International kaum beachtet, brach Anfang Mai die Dominikanische Republik ihre Kontakte zu Taiwan ab und nahm diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China auf. In Peking gratulierten sich der Dominikanische Aussenminister Miguel Fargas und Chinas Staatsrat Wang Yi. Taiwans Aussenminister Joseph Wu dagegen sprach von „tiefer Enttäuschung und Wut“. Die Dominikanische Republik habe sich kaufen lassen.
Gekauft?
In der Tat, Peking stellte dem karibischen Inselstaat Hilfe für Infrastruktur und Wirtschaft im Umfang von 3,1 Milliarden Dollar in Form von Geschenken und Krediten zu niedrigen oder gar keinen Zinsen in Aussicht. Damit könne Taiwan, so Joseph Wu, nicht mithalten, denn Pekings finanzielle Zusagen seien „astronomisch hoch“. Taiwan hatte in den vergangenen Jahren neben wirtschaftlicher und sozialer Projekthilfe dem Dominikanischen Militär Waffen und Gerät im Werte von 35 Millionen Dollar zukommen lassen, darunter mehrere Hundert Polizeimotorräder, Dutzende von Ambulanzen sowie gepanzerte Fahrzeuge.
Doch China hat die Dominikanische Republik nicht „gekauft“, wie die Zahlen suggerieren könnten. Vielmehr ist der Handel zwischen beiden Ländern in den letzten zehn Jahren stetig angewachsen und beläuft sich 2017 auf zwei Milliarden Dollar. China ist für die Dominikanische Republik ganz einfach wichtiger geworden als Taiwan.
Grosse Enttäuschung
Für Taiwan ist die Entscheidung der Dominikanischen Republik ein herber Schlag und eine grosse Enttäuschung. Seit dem Amtsantritt der jetzigen Präsidentin Tsai Ing-wen vor zwei Jahren ist es nach Gambia, Sao Tome und Principe und Panama bereits der vierte Staat, der sich von Taiwan abgewandt und China anerkannt hat. Gerade noch 19 von 192 in der Uno vertretenen Staaten anerkennen Taiwan, davon zehn in Lateinamerika und die restlichen in der Südsee, darunter Winzlinge wie Belize oder Naura. In Europa unterhält Taiwan nur noch mit einem Staat diplomatische Beziehungen, dem Vatikan. Wenn nicht alles täuscht, wird bald auch der Vatikan von Taipei nach Peking wechseln.
Status quo
Nach der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg 1946–49 haben sich auf der Insel Taiwan die Nationalisten unter Marschall Tschiang Kai-shek festgesetzt. In Taipei wie in Peking beharrte man darauf, ganz China zu vertreten. Anfang der 1970er Jahre musste Taiwan seinen Sitz in der Uno und im UN-Sicherheitsrat an die Volksrepublik China abgeben. Das diktatorisch regierte Taiwan entwickelte sich bis Ende der 1990er Jahre zu einer lebhaften Demokratie. Immerhin konnten sich 1992 sowohl Taipei wie Peking auf die „Ein-China-Formel“ einigen, wobei jede Seite selbst definierte, was das genau heissen mag.
„Abtrünnige Provinz“
Für die Volksrepublik freilich war und ist Taiwan schlicht eine „abtrünnige Provinz“. Chinas grosser Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping hoffte, Taiwan mit der gleichen Formel „ins Mutterland zurückzuholen“ wie Hong Kong und Macao, nämlich mit dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“. Das gilt noch heute. Doch Taipei bleibt vorsichtig, verfolgt die Entwicklung in Hong Kong und Macao. Unter wechselnden Regierungen wartete Taiwan vorerst ab und verschrieb sich einer Politik des Status quo.
