Die Kommunistische Partei besteht überall, und so auch in China, auf dem absoluten Informations- und Meinungs-Monopol. Sie pocht unter allen Umständen auf die alleinige Deutungshoheit. Für die roten Mandarine steht das Mandat des Himmels, also die Macht auf dem Spiel. Im digitalen Zeitalter ist die Wahrung und Durchsetzung des Monopols noch schwieriger geworden. Allerdings wurde der unbedingte Hoheitsanspruch über die Medien in der Geschichte der Volksrepublik seit 1949 von der Partei unterschiedlich ausgelegt. Das heisst, einmal etwas weiter und ein andermal etwas enger. Derzeit befinden sich Chinas Medien in einer eher rigiden Phase.
„Dem Volke dienen“
Unter dem „Grossen Steuermann“ und Staatsgründer Mao Dsedong war alles klar. Die Medien müssen „dem Volke dienen“ und „die Massen erziehen“, so Mao schon im kommunistischen Stützpunkt Yan’ an im antijapanischen Krieg in der ersten Hälfte der 1940er-Jahre. In einem Artikel der amtlichen Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) über ein Treffen des Ständigen Ausschusses der Politbüros – des höchsten Gremiums der Volksrepublik – Anfang Januar wurde folgerichtig Mao mit dem grundlegenden, auch für die Medien verbindlichen Diktum zitiert: „In der Partei, der Regierung, der Armee, im Volk, unter den Intellektuellen und in Ost, West, Süden, Norden sowie im Zentrum leitet die Partei alles und jedes.“
Seit 1978 mit der Wirtschaftsreform und Öffnung nach aussen wurde die rigide Medienpolitik gelockert, wenn auch nur um Nuancen. Weil Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehkanäle mit Ausnahme des Zentralen Radios und Fernsehens CCTV, der amtlichen Nachrichten-Agentur Xinhua und des Sprachrohrs der Partei „Renmin Ribao“ (Volkszeitung) im Zuge der wirtschaftlichen Reform finanziell mindestens eine schwarze Null schreiben mussten, wurden dank Wettbewerb die Inhalte lebendiger und interessanter.
„Marxistische Journalisten-Ideale“
Doch die Leitplanken, die viele Journalistinnen und Journalisten bis an und zuweilen über die Grenze auszuloten versuchten, waren und sind eng. Sehr eng. Zudem erhielten und erhalten Redaktionen analoger und auch digitaler Medien täglich genaue Anweisungen, worüber wie und wann berichtet, beziehungsweise kommentiert werden kann oder muss. Vor-Zensur gibt es nicht, denn für alle sind die Grenzen klar, und die Schere im Kopf funktioniert perfekt.
Alle wussten und wissen darüber hinaus, dass der Kaiser nicht beleidigt werden darf. Will heissen: Politik und vor allem Politiker sind tabu. Es sei denn, die Attacke wird von der Partei befohlen, wie zum Beispiel in den letzten Monaten und Jahren oft bei Korruptionsfällen. Dann aber wird in den Partei- und Staatsmedien alles ausgepackt bis hin zu schlüpfrigen Details des Privatlebens mit Konkubinen, Freundinnen, Spiel- oder Trunksucht.
Seit dem Machtantritt von Parteichef Xi Jinping im November 2012 ist das mediale Klima wieder frostiger geworden. Seit drei Jahren müssen Journalistinnen und Journalisten zur Erneuerung ihres Presseausweises ein Examen ablegen, um die „marxistischen Journalisten-Ideale“ wieder bewusster aufrechtzuerhalten. Soziale Medien wie Sina Weibo, WeChat sowie alle Websites werden von einer gut dotierten Internetpolizei – man spricht von Zehntausenden – streng überwacht. Nachrichten dürfen ausschliesslich von der amtlichen Nachrichten-Agentur Xinhua übernommen werden. Auch ausländische Medien und Kommunikationsunternehmen sind natürlich betroffen. Insbesondere Microsoft, Apple und Amazon werden klein beigeben müssen – oder sie werden den lukrativen, riesengrossen Chinamarkt verlieren. Ausländische Medien-Websites, vor allem in chinesischer Sprache, sind oft blockiert.
„Berichtet positiv!“
Wo es in nächster Zukunft mit den Medien langgeht, machte Xi Jinping am 19. Februar klar, als er – medial gut sichtbar verbreitet – das Parteiblatt „Renimin Ribao“, die Nachrichten-Agentur Xinhua und das Staatsfernsehen CCTV besuchte. Begleitet wurde Xi nicht von ungefähr von Liu Yunshan, Ideologie- und Propagandachef sowie Mitglied im siebenköpfigen obersten Leitungsorgan Chinas, dem Ständigen Ausschuss des Politbüros. Sämtliche Medien jubilierten.
Die tägliche CCTV-Haupt-Nachrichtensendung „Xinwen Lianbo“ brachte das Ereignis, wie stolz berichtet wurde, „exklusiv“. Der oberste Chef wurde als „Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, Staatspräsident und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission“ vorgestellt, also mit den drei entscheidenden seiner insgesamt sieben Titel. Xi setzte sich, umringt von den Moderatoren, in den Präsentationssessel und lächelte milde.
