Michael Wolff, der in seinem Medien-Blog für den „Guardian“ mitunter das Gras wachsen hört, hat die Zeichen richtig gedeutet. Die Meldung, wonach die Washington Post Company ins Ofengeschäft einsteige, nahm der Biograf Rupert Murdochs im Juli zum Anlass, den Grahams zu raten, die „Post“ zu verkaufen und aus dem Zeitungsgeschäft auszusteigen.
Stark geschrumpfte Redaktion
Donald Graham, der CEO des Unternehmens, sei zwar stets ein loyaler Besitzer des Blattes gewesen, diagnostizierte Wolff. Der 68-Jährige müsse aber auch an die Bedürfnisse der Familie und der Aktionäre denken: „Ein notwendiger Schritt dazu ist es, die Seinen aus dem Zeitungsgeschäft herauszulösen.“
Nun aber, so schloss Wolff, tendierten Besitzerfamilien zur Überzeugung, sie hätten sowohl gottgegebene Talente als auch das Recht, Medienunternehmen zu führen. Deshalb wäre es nur vernünftig und eine sozusagen salomonische Lösung, aus dem Geschäft auszusteigen zu einem Zeitpunkt, da das Umfeld belastend und kompliziert geworden sei. Schon 2009 hatte Michael Wolff in einem Artikel für „Vanity Fair“ den Fall des Hauses Graham kommen sehen.
Die „Washington Post“ hatte damals im ersten Halbjahr einen Verlust von 86,3 Millionen Dollar geschrieben und die Redaktion innert sechs Jahren von über 900 Mitarbeitern auf rund 500 schrumpfen lassen. Anders als die „New York Times“, die praktisch überall sparte, nur bei der 1300-köpfigen Redaktion kaum, beschnitt die „Post“ das Blatt radikal, löste Büros sowie ganze Ressorts auf, entliess Mitarbeiter.
Katherine Weymouth – ein Grund für den Niedergang?
Trotzdem, wunderte sich Wolff vor vier Jahren, hätten die Angestellten der „Washington Post“ ihre Zuneigung zur Familie Graham nie aufgegeben: „Sie lieben die Familie sogar, wenn sie von ihr gefeuert oder dazu ermutigt werden, sich auskaufen zu lassen.“ Selbst Katharine Weymouth, der jungen Verlegerin und Enkelin der legendären Katharine Graham, hätten die „Posties“ am Ende verziehen, als sie mit einer zweifelhaften Geschäftspraktik beinahe den Ruf der Zeitung ruinierte.
In Weymouth ortet Michael Wolff denn auch einen der Gründe für den Niedergang der „Washington Post“. Die studierte Juristin sei als Managerin zu forsch, zu unsensibel und habe vom Zeitungsgeschäft zu wenig Ahnung - ganz im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, Onkel Donald, der das Metier von der Pike auf gelernt hatte und im Hause jeden kannte, egal ob Topmanager oder Drucker. Don Graham hatte in den 60er-Jahren als Soldat in Vietnam gekämpft und in Washington DC als Stadtpolizist gearbeitet, um sein Wirkungsfeld besser zu kennen.
Applaus für Don Graham in der Kantine
Es war denn auch Don, dem es am Montag beim Verlesen der Verkaufsmeldung vor der „Post“-Belegschaft vor Rührung die Sprache verschlug. „Es ist Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen“, sagte er, nachdem er und seine Nichte noch einige Fragen von Angestellten beantwortet hatten: „Wir müssen eine Zeitung herausbringen.“ In der Kantine brandete Applaus auf.
Acht Jahrzehnte lang hatte sich die 1877 gegründete „Washington Post“ im Besitz der Familie Graham befunden. Eugene Meyer, Dons Grossvater mütterlicherseits, hatte die Zeitung 1933 bei einer Auktion auf den Stufen vor dem damaligen Sitz der Zeitung an der E Street für 825‘000 Dollar erworben und das Blatt 1946 seinem Schwiegersohn Philip L. Graham übergeben. Nach dessen Selbstmord in geistiger Umnachtung übernahm Katharine Graham als 47-Jährige 1963 die Führung des Familienunternehmens.
