Präsident Macron wollte vor zwei Wochen mit einer dieser konventionellen Fernsehansprachen ans Volk nach drei Monaten Aufruhr gegen seine Rentenreform zur Tagesordnung übergehen und das Land wieder zur Ruhe bringen. Doch von Ruhe ist keine Rede, es herrscht Lärm. Denn der Präsident muss sich mit einem weiteren Gegner herumschlagen – mit einem lautstarken Küchengerät.
Man schrieb Donnerstag, den 20. April, als im südfranzösischen Departement Herault der Präfekt, dieser verlängerte und allmächtige Arm der Pariser Zentralregierung, verordnete, dass in einem Städtchen Namens Ganges – am Fuss der Larzac-Hochebene – an jenem Tag das «Mit-Sich-Führen und Benutzen von laut schallenden und tragbaren Vorrichtungen» von morgens bis abends verboten sei.
Gehört werden
Es braucht schon das genormte Hirn eines Abgängers der Elitehochschule ENA um eine derart weltfremde Umschreibung für einen simplen Gebrauchsgegenstand zu erfinden, für eine Gerätschaft über die jeder im Land, auch der Ärmste, verfügt und die da heisst: Kasserolle.
Jeder einigermassen normale Bürger hielt diese Verordnung für einen Witz, doch in Ganges war an jenem Tag eben gar nichts normal und zugleich im Grund alles ein Witz. Präsident Macron höchstpersönlich hatte sich angekündigt für einen Schulbesuch, bei dem er sich über die Erhöhung von Lehrergehältern auslassen und vage Versprechungen machen wollte.
Der Präsident hatte – nachdem er während der Rentenreformkrise drei Monate lang so gut wie untergetaucht war – beschlosssen, von nun an eine Zeitlang den Präsidenten zu geben, der auszieht, um das Land zu beruhigen, wie er es in seiner fast hilflosen und aussergewöhnlich hohl klingenden Fernsehansprache am 17. April angekündigt hatte.
Ausgerechnet derjenige, der mit seiner unnachgiebigen Haltung in Sachen Rentenreformgesetz und einer Reihe von verbalen Provokationen in den letzten drei Monaten die Spannungen und die Wut im Land losgetreten hat, will nun also den Friedensapostel spielen? Kein Wunder, dass das seit zwei Wochen nicht, aber auch gar nicht funktioniert.
Kasserollen sind überall
Ganz im Gegenteil. Verlassen Präsident Macron oder seine Minister derzeit ihre Trutzburgen in Paris, den Goldstuck des Élyséepalastes oder der gesicherten Ministerien, um sich in der Provinz unters Volk zu mischen und eine gewisse Nähe vorzutäuschen, so werden die Herrschaften aus Paris systematisch und gnadenlos vom Lärm der Pfannen, Kochtöpfe, Trillerpfeifen und mit unfreundlichen Slogans empfangen, ja regelrecht verfolgt.
Über 30 Ministerreisen sind in den letzten 14 Tagen gestört worden, manche haben ihre Ausflüge in die Provinz kurzfristig ganz abgesagt, andere mussten mit den lautstarken Demonstranten Katz und Maus spielen, indem sie ihre Termine oder ihre Auftrittsorte kurzfristig verlegten, um unvorteilhaften, erniedrigenden Videoaufnahmen zu entkommen. Der Bildungsminister zum Beispiel wagte sich in Lyon erst gar nicht zu einem seiner Termine und musste bei seiner Rückkehr nach Paris eine gute halbe Stunde in seinem TGV ausharren, die Zeit, die für die Einrichtung eines Sicherheitskordons nötig war, weil ihn im Gare de Lyon ein beachtliches und extrem lautes Empfangskomitee am Ende des Bahnsteigs erwartete.
Badeverbot in der Menge
Zu Zeiten, als die Wut auf die Hausherren im Élysée noch nicht Dimensionen wie heute angenommen hatte, war bei derartigen Ausritten in die Provinz nach Terminen mit ortsansässigen Würdenträgern und Honoratioren in Rathäusern, Fabriken, Gemeindesälen oder Schulen anschliessend das so genannte «Bad in der Menge» so etwas wie eine obligatorische Stilübung.
Im Grunde ging es – überwiegend für die Fernsehbilder in den Abendnachrichten – um zehn Minuten Händeschütteln, Selfies, Küsschen für Kinder, die sich auf der anderen Seite der eisernen Absperrgitter befinden, wo normalerweise in der ersten Reihe nur Bürger platziert werden, von denen die Behörden vor Ort wissen, dass sie keinen Ärger machen.
Doch, wie gesagt, eben das geht jetzt nicht mehr. Zu gross ist der Hass auf den Mann aus dem Élysée mittlerweile, als dass die Sicherheitskräfte auch nur das geringste Risiko eingehen würden.
