Seit zwei Jahren ist in Oman Sultan Haitham bin Tariq Al Said an der Macht. Der neue Herrscher hat in Maskat das Erbe seines Cousins Kabus bin Said Al Said angetreten – eine Hinterlassenschaft, die zu verwalten angesichts wachsender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Herausforderungen nicht leicht fallen dürfte. Noch aber ist Oman stabil und sicher.
Zwar wird das Sultanat Oman seit dem 11. Januar 2020 von Haitham regiert, aber fast könnte einer meinen, sein Vorgänger Kabus sei nicht gestorben, sondern mit ihm zusammen nach wie vor an der Macht. Im Land jedenfalls wird öffentlich stets noch beiden Herrschern die Ehre erwiesen und auch im Empfangsraum der «Mission permanente» des Sultanats in Genf hängen die Bilder von Haitham und Kabus in Plakatgrösse nebeneinander an der Wand über dem Cheminée.
Mit dem Tod von Sultan Kabus vor drei Jahren habe sich in Oman nichts geändert, betont Botschafter Idris Abdul Rahman Al Khanjari, und auch die Machtübergabe in Maskat, von Kabus so geplant, sei innerhalb der Königsfamilie und des einflussreichen Defence Council, des obersten Sicherheitsgremiums der Nation, völlig reibungslos verlaufen. Dabei war zum Voraus nicht klar gewesen, wer dem kinderlosen Kabus auf den Thron folgen würde.
Aussergewöhnliche Briefwahl
Bekannt war nur, dass der Sultan den Namen des Wunschnachfolgers in einem Brief handschriftlich festgehalten hatte, dessen Couvert erst nach seinem Tod geöffnet werden durfte. Auf Spekulationen, wer das sein könnte, liessen sich Leute aus dem Umfeld des Herrschers zu dessen Lebzeiten nicht ein. Einer seiner engsten Berater antwortete auf entsprechende Fragen hin lediglich, der fragliche Name im Briefumschlag könne auch jederzeit ausgetauscht werden. Dass Haitham der designierte Nachfolger war, erfuhren die meisten Omaner live am Fernsehen.
Zumindest für Aussenstehende war der 68-jährige Haitham bin Tariq Al Said 2020 eine weitgehend unbekannte Grösse. Was nicht aussergewöhnlich war angesichts des Umstands, dass Kabus als Alleinherrscher die Ämter des Ministerpräsidenten, des Verteidigungs-, des Finanz- und des Wirtschaftsministers sowie des Chefs der Zentralbank auf sich vereinigt hatte. Anders als seine beiden Halbbrüder Assad und Shihab oder als Cousin Kabus hat Sultan Haitham keinen militärischen Hintergrund und war in der Aussenpolitik, in der Geschäftswelt und in kulturellen Angelegenheiten engagiert. Anders als sein Vorgänger ist er verheiratet und Vater von zwei Söhnen und zwei Töchtern.
Omans erster Kronprinz
Am Pembroke College der Universität Oxford ausgebildet, wo er Diplomatie studierte, war Haitham Staatssekretär im Aussenministerium in Maskat, wo er während 16 Jahren arbeitete – eine Erfahrung, die ihm gut anstehen dürfte, denn als Sultan wird er über viel diplomatisches Geschick verfügen müssen, um Omans traditionelle Politik des Ausgleichs in einer unruhigen Region weiterzuführen. Was er denn in ersten öffentlichen Äusserungen auch betonte, als er von «friedlichem Zusammenleben» und «guter Nachbarschaft» sprach. Auf jeden Fall soll Oman jüngst bei der von Peking vermittelten Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien auch eine Rolle gespielt haben.
2002 wurde Haitham Minister für Kultur und nationales Erbe, angesichts der Vorliebe seines Vorgängers für beide Bereiche alles andere als ein unwichtiger Posten. Auch in seiner Familie spielt Kultur eine wichtige Rolle: Sein ältester Sohn, der 33-jährige Dhi Yazan, ist als Graffiti-Künstler bekannt. Wie sein Vater hat er in Oxford studiert, politische Wissenschaften, und wie sein Onkel Kabus eine Ausbildung an der britischen Militärakademie in Sandhurst durchlaufen. Inzwischen ist Dhi Yazan Omans erster Kronprinz des Sultanats und nach einem Praktikum auf der omanischen Botschaft in London seit August Minister für Kultur, Sport und Jugend im Kabinett in Maskat.
