«Giorgia Meloni ist schlafen gegangen. Sie ist glücklich.» Mit diesen Worten kommentierte der rechtsgerichtete Marco Marsilio am Montag früh um 02.59 Uhr seinen Sieg bei den Regionalwahlen in den Abruzzen.
Die Wahllokale waren um 23.00 Uhr geschlossen worden. Erste Exit-Polls deuteten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Rechts- und den Linksparteien hin. Doch schon kurz vor Mitternacht wurde klar: Der Wind dreht zugunsten des von Giorgia Meloni unterstützten Rechtsbündnisses.
Kurz vor 03.00 Uhr stand dann fest: Der rechtsgerichtete Spitzenkandidat Marco Marsilio, der bisherige Gouverneur der Abruzzen, erhielt 53,5 Prozent der Stimmen. Sein Gegenkandidat, der linke ehemalige Rektor der Universität Teramo, kam auf 46,5 Prozent.
Ob er schon mit Regierungschefin Giorgia Meloni gesprochen habe, wurde Marsilio von Journalisten nach Bekanntgabe der dritten Hochrechnung gefragt. «Meloni ist schlafen gegangen», antwortete er. «Sie ist glücklich.»
Die Abruzzen, eine Festung der Rechtsparteien
Also: Das «linke sardische Wunder» wiederholte sich nicht. Damals, vor zwei Wochen, ist es auf der Mittelmeerinsel Sardinien der linken Spitzenkandidatin völlig überraschend gelungen, ihren rechtsgerichteten Gegenkandidaten hauchdünn zu schlagen. Kommentatoren fragten sich daraufhin: Hat jetzt der Wind in Italien gedreht? Führt der linke sardische Sieg zu einem Domino-Effekt im ganzen Land? Laufen nun Meloni die Wählerinnen und Wähler davon?
Nichts dergleichen. Der linke Sturm auf die abruzzesische «melonische Festung», wie sie die Römer Zeitung La Repubblica nennt, ist gescheitert.
Die Abruzzen haben für Melonis Partei, die postfaschistischen «Fratelli d’Italia», grosse symbolische Bedeutung. Hier, in der gebirgigen Region, die bis an die Adria reicht, hatten die Fratelli ihre ersten grossen Erfolge gefeiert. Marco Marsilio, der jetzt siegreiche bisherige und neue Regionalpräsident (auch Gouverneur genannt), ist seit über dreissig Jahren eng mit Meloni befreundet. Beide sind im neofaschistischen «Movimento sociale Italiano» (MSI) sozialisiert worden. Der MSI war die Nachfolgepartei von Mussolinis Faschistischer Staatspartei (Partito Fascista Repubblicano).
Der bittere Alltag
Nach dem Sieg in den Abruzzen erhält nun Meloni eine Verschnaufpause. Diese braucht sie dringend. Denn trotz des Sieges in den Abruzzen beginnt ihr einst leuchtender Stern ganz sachte zu verblassen. Für sie und ihre Regierung hat der bittere Alltag begonnen. In ihrer Regierungskoalition, die neben den Fratelli d’Italia auch aus Matteo Salvinis «Lega» und der Berlusconi-Partei «Forza Italia» besteht, werden mehr und mehr Spannungen sichtbar.
Während Monaten glänzte Meloni mit verheissungsvollen Versprechungen und Proklamationen. Jetzt wird sie an den Taten gemessen. Und die sind keineswegs nur positiv. So hatte Meloni versprochen, die Migration zu drosseln, doch noch nie kamen so viele Flüchtlinge ins Land wie jetzt. Die italienische Bürokratie bringt viele Bürgerinnen und Bürger zum Verzweifeln, obwohl Meloni schnelle Gesundung versprochen hatte. Die meisten Gerichtsverfahren verjähren, weil die Gerichte überfordert sind oder schlampig arbeiten. Die Spitäler sind überfüllt, es fehlt an Spitalbetten, Ärzten und an Pflegepersonal. Die Infrastruktur befindet sich da und dort in einem jämmerlichen Zustand. Mit grossen Worten hatte die Regierung angekündigt, sie wolle und werde die Sicherheit im Land «radikal verbessern». Von alldem ist bisher nichts verwirklicht. Viele fürchten, dass ein grosser Teil der 200 Milliarden Euro, die die EU Italien als Aufbauhilfe zugesprochen hatte, verpuffen oder in die Hände der Mafia gelangen.