Stolzer Familienbesitz
Fünf Jahre später ernannte die Witwe Benjamin C. Bradlee zum Chefredaktor der „Washington Post“ und der Rest ist Geschichte, wie es in Amerika so schön heisst. Unter Editor Bradlee deckten die Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein ab 1972 den Watergate-Skandal auf, der zwei Jahre später Präsident Richard Nixon zum Rücktritt zwingen sollte. Bereits 1971 hatte es die „Post“, ermutigt von Kay Graham, gewagt, sich gegen die Regierung Nixon zu stellen, als das Blatt, zusammen mit der „New York Times“, die Pentagon-Papiere publizierte, eine geheime Geschichte des tragischen politischen und militärischen Engagements der USA im fernen Vietnam.
„Die Grahams waren unglaublich stolz auf ihren Familienbesitz“, sagt ein früherer Reporter der „Post“, der Don Graham 1999 zur Zukunft der Zeitung befragte: „Sie haben dafür gekämpft, ihren Besitz zu behalten. Auf dem Höhepunkt des Watergate-Skandals, als das Ganze publik wurde und sie die Kontrolle zu verlieren drohten, stellte sich die Regierung Nixon mit aller Macht des Staates gegen sie. Sie haben das überlebt. Gegen das Internet aber konnten sie nichts ausrichten.“
Eine Quelle der Konstanz in der Kapitale
Auch David Carr, der Medienspezialist der „New York Times“, schreibt der Konkurrenz einen besonderen Status zu. Der Verkauf der „Post“ beende jene besondere Beziehung, die das Blatt mit Amerikas Hauptstadt gehabt habe: „Washington hat in den vergangenen acht Jahrzehnten alle Arten von Tumult und Wechsel erlebt, mit Jahren des Konflikts unter den Rassen, dem Rücktritt eines Präsidenten, einem Terroranschlag auf das Pentagon und der Auflösung des überparteilichen politischen Prozesses.“ Während all der Jahre, erinnert Carr, sei die „Washington Post“ eine Quelle der Konstanz und der Berichterstattung gewesen, „ein Zentrum der Schwerkraft sowie eine gemeinschaftsbezogene, soziale und kulturelle Kraft in einer Stadt, in der viele andere kamen und gingen.“
Westküste überrumpelt Ostküste?
Der Verkauf der „Washington Post“ an Amazon-Gründer Jeff Bezos signalisiert einen Paradigmenwechsel. „Washington West“ (Amazon ist in Seattle im Bundesstaat Washington domiziliert) überrumpelt „Washington Ost“ (gemeint ist die politische Hauptstadt in DC), hat ein Kommentator das Geschäft salopp beschrieben. Erneut hat die „Best Coast“, an der Hollywood und Silicon Valley florieren, der traditionelleren „Least Coast“, dem Sitz des amerikanischen Adels und des alten Geldes, den Rang abgelaufen.
Der Wettbewerb zwischen Ost- und Westküste sei heute kein fairer Kampf mehr, schreibt Emily Bell in einer „Guardian“-Kolumne. Die neue, auf Ingenieurwissen basierende Wirtschaft im Westen der USA, mit Silicon Valley im Zentrum, habe es verstanden, zu Konsumenten eine Beziehung aufzubauen, ihnen zu verkaufen, was sie wollten, und Wall Street zu beeindrucken – und das alles in einem Ausmass und mit einem Tempo, mit dem das analoge Geschäft im Osten und dessen überalterte Eliten in Politik und Medien nicht mehr mithalten könnten. Dieser Graben vertiefe sich zunehmend und oft sei es atemberaubend zu beobachten, wie sehr sich die Vertreter beider Küsten gegenseitig verachteten.
Rätseln über Jeff Bezos Pläne
Mit dem 49-jährigen Jeff Bezos, dessen Vermögen auf rund 25 Milliarden Dollar geschätzt wird, besitzt erstmals ein Internet-Pionier eine grosse amerikanische Tageszeitung. Wobei sich die Frage stellt, ob der Amazon-Gründer die „Washington Post“, die er als Privatmann gekauft hat, als Geschäft oder als Wohltätigkeitsprojekt versteht. Die einen, auf seine unsentimentale Führung des Internet-Giganten abstellend, befürchten das Erste, andere, auf seine ausgefallenen Hobbies verweisend, erhoffen das Zweite.
Unter anderem hat Bezos, der sich wie andere amerikanische Milliardäre auch für Weltraumfahrt interessiert, die Bergung von Teilen der „Apollo 11“-Rakete auf dem Meeresgrund finanziert, die im Sommer 1969 die ersten Amerikaner zum Mond schoss. Auch zahlt er für die Konstruktion einer Uhr, die, in einem Berg in West-Texas versenkt, für die nächsten 10‘000 Jahre einmal pro Jahr ticken soll.