In Haithams Amtszeit als Kulturminister und Kulturförderer fiel 2019 die Auszeichnung der omanischen Autorin Jokha Al Harthi mit dem Man-Booker-International-Preis, der jährlich für die beste Übersetzung eines fremdsprachigen Werkes ins Englische verliehen wird. Der Roman «Celestial Bodies», noch nicht ins Deutsche übersetzt, ist vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen im omanischen Dorf al-Awafi situiert und erzählt die Geschichte dreier Schwestern: von Mayya, die in eine reiche Familie hineinheiratet, von Asma, die allein aus Pflichtgefühl eine Ehe eingeht, und von Khawa, die auf einen Mann wartet, der nach Kanada ausgewandert ist.
2013 betraute Sultan Kabus Cousin Haitham mit dem Vorsitz des Komitees, welches das nationale Entwicklungsprogramm «Vision 2024» entwerfen sollte. «Vision 2040» präzisiert, wie sich das Sultanat von der Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas lösen soll. Haithams Ernennung war insofern überraschend, als er für ein luxuriöses Immobilienprojekt namens «Blue City» verantwortlich war, das die Regierung ein Jahr zuvor vor dem Bankrott hatte retten müssen. Dies kurze Zeit nach dem Arabischen Frühling 2011, als auch in Oman Themen wie Korruption, Verschwendung öffentlicher Gelder und das Verhalten nationaler Eliten aufs Tapet kamen.
«Omansierung» als Herausforderung
Für Sultan Haitham wird es wichtig sein, das Vertrauen einer Bevölkerung zu gewinnen, deren Zuneigung zu Kabus fast grenzenlos war. Mit entscheidend dürfte sein, ob es dem neuen Herrscher gelingt, die hochgesteckten Erwartungen der Jugend seines Landes zu erfüllen. Gleichzeitig wird er unpopuläre Massnahmen treffen müssen, um den Haushalt des Landes erneut ins Lot zu bringen und längerfristig zu stabilisieren. Unter anderem wird er Omans reiche Kaufmannsfamilien dazu bewegen müssen, mehr im Lande zu investieren, und zudem mehr ausländisches Kapital anlocken müssen. Dies im Rahmen einer Wirtschaft, die seit jeher auf internationalem Handel und nicht auf industrieller Produktion basiert.
In erster Linie gilt es in Oman, den Privatsektor zu fördern und die Wirtschaft, d. h. Arbeitsplätze zu «omanisieren», wie das gängige Schlagwort heisst, das in der Region in nationalen Varianten seit längerem aufzutauchen pflegt und alle Ölemirate am Persischen Golf umtreibt – so etwa auch Katar, wo Ausländer 88 Prozent der Bevölkerung ausmachen, ein Anteil, der im Sultanat je nach Quelle zwischen rund 30 Prozent und 44 Prozent von, 4,9 Millionen Einwohnern beträgt.
Doch die Diversifizierung der Wirtschaft durch Stärkung des Privatsektors dürfte sich ohne staatliche Finanzspritzen problematisch gestalten – umso eher, als 2021 und 2022 die Rückzahlung grosser Kredite fällig geworden ist. Doch wenn die Regierung in Maskat die öffentlichen Ausgaben kürzt, werden das genau jene Wirtschaftssektoren am deutlichsten zu spüren bekommen, welche die Exekutive eigentlich fördern will. Es dürfte also Sultan Haitham nicht leicht fallen, Omans Wirtschaft so neu zu denken und zu modernisieren, wie es «Vision 2040» plant. Vor allem gilt es, die einheimische Bevölkerung, die sich an einen gewissen Lebensstandard und Wohlstand gewöhnt hat, dafür zu sensibilisieren, allenfalls etwas kürzer zu treten und länger zu arbeiten.
Möglich, wenn auch wenig wahrscheinlich wäre es, dass die reichen Nachbarn dem Sultanat finanziell unter die Arme greifen. Doch wenn Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) das täten, würden sie im Gegenzug wohl erwarten, dass sich Oman entsprechend fügsam gäbe. Was wiederum der eigenständigen Aussenpolitik des Sultanats widersprechen würde, die seit Jahrzehnten stets darauf bedacht ist, Gesprächskanäle in alle Richtungen offen zu halten, also auch nach Teheran.