„Unabhängigkeits-Tricks“
Seit dem Amtsantritt von Präsidentin Tsai Ing-wen im Jahr 2016 aber verschlechterten sich die Beziehungen aufgrund der Auseinandersetzungen um die Strasse von Formosa – wie die heutige Taiwan-Meerenge einst hiess – zusehends. Tsai löste den Kuomintang-Präsidenten Ma Ying-jeou ab, der während seiner Amtszeit die Beziehungen zum Festland stetig ausbaute. Tsai von der Demokratischen Fortschritts-Partei DDP indes steuerte einen selbstbewussteren Kurs, bekannte sich nicht mehr zur „Ein-China-Formel“ und berief Unabhängigkeitsbefürworter ins Kabinett. Als Ministerpräsidenten erkor sie William Lai Ching-te, der sich selbst als einen „politischen Arbeiter für Taiwans Unabhängigkeit“ beschreibt. Die chinesische Regierungszeitung China Daily warnt jedoch. Es gebe „immer weniger Raum für Unabhängigkeits-Tricks“. Taiwans „Bemühungen, die Insel als unabhängiges Land zu positionieren und zu sichern, werden mit Sicherheit scheitern“.
Beziehungen Taiwan–USA
Auch die Beziehungen zum grossen Alliierten USA wurden massiv ausgebaut. Mit noch mehr Militärhilfe und vor allem dem im März vom US-Kongress verabschiedete Taiwan Travel Act revanchierte sich US-Präsident Trump. Danach sollen sich in Zukunft auch hohe Beamte von Taiwan und den USA treffen und austauschen können. Aus Pekinger Sicht ist das eine Zumutung, denn unter der Ein-China-Politik, der auch die USA seit Ende der 1970er Jahre verpflichtet sind, verbietet sich jede zwischenstaatliche Kontaktnahme. Das ist unter anderem auch der Grund dafür, dass Taiwan in den meisten internationalen Organisationen nicht vertreten ist.
„Laute und klare Warnung“
Für die Volksrepublik ist Taiwan nicht verhandelbar. Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping brachte es kürzlich in einer Rede auf den Punkt: Peking sei bereit für „eine blutige Schlacht, um seinen einstigen Ruhm wiederzuerlangen und sein Land zu sichern“. Die Global Times, eine englischsprachige Zeitung des Parteiblatts Renmin Ribao (Volkszeitung), stellt in einem Kommentar fest, China müsse sich vorbereiten für „einen direkten militärischen Zusammenstoss in der Strasse von Taiwan“. Peking liess denn verschiedentlich, zuletzt im April, seine Flotte mit Flugzeugträger Liaoning in der Strasse von Taiwan kreuzen, hielt Manöver mit scharfer Munition rund um die Insel ab, und Bomber und Kampfflugzeuge erschienen am Himmel vor Taiwans Küste. Die Manöver, so Chinas Medien unisono, sind eine „laute und klare Warnung“ an die „abtrünnige Provinz Taiwan“ und die USA.
Linie überschritten?
Spielt US-Präsident Trump die Taiwan-Karte? Anders als beim Krisenherd auf der koreanischen Halbinsel gibt es zu Taiwan jedoch keinen „Deal“. „Die abtrünnige Provinz Taiwan“ ist für Peking nicht verhandelbar. Taiwan ist auch Teil des von Xi Jinping formulierten „Chinesischen Traums“. Die Taiwan-Karte zu ziehen, ist deshalb brandgefährlich. Jede ausländische Macht, die versuche, „die Taiwan-Karte zu spielen“, so ein Kommentar von China Daily, werde sehen, dass das zu nichts führe. Im Gegenteil, wenn eine „Linie überschritten“ werde, schade sich die ausländische Macht nur selbst.
Knackpunkt im Juni
Schon im Juni wird sich zeigen, wie und ob Trump die Taiwan-Karte einsetzen wird. Das American Institute in Taiwan, die De-facto-US-Botschaft, wird ein neues Gebäude beziehen. Wird zur Einweihung ein hoher amerikanischer Beamter anwesend sein, so wie es nach dem neuen Taiwan Travel Act möglich wäre? Zum Beispiel Trumps nationaler Sicherheitsberater Bolton, ein Hardliner erster Güte? Falls es so weit kommen sollte, wäre mit Sicherheit die berüchtigte Linie überschritten. Mit unabsehbaren Folgen.