Das Internet verändert fast jeden Aspekt
Jeff Bezos selbst gibt sich fürs Erste geduldig. Die Werte der „Post“ bedürften keiner Veränderung, hat er deren Angestellten wissen lassen: „Die Zeitung wird ihren Lesern gegenüber und nicht den Privatinteressen der Besitzer verpflichtet bleiben. Wir werden weiterhin der Wahrheit folgen, wo immer sie uns hinführt, und wir werden hart arbeiten, um keine Fehler zu machen.“ Er selbst werde nicht ins Tagesgeschäft der Zeitung eingreifen: „Ich lebe glücklich im ‚andern‘ Washington, wo ich einen Job habe, den ich liebe.“
Trotzdem, so Unternehmer Bezos, werde es auf der Zeitung in den kommenden Jahren Veränderungen geben, was im Zeitalter des Internets unumgänglich sei: „Das Internet verändert fast jeden Aspekt des Nachrichtengeschäfts: Es verkürzt Nachrichtenzyklen, erodiert traditionelle Einnahmequellen und ermöglicht neue Arten des Wettbewerbs, unter denen einige keine oder nur geringfügige Kosten verursachen.“ Verlässliche Wegweiser gebe es indes keine: „Wir werden erfinderisch sein müssen, was bedeutet, dass wir experimentieren müssen.“ In einem Interview vor einem Jahr hat Bezos prophezeit, dass es in 20 Jahren keine gedruckten Zeitungen mehr geben wird.
Ein Digital Native mit Zeitung
Unter Kennern der amerikanischen Medienszene zweifelt kaum einer daran, dass Jeff Bezos, der Stiefsohn kubanischer Einwanderer, den nötigen Mut zu Veränderungen nicht aufbringen wird. „Erstmals wird nun ein echter digitaler Eingeborener eine Zeitung besitzen“, sagt Medienberater Alan Mutter: „Bisher haben alle Leute, die Zeitungen managen, sie wie einen 1953er Plymouth behandelt: Sie haben ein bisschen herumgebastelt und versucht, sie am Laufen zu halten.“ Dagegen sei es heute wichtig, Rolle und Macht eines Zeitungsunternehmens in der modernen digitalen Ära neu zu erfinden.
Andere Stimmen geben zu bedenken, es werde sich erst weisen müssen, wie tolerant Bezos als Zeitungsbesitzer agieren werde – etwa dann, falls die „Washington Post“ wie jüngst andere Blätter die Arbeitsbedingungen bei Amazon kritisch hinterfrage. Auch verfolge der Internet-Mogul in Washington DC zweifellos politische Interessen, etwa wenn es um die nationale Gesetzgebung für Internet-Firmen (Steuern) oder seine libertären Ansichten (als Verfechter der gleichgeschlechtlichen Ehe) gehe.
Bleibt die alte Setzmaschine am Eingang?
Jeff Bezos hat nur die „Washington Post“ gekauft. Die übrigen Zweige des Unternehmens bleiben unter der Kontrolle der Familie Graham, die für ihre Firma nun aber einen neuen Namen suchen muss. Dem Unternehmen gehört weiterhin auch der Sitz der „Post“, ein mehrstöckiges, uninspiriertes Gebäude an der 15. Strasse 1150 im Zentrum von DC. Den Eingang zum Gebäude zieren, auf einem kleinen Podest, eine alte rote Linotype-Setzmaschine sowie, an der Wand dahinter, Druckplatten aus Blei von historischen Ausgaben der Zeitung wie jener über den Mord an JFK vom 23. November 1963.
Erst im Februar hatte die Firmenleitung den 1972 errichteten Ziegelsteinbau zum Verkauf ausgeschrieben, was einige Einheimische bereits als erstes Abrücken der Grahams vom noblen Familienerbe interpretierten. Ob es ihre Grossmutter nicht stören würde, zu erfahren, dass die Enkelin das Herz der „Washington Post“ abstossen wolle, wurde Katherine Weymouth gefragt. Überhaupt nicht, antwortete die 47-Jährige: „Das Gebäude hat Kay Graham nie gefallen.“
Quellen: „The Washington Post“; „The New York Times“; „The Los Angeles Times“: „The Guardian“; „The Daily Beast“; “The Huffington Post”; „Columbia Journalism Review“, „Vanity Fair”; Reuters