Xi’s Botschaft, enthalten in einer Rede, war weniger milde, dafür aber glasklar: Alle Berichte und Kommentare sämtlicher Medien müssen in der „richtigen Richtung“ gehen und zwar in allen Ressorts, also von den News über die Wirtschaft und Politik bis hin zur Unterhaltung, dem Sport, den Beilagen und den Anzeigen. Auch der „internationale Einfluss“ müsse ausgebaut werden.
Kurzum, Chinas Medienschaffende müssen „Autorität und Einheit der Partei“ stets betonen, „den Willen der Partei verkörpern“, ja sie sollen gar „die Partei lieben, die Partei beschützen und für die Partei handeln“. Die verbindliche Dienstanweisung heisst kurz und bündig: „Folgt der Partei und berichtet positiv!“
Das Parteiblatt „Renmin Ribao“ schrieb, ex cathedra sozusagen, dass Positives die Berichterstattung prägen sollte. Zudem müsste Einheit und Stabilität der Nation prominent in Geschichten aufscheinen. Dabei ist ein Quentchen Konfuzianismus mit eingeflossen. Die journalistische Devise nämlich heisst nach einem Diktum von Meister Kong: Betone das Gute, vernachlässige das Schlechte. Es ist auch ein Kontrapunkt zur westlichen News-Leitlinie, wonach gute Nachrichten keine Nachrichten sind, dafür aber Schlechte Nachrichten die News ausmachen.
„Unser Name lautet ‚Partei‘“
Bei „Xinwen Lianbao“ jedenfalls musste Xi Jinping offenbar niemanden mehr überzeugen. Gut sichtbar im Nachrichtenraum hiess es für die ganze Nation sichtbar auf einem roten Spruchband: „Unser Name lautet ‚Partei‘! Wir sind absolut loyal! Bitte inspizieren Sie uns!“ Die chinesischen Medien landauf landab überschlugen sich in langatmigen Berichten und politisch korrekten Kommentaren. Einer der Kommentatoren war so gerührt, dass er seine Emotionen in Verse goss.
Nur einer wagte in zwei Einträgen auf Sina Weibo zu widersprechen: Ren Zhiqiang, Parteimitglied und schwerreicher Immobilien-Tycoon. Ren hat über dreissig Millionen Follower auf seinem Blog in den sozialen Medien und ist des öfteren schon mit kritischen und kontroversen Äusserungen aufgefallen. Die Medien, so Ren frei nach Mao, sollten dem Volk dienen. Allerdings spitzt Ren zu. Die Medien würden mit Steuergeldern finanziert und sollten so der Öffentlichkeit und weniger der Führung dienen.
Die Antwort liess nicht lange auf sich warten. Das städtische Parteikomitee von Peking warf Ren vor, anti-kommunistische Gedanken zu verbreiten mit der Absicht, die Herrschaft der Partei zu stürzen und westlichen Konstitutionalismus in China einzuführen. Ren’s Weibo-Äusserungen wurden, wen wundert es, von der Internet-Polizei umgehend gelöscht. Eine Professorin der Parteischule reagierte auf die Äusserungen Rens und forderte wenigstens innerhalb der Partei das freie Wort. Doch auch diese Wortmeldung wurde alsobald gelöscht.
Chaos verhindern
Warum will Parteichef Xi gerade jetzt die Medien massregeln und enger an die Partei binden? Vermutlich hat Xi vor dem 19. Parteitag im kommenden Jahr die Absicht, seine Position zu festigen. China ist nach 37 Reformjahren zudem in einer schwierigen, entscheidenden Phase seiner neuesten Entwicklung. Xi und die Partei müssen den Übergang von einem alten zu einem neuen Wirtschaftsmodell schaffen, also von Export- und Investitionsabhängigkeit mit hohen Schulden zu mehr Binnennachfrage, Konsum, Innovation und Umweltschutz. Um das zu schaffen, braucht es im Partei-Jargon ausgedrückt „soziale Stabilität“.
Das heisst auch, den da und dort auflackernden Unmut und die mannigfaltigen Frustrationen des Volkes in engen Grenzen zu halten. Die geschichtsbewussten roten Mandarine wissen, dass Chaos (Luan) schon manchen Kaiser das Mandat des Himmels, also die Macht gekostet hat. Das Chaos der Kulturrevolution diente so dem Reform-Architekten Deng Xiaoping bei den Demonstrationen von Arbeitern, Studenten, Beamten und Intellektuellen 1989 auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen als Begründung für den Einsatz der Armee.
Mit einer wohldosierten Propaganda, so das Kalkül von Parteichef Xi, kann Chaos verhindert und Stabilität gewährleistet werden. Nicht nur die Journalisten freilich sind gefordert. Xi machte auch klar, dass Partei- und Regierungsbeamte auf allen Stufen verpflichtet seien, sich mehr um die Sorgen und Ängste des Volkes kümmern und proaktiv informieren müssten.
Viele Medienschaffende, so ist in den letzten Jahren zu beobachten, verabschieden sich von ihrem einstigen Traumberuf. Wenn schon Propaganda, so mir bekannte Journalisten, dann lieber gerade PR oder Regierungskommunikation. Das ist weniger gefährlich. Und – auch in China – sehr gut bezahlt.