„Mio fratellino!“, sagt die zerbrechliche Dame zärtlich, die gerade ihren 80.Geburtstag feiert, und zeigt mit dem Finger auf einen kräftigen Mann, der sie um mehrere Haupteslängen überragt: „Mio fratellino a imparato tutto da me“.
„Brüderchen“ Olivero Toscani, der legendäre Photograph,, den spätestens seit seiner Benneton-Werbung mit den Aids-Toten und den Neugeborenen an der Nabelschnur nun wirklich jeder kennt, lächelt nachsichtig und umschlingt seine 11 Jahre ältere Schwester Marirosa wie ein Grizzly sein Junges.
„Generationen von Italienern haben im Mailänder Studio von Marirosa und ihrem Mann, Aldo Ballo, das Photographieren gelernt“, erzählt Toscani. „Keine Kurzbleiche, nein, sechs Jahre lang mussten sie jeweils lernen. Im ersten Jahr nur das Gassi gehen mit den Hunden. Das aber richtig. Im zweiten dann das Wischen des Studios. Sie waren sehr streng; meine Schwester ist sehr dezidiert. Und Aldo, der Sizilianer, war ein passionierter Perfektionist.“ Der Clan der Toscani hatte sich im Vitra Design Museum in Weil am Rhein versammelt zur Eröffnung von „ZOOM, italienisches Design und die Photographie von Aldo und Marirosa Ballo-Toscani“. Die Ausstellung zeigt den grossen Einfluss, den diese beiden Photographen auf die Ausbreitung und die Prominenz des italienischen Designs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten.
Über 350 Photos, Objekte von Designern wie Gae Aulenti, Gaetano Pesce und Ettore Sottsass sowie Dokumente und Filme vermitteln einen Eindruck dieser grossen Epoche italienischen Designs. Und zeigen die Bedeutung, die ein Medium wie die Photographie für den internationalen Aufstieg des Disegno Italiano hatte. So erstaunt nicht, dass die Objekte im Vitra Design Museum für Marirosa Ballo eine spezielle Bedeutung haben. „Diese Dinge leben für mich, sind Persönlichkeiten. Dieser Stuhl zum Beispiel“, sie streichelt über die Lehne, „erinnert mich an meinen Hochzeitstag.“ Der Begegnung von Aldo Ballo und Marirosa Toscani an der Mailänder Kunstakademie entsprang eine grossen Liebe und eine grossartige Zusammenarbeit. Richtungsweisend war sie für Marirosa aber nicht. Sie hatte bereits ihren Vater, als er krank war, als Photoreporterin ersetzt, wechselte dann aber mit ihrem Mann zur analogen Studio-Photographie.
Olivero Toscani sieht sich heute als Vertreter der dritten Generation der Photographen-Dynastie, seinen Sohn Rocco, mit dem er derzeit das Projekt „Razza Umana“, realisiert, als jenen der vierten. Die beiden machen Portraits von Menschen auf den Strassen der ganzen Welt, zum Beispiel in Jerusalem von Israelis neben Palästinensern, von Juden neben Muslimen. Sie möchten den Leuten ihre Gemeinsamkeiten bewusst machen.
Wenn es ein Photo-Gen gibt, dann haben es die Toscanis. Vorausschauend hat Sohn Rocco seine Tochter nach der wichtigsten Ingredienz einer guten Photographie benannt: „Luce“ - Licht.