Der ägyptische Ministerpräsident hat unerwartet die Resignation seiner Regierung eingereicht. Er erklärte nach einer halbstündigen Regierungssitzung am Montag am staatlichen Fernsehen, die Lage fordere seinen Rücktritt. Er deutete an, dass das Land schwere Zeiten durchmache und vor «grossen Gefahren» stehe. Er fuhr fort: «Dies ist nicht die Zeit für Forderungen der Öffentlichkeit oder privater Natur für persönliche Interessen, sondern vielmehr die Zeit, zusammenzustehen und die Interessen des Landes allen anderen voranzustellen.»
Von Streiks und Unruhen gelähmt
Man kann dies als Anspielung auf die zahlreichen Streiks in staatlichen und privaten Unternehmen verstehen, die seit Wochen andauern. Man kann auch an den Umstand denken, dass die Lehrtätigkeit in Schulen und Universitäten noch immer nicht voll aufgenommen werden konnte, weil Unruhen herrschen. Man hat auch zu berücksichtigen, dass die Sicherheitslage sich eher verschlechtert hat als verbessert, weil die Gewalt anwendenden Gruppierungen, sei es im Sinai, sei es innerhalb Ägyptens, keineswegs ausgeschaltet werden konnten.
Bis zu ihrem Rücktritt hatte niemand gewagt, öffentlich an der Regierung Kritik zu üben. Schliesslich gehörte ihr der mächtigste Mann Ägyptens, Marschall as-Sissi, als Stellvertretender Ministerpräsident und als Verteidigungsminister an.
Beschwichtigungen ohne Wirkung
Doch nach dem Rücktritt wurde viel Kritik an Beblawi laut. Plötzlich fanden die Politiker, er sei wenig entschlusskräftig, ja er sei in allen drei Hauptbereichen erfolglos geblieben: in jenem der Sicherheit, dem der Sozialpolitik und dem der Wirtschaft. Der offizielle Regierungssprecher räumte ein, «es sei befunden worden, dass neues Blut nötig sei.» Wer befunden hat, erwähnte er nicht, doch man kann es sich denken: die Militärs.
Beblawi hatte, gewiss auf die anfänglichen Weisungen hin, eine eher milde Politik im sozialen Bereich geführt. Er hatte auch einer Erhöhung des Mindestgehalts zugestimmt. Die Gelder, die aus den Erdölstaaten teils zugesagt, teils auch wirklich ausbezaht worden waren, hatten in erster Linie dazu gedient, die dringendsten Forderungen der Bevölkerung zu befriedigen.
Auch ein grosses Programm zu Arbeitsbeschafffung war eingeleitet worden. Dies waren mehr politische als wirtschaftliche Ausgaben. Sie dienten dazu, der aufgebrachten Bevölkerung den angeblichen Kontrast zu zeigen, der zwischen der Mursi-Herrschaft und dem neuen Regime bestehe, und so alle Hoffnungen neu zu beleben.
Energieknappheit und Überschuldung
Doch man kann vermuten, dass diese Gelder rasch ausgegeben waren. Erneut, wie zu Mursis Zeiten, stellte sich eine grosse Knappheit an Butangas ein. Die Energieversorgung mit Gas und Elektrizität für die Industrie stockte. Die ägyptische Energiesituation ist derart, dass entweder der Staat teure Energie einführt und sie, der Subventionen halber, billig an Industrie und Bevölkerung abgibt, oder dass nichts mehr funktioniert.
Der Staat ist auch gegenüber den Erdölfirmen, die in Ägypten Erdöl fördern, schwer verschuldet. Er hat unter Beblawi seine fünf Miliarden Dollar Schuld ihnen gegenüber um eine Milliarde reduziert und ihnen den Rest in den nächsten acht Jahren versprochen. Seine Versprechen wird er jedoch nur halten können, falls die Erdölstaaten weiter aushelfen. Beblawi hatte gewiss recht, wenn er in seiner Rücktrittserklärung sagte, keine Regierung der Welt hätte in den kurzen Monaten seiner Regierungszeit alle Missstände Ägyptens zu heilen vermocht.
Zurück zum System Mubarak?
Darüber, wie es nun nach dem Befinden der Mächte hinter der Regierungsmacht weitergehen soll, wird möglicherweise das Profil des nächsten Regierungschefs Auskunft geben. Wenn sich die Gerüchte bestätigen, nach denen Ibrahim Mahlab, bisheriger Wohnungsminister Beblawis, dieser nächste Regierungschef werden soll, würde dies bedeuten, dass eine volle Rückkehr zu den Zeiten und Lebensbedingungen des abgesetzten Mubarak bevorsteht. Mahlab gehörte zu den führenden Kreisen der damaligen Staatpartei. Er ist als Grossbauunternehmer mit staatlichen Privilegien hochgekommen.
Seine Ernennung wäre ein deutliches Zeichen dafür, dass den Mächten hinter dem Thron nichts wirklich Neues eingefallen ist, das dazu dienen könnte, Ägypten auf anderen Wegen voranzubringen, als auf jenen des Polizeistaates mit Vorrechten für die Privilegierten auf Kosten des Rests der Bevölkerung.