Kontrolle, Aufsicht, Bankenunion, Transaktionssteuer, Verbot von Leergeschäften, Abschalten des Hochfrequenzhandels – die Regierungen der westlichen Staaten haben schon viele Ideen geboren – und beerdigt. Nun kommt aus den USA eine neue Ansage, eine Rückkehr zu besseren alten Zeiten: eine deutliche Heraufsetzung des Eigenkapitals der Banken. Wäre nicht schlecht, zumindest heulen Banker weltweit auf, was immer ein gutes Zeichen ist. Warum das Geschrei? Dafür muss man das Geschäftsmodell des modernen Zockerbanking verstehen.
Der Hebel bringt’s
Ich bin eine Bank, nehme im sogenannten Eigenhandel mein Eigenkapital von 100 Franken in die Hand und mache ein Geschäft. Ich spekuliere auf einen Gewinn von 3 Prozent, denn ich bin eine seriöse Bank und will nicht zocken. Im besten Fall kassiere ich 3 Franken Profit, also eine Eigenkapitalrendite von 3 Prozent. Ist okay, aber nicht wirklich berauschend, und einen Bonus kriege ich dafür auch nicht. Aber he, Geld ist für mich als Bank doch faktisch gratis. Also leihe ich mir 5000 Franken für nix und haue die auch in ein Geschäft. Ich verwende also einen durchaus handelsüblichen Hebel von 50. Mache ich immer noch eher schlappe 3 Prozent Gewinn, sind das 153 Franken. Aber hallo, selbst nach Abzug einiger Unkosten habe ich eine Eigenkapitalrendite von weit über 100 Prozent. Wenn wir nun noch eine beliebige Anzahl Nullen hintendran hängen, kommen wir schnell in den Bereich, in dem Champagnerlaune herrscht und dicke Boni sprudeln.
Das Problem ist nur: Mache ich stattdessen bloss 2 Prozent Verlust, also 102 Franken Miese, dann ist mein Eigenkapital weg, meine Bank ist blank. Schalter zu, Bankrott. Dumme Sache, ausser, ich bin systemrelevant. Dann sage ich «Hilfe», und schon kommt Väterchen Staat und hilft mir mit dem Geld seiner Steuerzahler. Oder weist die Notenbank an, mich mit eigentlich gar nicht vorhandenen, weil frisch gedrucktem Geld zu versorgen. Problem scheinbar gelöst.
Der Dschungel
Nun müssen wir einen kurzen Ausflug in den Dschungel der absolut wahnsinnigen Berechnung der Eigenkapitalquote (also des Verhältnisses von Eigenkapital und Bilanzrad) moderner Banken unternehmen. Und das Zauberwort «Risikogewichtung» einführen. Eine Bank sagt: Wir müssen doch wohl nicht für alle Kredite in unseren Büchern gleich viel Eigenkapital für den schlimmsten aller Fälle, nämlich dass der Kredit hops geht, vorhalten. Beispielsweise ein Staatsschuldpapier ist doch eine bombensichere Sache, eigentlich Bargeld im Tresor. Na ja. Aber wie auch immer, das gilt ja für alle Formen von ausgeliehenem Geld, und die Berechnung des risikogewichteten Eigenkapitals ist eine verdammt knifflige und komplizierte Sache. Riesen-Algorithmen nötig, Supercomputer, Nerds, nichts für Anfänger.
Deswegen wird sie, leider kein Witz, von allen staatlichen Kontrollorganen den Banken selbst überlassen. Die kommen dann auf einen bunten Strauss von Zahlen, nach Basel 2,5 oder Basel 3, mit «Swiss Finish» oder ohne, aber eines ist so sicher wie eine Bankgarantie: Werden 6, 9, oder gar 19 Prozent risikogewichtete Eigenkapitalquote verlangt: Die Banken erfüllen diese Anforderung spielend. Sind bestens aufgestellt, bereits heute so kapitalisiert, wie sie es eigentlich erst in zwei, drei, fünf Jahren sein sollten. Super Sache.
Blöd nur, dass beispielsweise in Europa immer wieder Banken, nicht nur in Zypern, Griechenland oder Spanien, hops gehen oder mit Multimilliarden gerettet werden müssen, obwohl sie sogar kurz zuvor einen staatlichen «Stresstest» mit Bravour bestanden haben. Mit anderen Worten: All diese risikogewichteten Eigenkapitalberechnungsmodelle sind Unfug. Pipifax. Schrott. Untauglich.
Die Komplizenschaft
Wenn ein Staatsschuldpapier in den Büchern einer Bank absäuft, weil beispielsweise eine freche Rating-Agentur seinen Wert auf Ramsch stellt, dann haben Staat und Bank ein Problem. Der Staat sowieso, aber die Bank auch, weil sie ja selbst risikogewichtet dieses Papier mit mehr Eigenkapital unterlegen müsste. Hat sie das nicht, säuft sie selbst ab. Das wiederum ist bekanntlich alternativlos schlimm, wenn es sich um eine sogenannt systemrelevante Bank handelt. Also sagt der Staat: Okay, das müssen wir unbedingt verhindern, weil Weltuntergang und um Himmels willen. Also darfst du, liebe Bank, dieses Schrottpapier zur Notenbank tragen, die akzeptiert es als Sicherheit für fast die gleiche Menge Bargeld, alles wieder im Lot. In Wirklichkeit ist das eine elende Komplizenschaft zwischen Privatbanken und Staaten, echt kriminell.
Zurück zum Eigenkapital
Nun spekulieren Banken bekanntlich nicht nur mit Staatspapieren, sondern zocken so ziemlich mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist und sich Derivat nennen lässt. Mit allen Schikanen, die dem modernen High-tech Financial Engineering so einfallen. Und mit Hebeln, über die Archimedes in Entzückensschreie ausbrechen würde. Dagegen gäbe es ein einfaches Mittel. Die sogenannte Leverage Ratio, also das richtig harte Eigenkapital (beispielsweise in Form des Börsenwerts), das eine Bank genauso einfach wie jede Bude in der Realwirtschaft ausrechnen kann, im Verhältnis zur Bilanzsumme sollte gesunde 30, 40 Prozent ausmachen. Wie bei den meisten Firmen ausserhalb des Finanzzirkus auch.
Da heulen die Banker auf. So könnten sie die Wirtschaft nicht mehr mit Krediten versorgen. Müssten schlagartig mehr Zinsen verlangen, Kapital aufnehmen, keine Dividenden mehr ausschütten. Tiefste Rezession, Krise, Weltuntergang, unmöglich. Alles Unsinn. War vor wenigen Jahrzehnten Standard im seriösen Banking. Ist problemlos machbar. Wieso dann das Geschrei? Ganz einfach; wir erinnern uns: je weniger Eigenkapital, desto grösser der Hebel, desto mehr Eigenkapitalrendite, desto mehr Bonus, Kohle, Multimillionengehalt. Das wäre dann tatsächlich weg. Aber das könnten wir Steuerzahler verschmerzen. Locker.