Seit dem 4. August demonstrieren in Sanaa die zaiditischen Huthi. Sie beabsichtigten anfangs gewaltlos zu demonstrieren, doch sie brachten ihre Waffen mit in die Hauptstadt und legten in den nördlichen Vororten bewaffnete Lager an. Die Demonstrationen forderten, die angeordneten Preissteigerungen für Benzin, Diesel, Butangas usw., die sehr unpopulär waren, rückgängig zu machen. Die Verteuerung ging darauf zurück, dass der Staat versuchte, die Subventionen für diese Produkte abzubauen.
Huthis bieten dem Präsidenten die Stirn
Die Huthis benützten diese Gelegenheit, um in der Bevölkerung von Sanaa ein möglichst weites Echo zu finden. Was ihnen auch gelang. Doch ihre Agenda ging weiter. Die Protestierenden gingen im wesentlichen darauf aus, ein Mitspracherecht in der jemenitischen Regierung zu erlangen, und dies nicht nur als Randfiguren sondern in entscheidenden Positionen. Ein Kompromissangebot des Präsidenten al-Hadi bot eine Teilverbilligung der Petroleumprodukte und eine Teilbeteiligung der Huthis an der Regierung an. Doch diese schlugen das Angebot sofort ab, weil es ihnen in beiden Hauptfragen nicht weit genug ging.
Daraufhin ordnete der Präsident Schläge der jemenitischen Luftwaffe in der Provinz des Inneren, Jawf, an. Dort spielen sich permanent Kämpfe ab zwischen den Huthis und Stämmen, die mit Islah verbündet sind. Dies kostete Todesopfer unter Huthi-Kämpfern – aber, wie immer in solchen Fällen, auch unter Zivilisten.
Die Huthis haben in den nördlichen Regionen vor Sanaa mobil gemacht. Sie bemächtigten sich der Vororte in Wadi Dahran und drangen dann entlang der Strasse, die zum Flughafen von Sanaa führt, in das Innere der Hauptstadt vor. Der Luftverkehr musste eingestellt werden. Auch belagerten sie die Islah-Universität, die in jenen Teilen der Haupstadt liegt. Dies ist eine zur «Universität» ausgebaute Koranschule der Fundamentalisten. Als ihr Rektor waltet Abdel Majeed Zindani, der wichtigste der Islah-Führer. Zudem beschossen die Huthis die staatliche Fernsehstation. In Sanaa kam es zu Elektrizitätspannen, weil die Leitungen, die aus dem Jawf kommen (dort befinden sich die Erdölvorkommen des Landes) durch die dortigen Kämpfe unterbrochen wurden.
Huthi-Sympathisanten in der Armee
Jementische Journalisten berichten, Hunderte von bewaffneten Kämpfern befänden sich nun im Inneren Sanaas. Die Kämpfe spielen sich bisher zwischen Islah-Anhängern und Huthi-Zaiditen ab. Die Armee hat nicht eingegriffen. Der Grund dafür scheint zu sein, dass es im Offizierskorps und bei den Soldaten viele Zaiditen gibt, die eher mit den Huthis als mit dem Staat sympathisieren, in welchem Islah eine bedeutende Rolle spielt.
Es gibt Berichte darüber, der Staat habe eine Verschwörung von dreissig Pro-Huthi-Offizieren aufgedeckt. Sie seien festgenommen worden. Doch offenbar ist der zaiditische Einfluss innerhalb der Armee weiter verbreitet als diese angebliche Verschwörung. Wenn die Armee nicht eingreift, hält sich – wie in allen arabischen Staaten – auch die Polizei zurück. Sie weiss, dass sie alleine nicht in der Lage ist, ernsthafte Unruhen zu bewältigen.
Zurück zur alten Koalition?
Präsident al-Hadi hat zur Versöhnung aufgerufen. Doch in seinen Augen bedeutet das offenbar nicht eine Versöhnung mit den Huthis, sondern die Rückkehr zu einer Koalition wie zur Zeit des abgesetzten Präsidenten, Ali Saleh Abdullah. Deren beide Hauptgruppen trennten sich im Verlauf der seit 2011 stattfindenden Volksproteste gegen das Saleh-Regime.
Die Koalition bestand aus dem Volkskongress, der Partei des ehemaligen Präsidenten mit ihren Verbündeten unter den Stämmen und den Offizieren, immer noch von Ali Saleh selbst angeführt, und einer Gegenallianz ebenfalls mit ihren verbündeten Stämmen und Militärs, angeführt von Islah. Diese zweite hatte sich unter Ali Saleh Abdullah als zahme Opposition verhalten, war jedoch zur Zeit der Volksdemonstrationen eine echte Rivalin der Präsidialen-Partei geworden.
Al-Hadi möchte nun, dass die beiden sich wieder zusammenfinden. Beide Hauptgruppen bildeten paritätisch die Regierung, deren Entlassung Hadi den Huthis vorgeschlagen hatte. Sie blockierten einander dort gegenseitig, so dass diese Regierung sich als wenig handlungsfähig erwies. Ob sie nun als entlassen gilt oder ob sie angesichts der Ablehnung der Huthis weiter besteht, ist unklar. Jedenfalls gibt es noch keine neue Regierung.
Eine Versöhnung der beiden Hauptgruppierungen würde die Zustände wiederherstellen, die unter Ali Saleh bestanden, nur eben unter dem gegenwärtigen Nachfolgepräsidenten. Doch die Huthis üben Druck aus, um dies zu verhindern.
Rettungsversuche der letzten Stunde
Es gibt auch Gespräche zwischen dem Uno-Bevollmächtigten für Jemen, Benomar, und dem Chef der Huthis, Abdel Malek al-Huthi. Der Uno-Abgsandte versucht einen drohenden Bürgerkrieg konfessioneller Färbung – Zaiditen gegen Sunniten – abzuwenden. Ein solcher wäre natürlich das Schlimmste, was das bitter arme Land erleiden könnte. Die Grenze zwischen mehrheitlich zaiditischer und mehrheitlich sunnitischer Bevölkerung verläuft mitten durch Sanaa. Nördlich wohnen die Zaiditen, südlich die Sunniten. Die belagerte sunnitische Hochschule ist eine Ausnahme; sie befindet sich in den nördlichen Teilen.
Auch Saudi-Arabien und die Golfstaaten suchen unbedingt einen neuen Waffengang zu verhindern. Die Saudis und ihre Freunde sind dabei in einer verzwickten Lage, denn die Muslimbrüder gelten ihnen als Feinde. Islah steht ihnen sehr nahe. Doch auch die Zaiditen sehen die Saudis als Feinde. Sie verdächtigen Iran, ihnen mit Geld und Waffen zu helfen.
Jementische Journalisten vergleichen die Huthi-Bewegung manchmal mit Hizbullah in Libanon. Sie vermuten, die Huthis könnten eine ähnliche politische Rolle anstreben, wie sie Hizbullah in Libanon besitzt, nämlich die einer Sperrminorität in Parlament und Regierung, so dass ohne ihre Zustimmung in beiden Instanzen keine Entschlüsse zustande kämen.