Grossprojekt Duqm
Im Bau ist im Hinblick auf die Zeit nach dem Öl ist die Freihandelszone Duqm an der Küste des Indischen Ozeans, in der Region Wusta zwischen Muscat und Salalah. Bevor der omanische Staat die Gegend Mitte der 1990er Jahre als Standort entdeckte, war Duqm ein kleines Fischerdorf mit vielleicht 1’000 oder 2’000 Einwohnern. Diese hätten in moderne Häuser umgesiedelt werden sollen, doch viele Neubauten stehen leer: Die lokalen Beduinen ziehen es vor, traditionell in ihren Zelten zu leben und Platz für ihre Kamele zu haben.
Dereinst sollen über 100’000 Menschen in Duqm leben und arbeiten. Geplant sind Schritt für Schritt ein grosser Industriehafen, Industrieanlagen, Einkaufszentren, Spitäler, Moscheen sowie an einem feinen Sandstrand Hotelanlagen für Touristen und ein geologischer Park.
Bereits geöffnet ist ein Trockendock, wo heute britische und amerikanische Kriegsschiffe für Reparaturen anlegen. Ein Grossinvestor des Projekts ist China, das Duqm als Teil der Neuen Seidenstrasse sieht und wohin Oman drei Viertel seines Rohöls exportiert. Noch ungewiss sind die politischen Auswirkungen des Grossprojekts, da sich Duqm in Konkurrenz zum regionalen Logistik-Riesen Dubai begibt und dem Emirat einen Teil des Geschäfts bei der Verschiffung von Waren zwischen Asien und Afrika streitig machen könnte.
Gezielte Frauenförderung
Auch Frauenförderung dürfte ein Anliegen des neuen Sultans sein. Sein Vorgänger hatte Omanerinnen einst «die Hälfte des Potenzials des Landes» genannt. Das hat auch Sultan Haithams Gattin, Ihre Hoheit Lady Assayaida Ahd Abdullah Hamed Al Busaidi, aus Anlass des omanischen Tages der Frau am vergangenen 17. Oktober bestätigt: «Die Präsenz von Omanerinnen auf allen Gebieten und ihr eindrücklicher Beitrag zu Omans umfassender Entwicklung ist die direkte Folge der Aufmerksamkeit und der Fürsorge, die Frauen zuteil geworden ist.» Im Kabinett in Maskat, das lediglich beratende Funktion hat, sitzen derzeit zwei Frauen: eine Ministerin für Erziehung und eine Ministerin für Technologie und Kommunikation. Weitere Omanerinnen besetzen ranghohe Posten in Ministerien.
Die Omanerin Najma Al Zidjaly hat 2011 in der «New York Times» nach Protesten im Rahmen des Arabischen Frühlings geschrieben, wieso Sultan Kabus dermassen populär war und es auch nach seinem Tod noch ist: «Westler mögen die Liebe der Omaner zu ihrem Sultan nicht verstehen. Aber wir haben es mit einem visionären Führer zu tun, der unser Land aus dem finsteren Mittelalter in die Moderne geführt hat. Sultan Kabus bin Said hat Oman an die Spitze vieler arabischer Länder, wenn nicht sogar der Welt, gebracht, was die Rechte von Frauen, von Menschen mit Behinderungen und von ausländischen Arbeitnehmern sowie die Bereitstellung kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung für alle betrifft. Diese Bemühungen haben es Oman ermöglicht, ein einzigartiges Gleichgewicht zwischen traditionellen Werten und fortschrittlicher Entwicklung herzustellen.»
So geräuschlos wie vor zwei Jahren die Machtübernahme von Haitham bin Tariq Al Said in Maskat verlaufen ist, so bewegt hatte sie sich 50 Jahre zuvor im Fall von Kabus bin Said Al Said im südlichen Salalah gestaltet. Das Land, das damals noch Sultanat von Muscat und Oman hiess, war offiziell zwar souverän, praktisch aber eine britische Kolonie. Vor 1970 war Oman bettelarm gewesen und hatte nur ein Spital mit zwölf Betten. Die Kindersterblichkeit lag bei 75 Prozent und die Lebenserwartung betrug 55 Jahre. Landesweit gab es drei Primarschulen, nur für Knaben, und keine höheren Lehrstätten.
Ein Land im Mittelalter
Es gab keine Telefone und mit Ausnahme einer Reihe Jahrhunderte alter Wasserkanäle keine nennenswerte Infrastruktur. Sultan Said bin Taimur hatte alles verboten, was er für dekadent hielt: Radios, Fahrräder, Sport, Sonnenbrillen, Schuhe und Hosen. Brunnen durften nicht elektrisch Wasser pumpen. «Die Leute sollen nicht haben, was sie wollen, sondern, was ich für sie gut finde», sagte Said. In Muscat schlossen die Stadttore bei Sonnenuntergang und wer sich nachts in der Stadt bewegte, durfte in den engen Strassen der Altstadt keine Taschenlampe, sondern nur eine Laterne mit sich führen. Ein Auto besitzen durfte ein Omaner lediglich mit Erlaubnis des Sultans, der eine solche nur selten gewährte.
