In der Politik wie im Journalismus braucht es nicht nur eine kurze Reaktionszeit; auch ein langes Gedächtnis wäre nötig. Oder besser nicht? Vielleicht fühlte man sich besser, wenn es einem so ginge wie Bill Murray in der Zeitschleife der Filmkomödie «Und täglich grüsst das Murmeltier», in der jeden Tag der gestrige Tag ohne Vergangenheit wieder von neuem beginnt.
Ennui beim Déjà-vu
Denn hört und sieht und liest man alle die Diskussionen und Analysen über Beschaffung oder Nicht-Beschaffung von 22 Kampfflugzeugen, die nicht «Phantom» heissen, weil es sie eigentlich noch gar nicht gibt, sondern «Gripen», obwohl sie noch nicht greifbar sind, überkommt einen ungläubiges Staunen, unstilbares Gähnen und vor allem unerträglicher Ennui. Denn es ist alles schon da gewesen, irgendwie. Man sehnt sich geradezu nach Nenas 99 Luftballons.
Die Geschichte der Schweizer Luftwaffe und der Fliegereinkäufe ist skurril und bunt. Im Ersten Weltkrieg rückten die meisten der ersten neun Schweizer Militärpiloten in Bern mit den eigenen Maschinen und Mechanikern ein, und für die anderen wurden an der Landesausstellung kurzerhand die ausgestellten Flugzeuge requiriert.
Im Zweiten Weltkrieg flogen Schweizer die gleichen Messerschmitts wie die deutschen Piloten, die den Luftraum verletzten. Dann kamen die britischen Düsenflieger namens Vampire, Venom und Hunter gleich zu Hunderten, und schliesslich gab es die Affären.
Der hausgemachte P-16 fiel beim Probeflug in den Bodensee. 1966 stürzte der knorrige Weinbauer und Verteidigungsminister Paul Chaudet über die vertuschten Mehrkosten der Mirage III. Der Corsair wurde trotz unterschriftsreifen Vertrags nicht gekauft, dafür aber 30 Occasions-Hunter. Ein ähnliches Szenario wird auch gegenwärtig herumgeboten.
Teure Schweizer Marotten
1978 kamen die Tiger, die heute noch fliegen, und 1992 stritt sich die Schweiz unter Anführung der GSoA über den gewählten Typ F/A-18 samt Weiterentwicklungen. Ich konnte nachweisen, dass der damalige Verteidigungsminister die laufende Teuerung nicht kommuniziert hatte. Er wurde noch zorniger, als ein deutscher SP-Militärexperte, wiederum auf der Frontseite des «Blick», der Schweiz riet, statt dem F/A-18 einige Staffeln neuester Kampfjets wie die Mig zu kaufen, die nach dem Ende der Sowjetunion unbenutzt herumstanden und pro Stück statt hundert nur etwa sieben Millionen kosten würden. Man müsste nur gute Schweizer Elektronik einbauen, meinte er.
In der Schweizer Armee verteuern zwei Marotten die Beschaffung von Kriegsgerät: Die Offiziere der betroffenen Waffengattung werden auf positive Äusserungen über den Typ eingeschworen, für den sich das Parlament entschieden hat, selbst wenn sie ihn für falsch halten. Denn sie wissen: Der oder keiner. Und in der Not nimmt man halt auch das ungeeignete Gerät.
«Wir brauchen kein neues Flugzeug mit den Attributen Fight/Attack wie den F/A-18, noch dazu ein Marineflugzeug mit zwei Triebwerken», sagte mir damals ein Goldbetresster in der Flieger- und Fliegerabwehr-Gemeinde. «Wir würden ein leichtes Jagdflugzeug wie den F-16 brauchen.» Aber er wollte partout nicht mit seinem Namen zitiert werden, um nirgends in Ungnade zu fallen. Schliesslich wollte er die Beschaffung des falschen Fliegers nicht vermasseln. Und mit seiner Verweigerung von Klartext war diese Geschichte leider gestorben.