Natürlich kann keine Regierung in kurzer Zeit Wunder bewirken. Doch Meloni ist jetzt 17 Monate an der Macht. Und fast nirgendwo sind zumindest erste Anzeichen einer Besserung in Sicht. Viele Italiener werfen der Regierungschefin vor, sie lasse sich lieber im Ausland feiern und von Joe Biden und Ursula von der Leyen küssen – anstatt die riesigen Probleme im eigenen Land anzugehen.
Jahrzehntelang zerstritten
Der nächste Test für Meloni folgt schon bald. Am 21. April finden Regionalwahlen in der süditalienischen Region Basilikata statt. Am 9. Juni folgen die Europawahlen und Regionalwahlen im Piemont.
Die Enttäuschung der Linken ist umso grösser, weil es ihr gelungen war, ein breites Bündnis für ihren Spitzenkandidaten Luciano D’Amico zu zimmern. Er, ein angesehener ehemaliger Universitätsrektor, wurde vom sozialdemokratischen «Partito Democratico» (PD), den «Cinque Stelle», Carlo Calendas «Azione» sowie von Matteo Renzis «Italia via» und linken Kleinstparteien unterstützt.
Dass sich die Linksparteien vor zwei Wochen in Sardinien und jetzt in den Abruzzen zusammenraufen konnten, wurde von vielen als «linkes Wunder» bezeichnet. Denn die italienische Linke war jahrzehntelang zerstritten und leistete es sich so, manchen Sieg zu verspielen.
Schlechtes Ergebnis für die Fünf Sterne
Ob dieses jetzt gezimmerte linke Bündnis nach der Niederlage in den Abruzzen hält, ist unsicher. Vor allem Giuseppe Conte, der frühere Ministerpräsident und jetzt Vorsitzender der einstigen Protestpartei Cinque Stelle, legt sich immer wieder quer. Ein wirklich stabiles Bündnis zwischen den Sozialdemokraten und den Fünf Sternen gibt es nicht. Giuseppe Conte fürchtet, unter die Räder der Sozialdemokraten zu gelangen, und greift deshalb die sozialdemokratische Parteichefin Elly Schlein immer wieder an. Sie macht gute Miene zum bösen Spiel, obwohl ihr die zweideutigen Erklärungen Contes zu Trump und Russland zuwider sind.
Contes nicht immer klare Haltung hat sich jetzt allerdings nicht ausbezahlt. Während die Sozialdemokraten 20,4 Prozent der Stimmen einheimsten, kamen die Cinque Stelle auf sehr bescheidene 7,0 Prozent. Mit einem solchen Resultat kann Giuseppe Conte, der frühere Ministerpräsident und jetzige Parteichef der Fünf Sterne, wenige Forderungen stellen. Doch vielleicht entschliesst er sich wieder zum Alleingang, weil er zum Schluss gelangt, dass ihm das Bündnis mit den Sozialdemokraten eben doch nichts nützt.
Für Salvini wird es unangenehm
Meloni konnte sich ruhig schlafen legen, weil sie gewonnen hat. Die Linke ist zwar enttäuscht, kann aber mit Recht behaupten, dass sie ehrenvoll verloren hat. Für einen jedoch endeten die Wahlen mit einem Desaster.
Bei den Regionalwahlen in den Abruzzen vor vier Jahren erzielte Lega-Chef Matteo Salvini mit 27,5 Prozent der Stimmen ein Rekordergebnis. Seither wird seine teils rassistische Partei immer mehr von Melonis Fratelli aufgesogen. Salvini, der Beziehungen zu Rechtsextremen pflegt und einst den Euro als «kriminelle Währung» bezeichnete, verliert und verliert. Er, der stellvertretende Regierungschef, hat bei den Wahlen in Sardinien mit 3,7 Prozent der Stimmen das dreizehntbeste (!) Ergebnis erzielt. Er lag noch hinter Kleinstparteien und lokalen Bürgerbewegungen. All das liess wenig Gutes für die gestrige Wahl in den Abruzzen erwarten. Und es kam, wie es kommen musste. Salvinis Lega kam auf 7,7 Prozent der Stimmen – fast 20 Prozent weniger als vor vier Jahren. Jetzt wird es unangenehm für ihn. Jetzt ist «die Ablösung von Salvini in der Partei kein Tabu mehr», schreibt La Repubblica.