Die Schweiz ist kein Kleinstaat. In einem Akt der Selbstverzwergung macht sich aber unser Land in verschiedenen Bereichen kleiner als es ist. Gerade in unseren Aussenbeziehungenn wirkt sich das fatal aus.
Die Schweiz ist statistisch gesehen eine europäische Mittelmacht. Sowohl was die Oberfläche als auch die Einwohnerzahl anbelangt, liegt die Schweiz im breiten Mittelfeld aller europäischen Länder. Beim Reichtumsindikator BIP pro Kopf belegt sie mit Irland den zweiten Platz. Sie hat eine blühende Wirtschaft und ist ein erstklassiger Ausbildungs- und Forschungsplatz, die Finanzindustrie hält mit den Grossen mit. Warum, zum Geier, macht sie sich dann in ganz verschiedenen Bereichen kleiner, als sie ist?
Verschuldung
Ein Staat kann zwar verschuldet sein, aber er macht keine Schulden im Sinne von Privathaushalten. Grundsätzlich beschafft er sich Mittel sowohl für laufende Ausgaben mit Steuern als auch für Investitionen, Letzteres in der Regel mit Kapitalaufnahme am Markt, wie es Unternehmen in Form von Wertpapieren und Bankkrediten auch tun. Investitionen sind zukunftsgerichtet und sollen sicherstellen, dass grundlegende Staatsaufgaben (Infrastruktur, Sicherheit, soziale Wohlfahrt) auch für künftige Generationen erfüllt werden.
Die Staatsverschuldung der Schweiz ist im internationalen Vergleich äusserst tief und erreicht auch mit Einbezug der Kantone und Gemeinden nicht einmal 30 Prozent des BIP. Diese Quote noch tiefer senken zu wollen, wie dies die Schuldenbremse der schweizerischen Staatsfinanzen will, ist volkswirtschaftlich problematisch, weil sie eben gerade auf Kosten künftiger Generationen geht.
Momentan wird auf Bundeseben mit Verweis auf eben diese Schuldenbremse wieder einmal gespart. Leistungen der Schweiz im Innern – vom öffentlichen Verkehr bis zu Kindertagesstätten – ebenso wie in unseren Aussenbeziehungen werden mit Verweis auf die Schuldenbremse zurückgefahren.
Schweizerische Neutralität
So wird die schweizerische Unterstützung für die von Putins Aggression in der Existenz bedrohten Ukraine, neben dem Hinweis auf veraltete Neutralitätsbestimmungen in den Haager Abkommen – welche längst durch die Uno-Charta ersetzt sind – auch wegen der Schuldenbremse auf einem Minimum gehalten.
So etwa, wenn substanzielle Zahlungsbilanzhilfe für Kiew verweigert wird, was die Schweiz auch mit Mitteln in der Grössenordnung von Milliardenbeträgen jederzeit tun könnte. Wenn Nationalbank und Finanzministerium das wirklich wollten, mit Rückgriff auf Währungsreserven im Internationalen Währungsfonds IMF sogar ohne wirkliche Belastung des Bundesbudgets. Damit würde die Schweiz ein weithin sichtbares Zeichen setzen, dass der «ältesten Demokratie» in Europa die Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat per se etwas wert ist und ihre Neutralität mehr als ängstliche Nichtparteinahme oder, schlimmer, Geschäftemacherei mit Aggressoren darstellt. Wie das leider durch die Nichtteilnahme der Schweiz bei der westlichen Bereitstellung eines Grosskredites zugunsten der Ukraine auf Kosten eingefrorener russischer Staatsgelder der Fall zu sein scheint.
So stellt die Neutralität, zumindest jene, welche sich laut aktueller Praxis an den überholten Haager Abkommen festklammert, auch die Angst dar, sich international dort massiv zu engagieren, wo schweizerische Werte auf dem Spiele stehen, wie heute in der Ukraine und längerfristig in Xi Jinpings China, das auf dem «slippery slope» von der Autokratie zur Diktatur immer tiefer gleitet.
Europapolitik
Die Bilateralen III stellen die im Moment einzig machbare Lösung dar, der Schweiz eine Brücke zur EU und damit zum Rest von Europa sowie dem kontinentweiten Binnenmarkt zu erhalten. Das Europa, das via EU gemeinsam vorgehen will, um sich gegen gegenwärtige und zukünftige Grossmächte – die USA, China, Indien/ASEAN und allenfalls auch Afrika – behaupten zu können.
Aber nein, hier finden sich wiederum die verschiedensten Sonderinteressen, die auf schweizerischem Klein-klein insistieren. Sei es die gewerkschaftliche Linke, welche sich in Anmeldungsfristen für entsandte Arbeitskräfte verbeisst, wenn es in der EU um gerechten und sozialen Ausgleich zwischen den verschiedenen Volkswirtschaften und den darin tätigen Unternehmen und Arbeitnehmern geht.
Sei es eine neue nationalistische Springflut, ausgelöst und unterfüttert durch Zuger «Venture Capital Investors», welche sich neben ihrer Anti-EU-Rhetorik vage auf überseeische Exportmärkte und die Schweiz als «Singapur» von Europa berufen. Singapur ist nun tatsächlich ein Kleinstaat ohne Agrarsektor und mit nur verschwindend kleiner Industrieproduktion. Das Land ist in keiner Art und Weise mit der Schweiz vergleichbar, wie der Schreibende als schweizerischem Vertreter in diesem Kleinstaat vor Ort erfahren hat. Aber auch hier: helvetisches Bemühen, sich politisch im internationalen Kontext klein zu machen.
Verpflichtung
Die Schweiz hat als prosperierende Mittelmacht in Europa Verpflichtungen und ein Eigeninteresse, diese zu erfüllen, welche über ihre Landesgrenzen hinausgehen. Das bedeutet zum einen eine aktive Teilnahme, um ein prosperierendes und sicheres europäisches Umfeld zu erhalten. Welches zweitens die Voraussetzung unserer eigenen Wohlfahrt darstellt, eine Verpflichtung also gegenüber der eigenen Bevölkerung.
Beides erfüllt die Schweiz derzeit nicht und immer weniger. Als einziges Land Westeuropas sind wir weder Mitglied der EU oder der Nato, tragen also diese zwei wirtschaftspolitischen und sicherheitspolitischen Hauptpfeiler Europas nicht mit. Umso dringender erscheint international sichtbares Bemühen, dass die Schweiz zu Europa gehört und sich der damit verbundenen Verpflichtung bewusst ist.