Überall im Land, wo Präsident oder Minister nun ihre gut beschuhten Füsse hinsetzen, tönen «Vorrichtungen, die tonverstärkend sind», wie ein anderer Präfekt in einem anderen Verbotserlass die Kasserolle umschrieb anlässlich des nächsten Provinzausflugs von Präsident Macron.
Nebenbei hatte der übereifrige Präfekt auch noch «jede Ansammlung oder Demonstration, die mit Forderungen verbunden sind» schlicht verboten.
Gerichte kippen Erlasse
Der vorauseilende Gehorsam der Zentralstaatsvertreter in den Präfekturen treibt inzwischen die wildesten Blüten. Oder passiert das bewusst und auf Geheiss des Élyséepalastes ?
Wie auch immer: Die Verwaltungsgerichte haben all diese Verbote der Präfekten für unbegründet und unzulässig erklärt, mit Argumenten, die für Regierung und Präsident wie schallende Ohrfeigen klingen.
Im Grunde kein Wunder, dass diese Demonstrationsverbote kassiert wurden, denn die Präfekten hatten zur Begründung ihrer Verbotsserie doch tatsächlich nichts anderes gefunden als einen Paragraphen in einem Antiterror-Gesetz. Wenigstens behielten die Gerichte in dieser aufgewühlten Stimmung, in der die Macht angeblich selbst durch Kochtöpfe bedroht ist, noch einen klaren Kopf und befanden, dass eine Kasserolle nun wahrlich nichts Terroristisches an sich hat.
Eine lange Geschichte
Lärm mit Kasserollen wurde in Frankreich schon ab dem 16. Jahrhundert gemacht. Damals diente er dazu, sich über einen männlichen Mitbürger von einem gewissem Alter lustig zu machen, der sich in zweiter Ehe mit einer weitaus jüngeren Frau vermählt hatte. Statt Serenaden gab es Kochtopfkonzerte.
Politisch wurde das Ganze dann gegen 1830. Als nach der dreitägigen Revolution in jenem Jahr Louis Philippe die Julimonarchie ausrief, zog man in Paris mit den Kasserollen durch die Strassen und forderte weiter das allgemeine Wahlrecht. Diese lautstarken Unmutsbekundungen unter den Fenstern von Abgeordneten waren die Stimmen der Stimmlosen. Man fand für diese Auftritte das lautmalerische Wort «Charivari», ja es gab sogar eine Zeitung, die diesen Titel trug. Heute, es mag Präsident Macron gefallen oder nicht, bedeuten die scheppernden Kasserollen-Geräusche schlicht und einfach: «Ihr da in der Regierung und du da, der Präsident, hört uns endlich zu!» Ganz so wie die Aktivisten der Gelbwestenbewegung vor vier Jahren, die dieses reflektierende Kleidungsstück trugen, um zu sagen: «Ihr da oben, schaut her, wir sind da, wir existieren, wollen respektiert werden und Ihr könnt uns nicht zum Schweigen bringen.»
Der Präsident goutiert das nicht
Doch bei den Regierenden liegen die Nerven nach drei Monaten Protesten gegen die Rentenreform mittlerweile reichlich blank, zumal niemand so recht weiss, wie man aus dem Schlamassel wieder herausfinden könnte. Vor allem Präsident Macron hat von Anfang an äusserst gereizt auf das Kasserolle-Getöns reagiert.
«Kasserollenklänge werden Frankreich nicht voranbringen und mit solchen Kochgeräten kann man auch nicht diskutieren», giftete ein sichtlich genervter Präsident im Departement Haut-Rhin, wo die Serie von Kasserolle-Konzerten vor 14 Tagen ihre grosse Premiere feierte. Und der Präsident sah sich bemüssigt hinzuzufügen: «Eier und Kasserollen dienen bei mir zu Hause zum Kochen.» Jupiter war verstimmt.
Vielleicht auch überrascht, dass das erste Kasserollen-Konzert ausgerechnet im sonst so braven und durchaus nicht aufmüpfigen Elsass stattfand, wo der Élyséepalast ganz offensichtlich nicht mit einem derartigen Empfang gerechnet hatte.
Dafür klagt jetzt doch tatsächlich der Staat via des Präfekten im Namen von Präsident Macron wegen «Beleidigung» gegen drei Personen, die bei dieser ersten «Casserolade» vor fast zwei Wochen im Kleinstädtchen Sélestat dem Präsidenten den Stinkefinger gezeigt hatten.
Mangel an Souveränität
Hätte der Präsident, wie in seiner Fernsehrede vom 17. April angekündigt, die Stimmung im Land in den kommenden 100 Tagen – ausgerechnet bis zum 14. Juli, dem Nationalfeiertag – wirklich beruhigen wollen, hätte er auf seine provozierenden Äusserungen verzichten und sich wahrlich weniger ungeschickt anstellen müssen, etwa indem er sich ein Beispiel an einem seiner Vorgänger, an Jacques Chirac, genommen hätte.
