Sollte sich herausstellen, dass die Ukraine für den Angriff auf das russische Munitionsdepot auf der Krim verantwortlich ist, könnte dies eine «dramatische Eskalation» bedeuten. Dies schreibt der Moskauer BBC-Korrespondent Will Vernon. Doch vieles ist unklar.
Die Militärbasis Saky in der Nähe von Nowofedoriwka im Westen der Krim ist am Dienstag von mindestens drei Explosionen erschüttert worden. Bilder, die in den sozialen Medien zirkulieren, zeigen eine riesige Rauchwolke.
Laut der New York Times wurde mindestens ein russisches Mig-Kampfflugzeug schwer beschädigt. Eine Person soll getötet worden sein, 14 verletzt.
Nach Angaben des ukrainischen Luftwaffenkommandos wurden bei den Explosionen neun russische Kampfflugzeuge zerstört. «Nach den Videos zu urteilen, die wir in den sozialen Netzwerken gesehen haben, ist klar, dass das Munitionsdepot getroffen wurde», sagte Luftwaffensprecher Jurij Ihnat dem ukrainischen Fernsehen. Su-34 SM-Bomber, Su-24-Flugzeuge, Il-76 und andere seien getroffen, sagte er.
Touristen, die in der Nähe am Strand lagen, sprachen von 12 Explosionen. Nowofedoriwka und Saky liegen etwa 50 Kilometer nördlich des Hafens von Sewastopol, dem Sitz der russischen Schwarzmeerflotte, die die ukrainischen Schwarzmeer-Küste blockiert.
Es gibt drei Möglichkeiten
- Ein russisches Munitionsdepot ist ohne Fremdeinwirkung explodiert. Dies ist die Version, die zurzeit Moskau verbreitet.
- Oder: Ukrainische Raketen haben den Luftwaffenstützpunkt angegriffen. Die Ukraine verfügt allerdings nur über wenige Waffen, die die Halbinsel erreichen können. Ukrainische Kampfflugzeuge würden Gefahr laufen, von der russischen Flugabwehr abgeschossen zu werden. Verfügt die Ukraine über eine «Geheimwaffe»? Das ist reine Spekulation.
- Dritte Möglichkeit: Ukrainische Untergrundkämpfer haben den Luftwaffenstützpunkt angegriffen. In jüngster Zeit war es in dem von Russland kontrollierten Süden zu mehreren solchen Attentaten gekommen.
- Die Ukraine dementiert offiziell, etwas mit den Explosionen zu tun zu haben. Präsident Wolodimir Selenskyj erwähnte die Explosionen am Dienstagabend nicht. Doch er sprach über die Krim. Erst wenn die seit 2014 von Russland besetzte Halbinsel wieder ukrainisch sei, sei der Krieg zu Ende. «Die Krim ist ukrainisch, und wir werden sie niemals aufgeben», sagte Selenskyj.
Sollte die Ukraine doch hinter dem Angriff stehen, könnte dies ein Wendepunkt in den Auseinandersetzungen sein.
«Geräte aus ukrainischer Produktion»?
Die Saky-Militärbasis spielt in diesem Krieg eine wichtige Rolle. Von hier aus werden regelmässig russische Angriffe gegen die Ukraine geflogen. Laut unbestätigten Medienberichten erfolgte der Angriff mit «Geräten aus ukrainischer Produktion».
Russland hatte die ukrainische Krim 2014 besetzt und anschliessend eine Volksabstimmung durchgeführt. Dabei sprach sich eine überwältigende Mehrheit der Bewohner und Bewohnerinnen für einen Anschluss der Halbinsel an Russland aus. Die internationale Gemeinschaft bezeichnete das Referendum als «Farce». Die Annexion der Krim gilt für viele als Beginn des Krieges zwischen der Ukraine und Russland.
«Der Tag des Jüngsten Gerichts»
Dass die Ukraine offiziell jede Verantwortung für die Explosionen zurückweist, ist verständlich. Für Russland würde ein Angriff auf die Krim das Übertreten einer Roten Linie bedeuten. Dmitri Medwedew, der sehr gesprächige frühere russische Präsident, hatte damit gedroht, dass nach einem Angriff auf die Krim «der Tag des Jüngsten Gerichts unmittelbar bevorsteht».
Schon einmal hatten ukrainische Kräfte offenbar Ziele auf der Krim im Visier. Der russische Statthalter auf der Halbinsel hatte erklärt, dass ukrainische Streitkräfte im vergangenen Juni eine Ölplattform in den Gewässern der Krim beschossen hätten. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben. Ende Juli hatte zudem eine Drohne eine russische Marineeinrichtung in Sewastopol getroffen.
Blamage für Putin?
Doch sollte sich herausstellen, dass die Ukraine für die Explosionen in Saky verantwortlich ist, wäre dies der erste grosse ukrainische Angriff auf die Krim.
Dass die Russen die Explosionen herunterspielen, ist nicht verwunderlich. Die Krim gilt als «heiliges russisches Territorium», das Putin 2014 zurückerobert hatte. Gelängen der Ukraine Angriffe auf dieses «historisch russische Gebiet», wäre dies ein Schlag für den Kreml-Herrscher – sozusagen ein Stich ins Herz. Deshalb wäre zu befürchten, dass die russische Reaktion sehr hart ausfallen könnte.
«Fünfte Kolonne»
Auch wenn die offizielle Ukraine nichts mit den Explosionen zu tun hat, so besteht die Möglichkeit, dass ukrainische Partisanen dahinterstehen. In dem von Russland besetzen Süden war es in jüngster Zeit zu mehreren Anschlägen gekommen, vor allem in der Stadt Cherson, die Russland quasi annektiert hat. Der vom Kreml eingesetzte Bürgermeister der Stadt wurde ermordet. Mehrere russisch-freundliche Beamte entgingen nur knapp Attentaten.
Ukrainische Medien erklären, dass in den von Russland dominierten Gebieten in der Süd- und Ostukraine eine «fünfte Kolonne» aufgebaut werde. «Selbst wenn die Russen einen Teil unseres Staates besetzen», erklärte ein Partisan, «sollen sie ja nicht glauben, sie könnten in Frieden leben.»