1966 brach in Dhofar im Süden des Sultanats eine Rebellion aus, die vom benachbarten sozialistischen Jemen ideologisch und mit Waffen unterstützt wurde. Ein Jahr später überlebte Sultan Said ein versuchtes Attentat, worauf er sich in seinem Palast in Salalah isolierte und kaum mehr gesehen wurde. Erst 1975 sollte es Sultan Kabus gelingen, die Aufständischen mit Hilfe der Briten und von Truppen des Schahs von Persien zu besiegen, worauf er auch den Süden des Landes intensiv zu entwickeln begann.
Kabus bin Said, damals 30-jährig, hatte seinen unbeliebten Vater am 23. Juli 1970 in Salalah gestürzt. Die Palastrevolte war eine sehr britische Angelegenheit und in London vom Auslandgeheimdienst MI6 und von Offiziellen im Verteidigungs- und im Aussenministerium geplant worden – nicht ganz uneigennützig, denn am Ende des Tages ging es, wie so oft im Nahen Osten, um den Zugang zum Öl, um Militärbasen und um die Kontrolle der Strasse von Hormuz, durch die damals fast 60 Prozent der globalen Erdölversorgung exportiert wurden.
Ein fast unblutiger Putsch
Eine wichtige Rolle beim Putsch in Salalah spielte ein junger britischer Offizier namens Timothy Landon, der mit Kabus seit dessen Zeit an der Militärakademie in Sandhurst befreundet war. Es heisst, Major Landon habe seinem Freund, der nach der Rückkehr aus Sandhurst und Dienst in der britischen Rheinarmee im Palast praktisch unter Hausarrest stand, Tonbänder geschickt, auf denen zwischen den klassischen Musikstücken, die Kabus liebte, geheime Botschaften versteckt waren.
Es wird berichtet, dass bei der Verteidigung des Palastes in Salalah ein Wächter, ein Sklave Saids, getötet wurde und sich der Sultan in den Fuss schoss, als er versuchte, eine Pistole aus einer Schublade zu klauben, um sich zu wehren. Said wurde in der Folge gezwungen, abzudanken, und ins Exil nach London geflogen, wo er die letzten beiden Jahre seines Lebens im Nobelhotel «Dorchester» verbrachte.
Ein toleranter Zweig des Islam
Sultan Kabus bin Said gelang es in der Folge, eine diverse und früher häufig zerstrittene Bevölkerung auf Basis einer gemeinsamen nationalen Identität zu vereinen. Die rund 4,9 Millionen starke Bevölkerung Omans zählt rund drei Millionen Einheimische. Diese setzen sich traditionell aus Arabern sowie einer ansehnlichen Zahl von Balutschen, Südasiaten und Swahili-sprechenden Ostafrikanern zusammen. Die übrigen 1,9 Millionen machen dem Vernehmen nach ausländische Arbeitskräfte aus. Wobei es der Gesellschaft hilft, dass der im Sultanat vorherrschende Ibadismus ein politisch quietistischer und toleranter Zweig des Islam ist, in einer Region, in der es an religiösen Fundamentalisten nicht mangelt.
«Noch folgenschwerer als der Tod des Sultans ist das Schicksal seines Modells der Mässigung, mit allen seinen Unvollkommenheiten», hat der amerikanische Diplomat William J. Burns, ein Unterhändler des Atomabkommens des Westens mit dem Iran, 2020 in einem Nachruf für das Magazin «The Atlantic» geschrieben: «Kabus wusste, dass es sich lohnt, eine Diplomatie zu verfolgen, um sich mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, die sich nicht über Nacht lösen lassen. Er verstand auch, dass arabische Gesellschaften, die im Innern nicht ein gewisses Mass an Mässigung und Toleranz zeigen, auf Dauer brüchig werden und zerbrechen. Wenn diese Erkenntnisse über die Region und ihre Dysfunktionen weiterhin ignoriert werden, dann markiert der Tod von Kabus das Ende einer schwierigen Ära und der Beginn eines noch schwierigeren neuen Kapitels in der Geschichte des Nahen Ostens.»