Reale Probleme mit Einwanderungsfragen verknüpfen und gleichzeitig viel Spielraum für die Auslegung der Initiative offen lassen – was bewirkt die Masseneinwanderungsinitiative wirklich?
Die Diskussion über Einwanderung ist nicht neu. Die Argumente sind im Grundsatz bekannt. Die Masseneinwanderungsinitiative heizt erwartungsgemäss die Diskussion an. Zu Recht erinnert man sich an die Überfremdungsinitiativen in den 1970er Jahren und später, die das Volk aber allesamt ablehnte.
Kommentatoren und politische Akteure werfen mit Bevölkerungsstatistiken und Zuwanderungszahlen um sich. Dabei gilt es zu bedenken: Es gibt keine exakte Zahl, wie viel Einwanderung die Schweiz „erträgt“ und wie hoch die Gesamtbevölkerung sein darf. Netto-Zuwanderungssaldo oder Asylgesuchszahlen für sich alleine sind keine Indikatoren für das Funktionieren oder Versagen eines Migrationssystems. Ebenso wenig wie die gefühlte Bedrohung durch Ausländer von rechts-nationalen Kreisen ein Indikator dafür sein darf. Die Lebensqualität der Bevölkerung und der gesellschaftliche Wohlstand sind hingegen aussagekräftige Konzepte: Die Schweiz gehört zu den reichsten Ländern der Welt mit geschmiert funktionierender Wirtschaft, tiefer Arbeitslosigkeit und gehört zu den sichersten Regionen auf dem Globus. Zweifellos, die Lebensqualität für eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung ist hoch.
Keine Antwort auf reale Probleme
Die Initiative gibt vor, mit der Beschränkung der Zuwanderung Lösungen für Herausforderungen in unterschiedlichsten Politikbereichen bereit zu stellen. Dabei wird verkannt, dass Migranten nicht die tatsächliche Ursache der „Probleme“ sind. Die Probleme sind „hausgemacht“ und hängen – wenn überhaupt – nur mittelbar mit der Zuwanderung zusammen. Beispielsweise würden die Umweltprobleme nicht gelöst, wenn die Zuwanderung eingeschränkt würde, da es sich um komplexe Zusammenhänge von globalem Ausmass handelt. Auch im Blick auf die Raumplanung- und Wohnungspolitik bliebe sie wirkungslos: Das Bedürfnis nach sukzessive steigendem Wohnraum pro Kopf ist ein langjähriger Trend, völlig unabhängig von der Zuwanderung.
Vage Forderungen, ungewisse Umsetzung
Die Initiative bleibt in wesentlichen Punkten unklar. Sie gibt keine Auskunft über die konkrete Ausgestaltung der Kontingente und legt keine Höchstzahl der Einwanderung fest. Die Interessen der Wirtschaft seien bei der Festlegung der Kontingente zu berücksichtigen, so die Initiative. Was dies konkret bedeutet, bleibt offen.
Das „Asylwesen“ soll gemäss dem Initiativtext ebenfalls kontingentiert werden. Höchstzahlen bei der Aufnahme von Flüchtlingen und deren Familien würden dadurch möglich. Die Initianten beteuern aber zuweilen gleichwohl, völkerrechtliche Verpflichtungen und das Non-Refoulment-Prinzip – dass an Leib und Leben Gefährdete nicht abgeschoben werden – nicht schleifen zu wollen. Der Widerspruch zwischen Kontingentierungslogik und Schutzbedürfnis von Verfolgten bleibt dennoch ungelöst im Raum stehen.
Die beiden Punkte – die Festlegung der Kontingente und die unbeantworteten Fragen rund um das Asylwesen – zeigen, dass die Initiative bei der Umsetzung viel Handlungsspielraum offen lässt. Handlungsspielraum, der restriktiv oder liberaler ausgefüllt werden könnte.
In der Praxis sind demnach die Wirkungen der Masseneinwanderungsinitiative kaum absehbar. Die Initiative nur deshalb anzunehmen, um ein Zeichen des Unbehagens über anstehende gesellschaftliche und politische Handlungsfelder zu senden, ist nicht nur nicht zielführend, sondern provoziert politische Entwicklungen mit unabsehbaren Folgen: Die Kontingentierung bei der Zulassung von Arbeitskräften hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt; die Personenfreizügigkeit wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Ein Ja zur Initiative wäre auch ein Zeichen gegen die bereits in der Schweiz wohnhafte ausländische Bevölkerung.
Positive Akzente setzen
Doch auch im Fall der Ablehnung ist die Initiative schon heute ein Erfolg. Die symbolische Ebene der Initiative wirkt bereits. Sie zementiert die mit dem Thema Zuwanderung verbundenen negativen Konnotationen, in dem sie Ausländer als „Masse“ präsentiert, die die Schweiz bedroht, überflutet und die folglich abgewehrt und umgelenkt werden muss. Damit wird der Nährboden gelegt für den nächsten ausländerpolitischen Vorstoss, der auf Abschottung anstatt auf gesellschaftliche Weiterentwicklung abzielt.
Dieser negativ geprägten Ausländerpolitik gilt es nicht nur entschieden entgegenzutreten, sobald Forderungen nach mehr Härte gegenüber dem Fremden und gesellschaftlicher Schliessung auf dem Tisch liegen. Vielmehr sind eigenständige positive Akzente gefragt, wie beispielsweise die bereits vom Bundesrat beschlossene gruppenweise Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisenregionen oder die Intensivierung von Integrationsangeboten. Staatliche Akteure, die Politik und zivilgesellschaftliche Kreise sind hier gefordert, gemeinsam solche Farbtupfer, Leuchtturmprojekte und Best-Practice-Beispiele der Integration ins Leben zu rufen.