Helvetisierung
Die zweite Marotte, die alles Kriegsgerät gewaltig verteuert, ist die Sucht nach «Helvetisierung». Was von anderen Armeen problemlos ab Stange gekauft und eingesetzt wird, muss bei uns unbedingt etwas «Eigenes» haben. So war es bei der Mirage III, die eher optimistisch ab Fabrik berechnet worden war und nachher fast doppelt so viel kostete. Das Budget samt Nachtragskredit reichte nur für 57 statt für 100 der eleganten Flugzeuge.
So ging es in den Achtzierjahren auch beim Leopard-Panzer, der relativ günstig hätte beschaffen können, weil die deutschen Hersteller ganz happy gewesen wären, vor der endgültigen Einstellung der Produktion zu einem guten Preis noch ein paar Dutzend dieses Auslaufmodells vom Band laufen zu lassen. Aber nein, der Tank musste helvetisiert werden, in der Schweizer Waffenschmiede, und kostete dann ein Vermögen zusätzlich. Als Feigenblatt dient jeweils das «Gegengeschäft» für die einheimische Wirtschaft, ob es nun lukrativ ist oder auch nicht.
Bis 1998, als die Schweizer Luftwaffe in und mit Nato-Staaten zu trainieren begann, hatte sie sogar ihre eigene Funksprache, genannt «Bambini-Code», mit lustigen, meist italienischen Wortbildern. («Bambini!» lautete die Durchsage «An alle!») Nun wird der internationale englische Code benützt. Dafür müssen die Schweizer Piloten statt der gewohnten metrischen Masse ganz konform die Höhe in Fuss und die Entfernung in Meilen benennen.
Kurz und knapp: «Nein.»
Nun, ob der gegenwärtige Verteidigungsminister billige Frauenwitzchen macht, um nach seinem Gusto den Gripen dem Volk schmackhaft zu machen, ob der schwedische Botschafter ungehörig die Werbetrommel rührt, ob die Abstimmung am 18. Mai durchfällt oder nicht: Die alles entscheidende und allseits polarisierende Frage bleibt, ob die Schweiz den Gripen aus Schweden überhaupt braucht, sobald er denn gebaut und lieferbar sein wird?
Braucht sie überhaupt mickrige 22 zusätzliche neue Kampfjets? Soll die Schweiz eine flächendeckende Luftpolizei unterhalten, die dann nur zu Bürozeiten operationell ist? Im viel zitierten Ernstfall wurde das Schweizer Militär kürzlich von den Luftraumüberwachern der Nachbarn wegen eines nach Genf entführten äthiopischen Airliners alarmiert («en cas de guerre sonnez trois fois»).
Ein Ehemaliger, früher einmal zivil in der VBS-Verwaltung hoch oben tätig und damals als Hardliner geltend, antwortete auf die Frage: «Brauchen wir ein neues Kampfflugzeug?» kürzlich kurz und knapp: «Nein.»
Nato toleriert keinen Angriff auf die Schweiz
A propos Luftraumüberwachung und Luftpolizei: Vor vielen Jahren besuchte ich während einer daheim tobenden Debatte um die Beschaffung eines neuen Armeeflugzeugs mit dem Argument der Luftraumüberwachung und des Schutzes der eigenen Lufthoheit in Deutschland amerikanische Stützpunkte der Air Force. Ich wurde gebrieft und herumgeführt, besichtigte die riesigen Überwachungsanlagen, die heute wohl total veraltet wären, man sprach schon über AWACS-Überwachungsflugzeuge, es gab interessante Gespräche.
Auf meine Frage, ob die Nato darauf angewiesen sei, dass die neutrale Schweiz ihren eigenen Luftraum schütze und überwache, lachte der Offizier mit den Flieger-Schwingen auf der Uniform und fragte zurück: «Wissen Sie, wie gross der Schweizer Luftraum von hier aus gesehen ist?» Er formte mit Daumen und Zeigefinger ein winziges Ringlein. «Like a dime.». So klein wie ein amerikanisches Zehn-Cent-Stück. «Don't you worry», sagte er fröhlich. «Diesen Dime überwachen wir automatisch gleich mit. Und befürchten Sie bloss nicht, dass wir einen feindlichen Luftangriff auf die Schweiz mit Flugzeugen oder Raketen einfach so hinnehmen würden. Das wäre viel zu nahe bei uns.»
Tja. Alles hat zwei Seiten. Auch ein Dime.