischen Generals Ghrawi, der in Mosul die dritte Division der irakischen Armee kommandiert, seine Truppen hätten die südlichen Teile der Stadt von ISIS Aktivisten «gereinigt». Sie hätten «18 Fabriken für Explosivgürtel für Selbstmordbomber und Autobomben» zerstört und 53 Verstecke von Terroristen ausgehoben. Weiter hätten sie 449 Verdächtige festgenommen und 74 Terroristen getötet. 21 Fahrzeuge mit Maschinengewehren und 11 Motorräder seien zerstört worden. Doch der General sagte nicht, ob die Operationen in Mosul zu einem Abschluss gekommen sind, oder ob sie weiter andauern. Erfahrungsgemäss neigen die Sprecher der irakischen Armee dazu, «Siege» zu verkünden, bevor diese endgültig errungen sind.
Saudische Widersprüche im Irak
In Bezug auf den Irak besteht gegenwärtig eine widersprüchliche Haltung in Riad. Die Feinde der Regierung von Bagdad, ISIS und die mit ISIS zusammenarbeitenden sunnitischen Aktivsten, sind nun auch von Riad zu ihren Feinden erklärt worden. Doch die Regierung von Bagdad mit Maliki an der Spitze wurde bisher von Riad abgelehnt, weil sie zu eng an die schiitische Vormacht Iran gebunden schien. Wenn es Riad mit dem Kampf gegen die Terroristen von ISIS nun ernst ist, müsste es seine Beziehungen zu al-Maliki verbessern.
Dass dies möglicherweise geschehen könnte, zeigt die Einladung, die Riad dem iranischen Ministerpräsident Rohani zukommen liess, das Königreich zu besuchen. Rohani hat sie angenommen. Man erwartet, dass sein Besuch nach dem geplanten Eintreffen Barack Obamas in der saudischen Hauptstadt, das auf Ende März vorgesehen ist, stattfinden wird.
Eine Revision der bisherig übermässig misstrauischen Haltung Riads gegenüber Iran und der Befürchtungen über vermeintliche Einkreisung der arabischen Sunniten durch die Schiiten wäre notwendig, wenn die Kämpfe in Syrien und im Irak, in deren Schatten der Jihadismus immer weiter gedeiht, zum Abklingen gebracht werden sollen.