Dem rief einst bei einem Besuch in der Provinz ein Mann aus der Menge hinter den Absperrgittern ein sonores «Connard» ( A.......h) entgegen, worauf Chirac mit ausgestreckter Hand auf den Rufer zuging und erwiderte:
«Angenehm, ich heisse Jacques Chirac. Und mit wem habe ich die Ehre?»
Eine ordentliche Portion souveräner Gelassenheit damals, eine humorlose, autoritäre Reaktion heute, als sei der Stinkefinger eine schlimme und wahrlich skandalöse Majestätsbeleidigung des republikanischen Monarchen.
Und damit nicht genug: weil Gewerkschafter des Energiekonzerns EDF, als der Präsident eine Holzfabrik im Elsass besuchte, den Strom heruntergefahren hatten, damit es um den Präsidenten herum möglichst duster wurde, wird gegen sie ebenfalls ein Verfahren angestrengt.
Damit die ohnehin überlasteten Gerichte sich nicht weiter mit derartigen Kleinigkeiten beschäftigen müssen, wird jetzt offensichtlich vorgesorgt.
Als der Präsident sich zu einer weiteren Reise ins tiefe Frankreich aufmachte, hatten die Logistiker im Präsidialamt wirklich an alles gedacht und doch tatsächlich einen Dieselgenerator vor Ort in Bereitschaft gestellt für den Fall, dass die Gewerkschafter von EDF erneut auf dumme Gedanken kommen und den Präsidenten nochmals im Dunkeln stehen lassen.
Jupiter muss sich verstecken
Den Gipfel der Ängstlichkeit im Élysée und der Manipulationsstrategien, um unangenehme Bilder oder Töne zu umgehen, erlebte man letzten Samstagabend.
Das traditionelle und sehr populäre Fussball- Pokalfinale im Stade de France, vor den Toren von Paris, stand an.
Seit Jahrzehnten ist es Tradition, dass der Staatspräsident bei diesem Ereignis nicht nur im Stadion präsent ist, sondern die Spieler vor Beginn des Matches mit Handschlag auf dem grünen Rasen begrüsst und am Ende den Gewinnern auch dort den Pokal überreicht.
Zwei Programmpunkte, die diesmal gnadenlos gecancelt wurden, denn es hätten sich ja Pfiffe, Empörung und Gejohle im weiten Oval breitmachen können.
Also stieg das Staatsoberhaupt ungesehen in die Katakomben des Stade de France hinab und schüttelte im Mief der Gänge vor den Kabinen den Balltretern die Hände. Immerhin war wohl eine Kamera zugelassen, um das Ganze zu verewigen. Und nach dem Spiel? Der Präsident, der während der gesamten 90 Minuten der Begegnung nie auf einer der Grossleinwände im Stadion und auch nicht auf den Fernsehschirmen gezeigt worden war, stand weit oben auf der Tribüne und liess die Spieler an sich vorbei defilieren.
Die Gewerkschaften hatten vor dem Spiel 30’000 Rote Karten und Trillerpfeifen vor den U- und S-Bahnausgängen verteilt, um den Präsidenten im Stadion symbolisch des Feldes zu verweisen. Selbst da musste wieder ein Gericht einschreiten, denn auch diesmal hatte der Präfekt versucht, diese Aktion zu verbieten.
Ein paar hundert Meter weit trugen die Fans dann das gefährliche Protestmaterial mit sich, am Stadioneingang war aber bereits wieder Schluss. Die Kontrolleure waren gehalten, die subversiven Gegenstände, Rote Karte und Trillerpfeife, einzukassieren.
Verdammt, noch vier Jahre
Alles in allem gilt zur Zeit und wohl noch für einige Wochen: Präsident Macron und seine Minister können sich kaum noch aus ihren Pariser Trutzburgen herauswagen, ohne die schrillen oder dumpfen Töne von gewissen Küchengeräten und anderen «sonoren Vorrichtungen» erdulden zu müssen.
Für einen Jupiter, der vor sechs Jahren quer durch Europa noch als eine Art Lichtgestalt gefeiert wurde und dem seitdem einiges all zu sehr zu Kopf gestiegen zu sein scheint, ein reichlich trauriges Ende, zumal dieses Ende sich über vier Jahre hinziehen wird.
Die legendäre satirische Fernsehsendung «Les Guignols» hatte einst der Puppe von Präsident Jacques Chirac während dessen zweiter Amtszeit den Satz in den Mund gelegt: «Putain, encore deux ans», im Sinne von: Verdammt, ich muss noch zwei Jahre über die Bühne bringen und mir fällt nichts mehr ein.
Macron hat, wie gesagt, noch das Doppelte an Zeit vor sich. Angesichts des völlig verfahrenen Karrens und der Stimmung im Land, kann man da nur sagen: «Bon courage, Monsieur le Président.»