In seiner Albisgüetli-Abschiedsrede vom vergangenen Freitag wiederholt Altbundesrat Blocher einmal mehr seine altbekannten Aussagen zu EU und Migration. Sie sind voller Verdrehungen und eigentlicher Unwahrheiten.
In einem langen Interview in den TA-Medien am Wochenende vom 13./14. Januar spielte der Milliardär Blocher den Beschützer der Heimat mit Herz für die Armen: «Ich wäre (…) sogar für eine 14. AHV-Rente.» Seine Aussagen in seiner letzten Rede zu EU und Migration, die er im Albisgüetli schlagwortartig wiederholt hat, zeigen aber, was er war und bleibt: ein polternder Populist.
Unnötig? Kolonialvertrag? Einfach?
Eine Einigung mit der EU, wie sie sich mit den kommenden Verhandlungen über die zukünftige Regelung des Verhältnisses der Schweiz zur EU (Bilaterale III) allenfalls zu Stande kommt, sei ein unnötiger «Kolonialvertrag». Sachprobleme mit der EU könnten mit einem einfachen Vertrag geregelt werden.
Das sind gleich drei Unwahrheiten hintereinander. Der Vertrag ist bitter nötig, um der Schweiz den Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu erhalten, was eine Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizern befürwortet. Die Schweiz als Kolonie der EU? Also von Deutschland, Frankreich, Italien und anderen europäischen Staaten, die uns politisch und wirtschaftlich am nächsten stehen?
Diese zweite Unwahrheit ist einfach lächerlich. Blocher will wohl ein Alpen-Monaco, wo Reiche aus aller Welt sowie gewisse Banken und Finanzunternehmen profitieren, die grosse Mehrheit aber leiden würde: wirtschaftlich beispielsweise unter erhöhten Importpreisen und der Abschnürung unserer bi- und trinationalen Grenzregionen von ihrem europäischen Hinterland, politisch unter einer weiteren Entfremdung des europäischen Kernlandes Schweiz von Europa.
Die dritte Unwahrheit, es genüge ein einfacher Vertrag, ist besonders dreist. War es doch Blocher, der 1992 mit millionenschwerer Schmutzkampagne gegen den Beitritt der Schweiz zum EWR (Europäischen Wirtschaftsraum) die Volksabstimmung zum Kippen ins knappe Nein brachte. Der EWR-Beitritt wäre nämlich die heute von der SVP geforderte einfache Lösung für den Zugang zum Binnenmarkt gewesen. Seither sind zwar Notlösungen gefunden worden. Diese sind nun aber zu Ende. Für einen Vertrag braucht es zwei Seiten. Die EU hat seit Jahren das Ende von Notlösungen signalisiert.
Befehlsempfang aus Herrliberg
Blocher beschimpft im Interview einmal mehr die Classe politique, welche die lästigen Volksabstimmungen und das Ständemehr beseitigen wolle. Schwerer wiegt allerdings, dass die beiden SVP-Bundesräte ohne Beschluss der Gesamtregierung bei ihren internationalen Kontakten am WEF in Davos behaupteten, eine Volksabstimmung zu einem Vertrag mit der EU erfordere das doppelte Mehr, also die Mehrheiten von Volk und Kantonen.
Das geht in Richtung Befehlsempfang aus Herrliberg für Minister, die unabhängig von ihrer Partei zum Wohl des Landes entscheiden sollten. Die Bilateralen I und II sind beide dem einfachen Referendum unterstellt worden, weil darin keine Veränderung der Bundesverfassung – Grundvoraussetzung des obligatorischen Referendums mit doppeltem Mehr – vorgesehen war. Dies müsste logischerweise auch auf die kommenden Bilateralen III zutreffen.
Beteiligung an gesamteuropäischen Aufgaben
Die EU brauche «Geld, Geld, Geld», behauptet Blocher weiter. Er meint damit auch den Kohäsionsbeitrag, der mit den Bilateralen III auf eine solide Basis gestellt werden soll. Die Schweiz leistet diesen Beitrag seit Jahren, um zum Ausgleich zwischen West und Ost im Binnenmarkt beizutragen. Dies geschieht auch in unserem eigenen Interesse, ist doch gerade die exportabhängige Schweiz auf prosperierende Märkte angewiesen. Es handelt sich um Mittel, die im Interesse Gesamteuropas eingesetzt werden. An dessen Stärkung muss sich in diesen Zeiten von europäischen und globalen geopolitischen Verwerfungen auch das Nichtmitglied Schweiz, das nichts für das reguläre EU-Budget leistet, beteiligen.
Geld braucht Europa tatsächlich für die grossen Zukunftsprobleme: Klimawandel, Regulierung von Technologie, sicherheitspolitische Probleme angesichts eines MAGA-Präsidenten Trump in den USA, illegale Immigration. Alles Probleme, welche auch die Schweiz betreffen und welche wir in enger Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern besser und kostengünstiger regeln werden als im Alleingang.
Arbeitskräfte und Personenfreizügigkeit
Arbeitskräfte fänden wir auch ohne Personenfreizügigkeit, meint Blocher weiter. Das ist zumindest eine grobe Verdrehung. Gerade die Personenfreizügigkeit im EU-Binnenmarkt, der sich die Schweiz mit dem bilateralen Freizügigkeitsabkommen von 1999 (FZA) angeschlossen hat, garantiert, dass die gesuchten qualifizierten Fachkräfte, die wir dringend nötig brauchen, ohne administrative Probleme gefunden werden können. Denn diese kommen primär aus der EU. Die SVP-Initiative gegen das Freizügigkeits-Abkommen («Begrenzungsinitiative») haben Volk und Stände 2020 mit über 60 Prozent verworfen.
In diesem wichtigen Bereich der nun abgeschlossenen Vorverhandlungen zwischen der Schweiz und der EU für die Bilateralen III konnten hier bereits die Umrisse von fairen Kompromissen zwischen allgemeinen EU-Regelungen und spezifisch schweizerischen Bedürfnissen gefunden werden. So insbesondere beim Lohnschutz, der Sozialhilfe und dem Landesverweis bei Strafverfahren. – Doch davon redet Blocher nicht.