Vor 150 Jahren, am 14. April 1861, wurde auf dem Fort Sumter vor South Carolina die Flagge der sezessionistischen Südstaaten gehisst. Damit wurde im amerikanischen Bürgerkrieg die erste Niederlage der nördlichen Unionstruppen besiegelt. Der Krieg hatte am 12. April mit der Beschiessung des Forts begonnen.
Vier Jahre dauerten die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den nördlichen Unionsstaaten und den sezessionistischen sogenannt konföderierten Südstaaten. Er hat weit mehr als eine halbe Million Tote und etwa 400‘000 Verwundete gekostet. Die Südstaaten, die im Gegensatz zu den nördlichen Staaten die Sklaverei beibehalten wollten, waren aus der Union ausgetreten. Vier Jahre nach Kriegsbeginn hatte die sezessionistische North-Virginia-Armee kapituliert. Damit ging der Krieg mit einem Sieg der nördlichen Unionsstaaten zu Ende. Angeführt wurden die Truppen des Nordens durch den vehementen Sklaverei-Gegner Abraham Lincoln. Zwar gab es noch da und dort Aufstände der Konföderierten, doch die Würfel waren gefallen. Am gleichen Tag, an dem 1961 die Flagge der sezessionistischen Südstaaten auf Fort Sumter gehisst wurde, zog man 1865 – vier Jahre später – das Sternenbanner auf. Die Schmach war getilgt. Die Sklaverei wurde abgeschafft. Lincoln war inzwischen Präsident. In Washington war man bei bester Laune. Doch nicht lange.
An diesem gleichen 14. April nämlich forderte der amerikanische Bürgerkrieg ein letztes prominentes Opfer. So hat sich denn dieses Datum ins kollektive Gedächtnis der amerikanischen Nation eingegraben.
Vom Farmknecht zum Staatsoberhaupt
Was dann, an diesem 14. April 1865 geschah, bewog sogar früh, Schweizer Autoren zur Feder zu greifen. Vor genau hundert Jahren veröffentlichte Theophil de Quervain das Büchlein „Vom Farmknecht empor zum Staatsoberhaupt“. Die Schrift erschien in der „Buchhandlung der Evangelischen Gesellschaft, Depots in Zürich und Winterthur“. Den Text widmet der Verfasser „seinen l. Eltern“. Hier ein Auszug aus dem hundertjährigen Text.
"Der 14. April des Jahres 1965 war herangekommen. Vier Jahre zuvor war dieser 14. April ein Trauertag gewesen. An diesem Tage war das Sternenbanner auf dem Fort Sumter niedergesunken. Jetzt sollte es dort am gleichen Tage wieder feierlich gehisst werden. Darum gedachte man, diesen 14. April in besonderer Weise zu begehen. Allerlei festliche Veranstaltungen waren überall angeordnet. In Washington sollte am Abend im Theater eine patriotische Festvorstellung stattfinden, für welche der Präsident, der General Grant und andere hervorragende Persönlichkeiten ihre Anwesenheit zugesagt hatten.
Es herrschte an diesem 14. April im Weissen Hause eine frohe Stimmung. Am Morgen hatte der älteste Sohn Lincolns, der Hauptmann Robert Lincoln, einen eingehenden Bericht über die Kapitulation Lu’s gebracht. Gegen elf Uhr fand eine Kabinettsitzung statt. Man sprach über die in Zukunft zu befolgende Politik, dann auch über die Kriegslage. Alle feindlichen Abteilungen hatten schon die Waffen gestreckt. Bis auf diejenigen Johnston‘s. General Grant teilte mit, dass er jede Stunde Depeschen erwarte mit der Nachricht, dass auch diese letzte feindliche Armee kapituliert habe.
Im Laufe des Nachmittags hatte der Präsident dann eine lange Unterredung mit einer Deputation von Illinois. Es wurde da auch von seinem Einzuge in Richmond gesprochen, und wie er sich bei diesem Anlass viel zu sehr ausgesetzt habe. Sogar in Washington mitten im Freundesland sei er ja nicht gegen alle Gefahr gefeit. Man bat ihn dringend, dass er doch zu seinem Leben grössere Sorge tragen solle. Als Antwort legte Lincoln seinen Freunden einen Stoss Briefe vor. „Hier“, sagte er, „haben sie eine Anzahl Drohbriefe, in denen jeder mir die Ermordung in Aussicht stellt. Ich müsste ganz nervös werden, wenn ich über jeden derselben nachdenken wollte. Auch habe ich alle ängstlichen Gedanken mit folgender Erwägung abgewiesen: Der Gelegenheiten mich zu ermorden, gibt es täglich so viele, dass wenn jemand wirklich mit solchen Absichten umginge, ich mit dem besten Willen solchem Geschick nicht entrinnen könnte. Was soll ich mir auch ganz unnütze Sorgen machen?“
Es war Abend geworden. Einen Teil desselben brachte Lincoln in der Gesellschaft zweier Freunde zu. Als er sich von ihnen verabschiedet hatte, um zur Festvorstellung zu fahren, fiel es ihm ein, er könnte in der Unterhaltung etwas gesagt haben, dass für den einen vielleicht wehtuend gewesen sei. Er wollte die Sache in einer weiteren Unterredung am nächsten Vormittag richtig stellen und liess deshalb dem betreffenden Herrn einen Karte zustellen, auf die er in aller Eile geschrieben hatte: „Es ist Mr. A. gestattet, mich morgen früh um neun Uhr zu besuchen. A.L.“ Diese Worte aus Friedensbedürfnis und Zartsinn geschrieben, waren die letzten, die Lincoln schrieb. Die Kugel, die seinem Ende ein Ziel setzen sollte, war schon im Lauf der mörderischen Pistole.
Gegen neun Uhr erschien Lincoln in der Festaufführung. Mit Interesse folgte der Präsident, der jubelnd begrüsst worden war, der Vorstellung. Da, es war gegen halb elf Uhr, krachte ein Pistolenschuss. Im ersten Augenblicke glaubten viele, er gehöre zur Vorstellung. Aber des Präsidenten Aufschrei und der eilige Sprung des Mörders auf die Bühne machte rasch klar, dass etwas Schreckliches geschehen sei. Bevor man sich des Täters bemächtigen konnte, verschwand er mit dem Ausruf „Sic semper tyrannis“. So soll es allen Tyrannen ergehen. „Der Süden ist gerächt“.
Auf einem draussen bereitgehaltenen Pferde sprengte er davon in die dunkle stürmische Aprilnacht hinaus. Die Stätte patriotischer Freude war mit einem Schlage eine Stätte der Verwirrung, des Entsetzens, der grössten Trauer geworden. Der bewusstlos zusammengesunkene Präsident wurde in ein nahes Haus getragen, wo bald die ersten Ärzte der Stadt sich einstellten. Nach der Untersuchung musste der Generalarzt Barnes das trostlose Urteil abgeben: „Keine Hoffnung“. Die Kugel war hinter dem linken Ohr eingedrungen und hatte das Gehirn bis zum rechten Auge durchquert. In Tränen ausbrechend rief der sonst sehr ruhige, kaltblütige Kriegsminister Stanton: 'Nein, nein, es kann nicht sein, es kann nicht sein!'".
(Lincoln starb am 15. April 1865 um 07.00 Uhr früh.)