Die Strombranche war es lange gewohnt, in einem wachsenden Markt zu agieren. Der Verbrauch stieg, und so konnte der Strom trotz laufendem Ausbau des Kraftwerksparks zu guten Preisen verkauft werden. Die Schweiz profitierte jahrelang davon, den sauberen Wasserstrom mit guten Gewinnen in die Nachbarländer liefern zu können.
Intransparenter Graustrom
Besonders in der Mittagszeit konnte zusätzlich der flexible Pumpspeicherstrom teuer ins Ausland verkauft werden. Den Kunden hierzulande fiel meist gar nicht auf, dass sie selber zwar direkt neben dem Wasserkraftwerk wohnten, aber rein rechnerisch Graustrom bezogen. Denn viele Jahre war der wachsende Stromhandel in Europa für die Konsumenten intransparent und das Bewusstsein für die Qualität des eigenen Stroms sehr tief.
In der Schweiz ist der Produktionsmix CO2-arm und besteht grob aus rund 60 Prozent Wasser- und 35 Prozent Atomstrom, während dagegen der verbrauchte Strom einen deutlich höheren Anteil Graustrom hatte und Anfang 2000 nur noch rund 30 Prozent Wasserstrom enthielt. Kunden, sowohl im Ausland, wie in der Schweiz, waren sich dieser Unterschiede und der versteckten CO2-Emissionen nicht bewusst.
Um die Transparenz zu erhöhen, wurde europaweit die Stromkennzeichnung verschärft. Seit 2013 muss in der Schweiz nicht nur der gelieferte Strommix auf der Rechnung beim Endverbraucher angegeben, sondern auch auf der Basis von Herkunftsnachweisen garantiert werden. Das hat bereits bei einigen Stromversorgern zu Änderungen des verkauften Strommixes zugunsten von mehr Wasserstrom (ca. 50 %) geführt, so dass sich Verkauf und Produktion annähern.
Unumgänglicher Ausstieg aus dem Kohlestrom
Durch den Stromhandel hatten die Schweizer Energieversorger sehr gut verdient. Neben inländischer Produktion begann man nun trotz deutlicher Warnung auch in ausländische Kohlekraftwerke zu investieren. Gewarnt haben nicht nur Umwelt- und Klimaschützer, sondern auch Ökonomen. Sie wiesen auf das Risiko eines grossen Wertverlustes hin, sollte die internationale Staatengemeinschaft den Ausstoss von CO2 regulieren, um den drohenden Klimawandel abzuwehren.
Ebenso blind war die Branche lange auf einem anderen Auge. Die Möglichkeit, dass erneuerbare Energien wie Wind und Photovoltaik wirklich substanziell zur Stromversorgung beitragen könnten, wurde von vielen Managern der Strombranche lange negiert. Selbst als der Strom am Mittag nicht mehr teuer war, da dann die zahlreich gebauten Solaranlagen Strom im Überfluss lieferten, hielten viele Branchengrössen an ihrer Haltung fest.
Bald wurde der Strom aber nicht nur mittags immer günstiger, sondern generell. Das hatte verschiedene Gründe, z. B. den intensiven Ausbau von erneuerbaren Energien bei trotzdem forciertem Bau zusätzlicher Kohlekraftwerke, Stagnation und Rückgang beim Verbrauch durch Effizienzvorgaben und wegen wirtschaftlichen Problemen. Den Regierungen ist vorzuwerfen, dass sie zwar den Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion genau planten, aber keine Vorgaben für den Rückbau von fossilen Kraftwerken machten. Obwohl klar ist, dass langfristig der Ausstieg aus der Kohle unumgänglich ist, wird über die dafür gewährten Zeiträume noch intensiv debattiert. In der Schweiz haben wir es mit ähnlichen Mechanismen beim Atomausstieg zu tun.
Liberalisierung nur für Grosskunden
Auch innerhalb der Strombranche gibt es natürlich Gewinner und Verlierer des momentanen Preisdrucks, und so sprechen sich viele Werke für die Kohle-CO2-Abgabe aus, während natürlich vor allem die Betreiber der Kohlekraftwerke dagegen sind. Für die Schweiz sind diese Diskussionen sehr wichtig, da die Strompreise hierzulande stark durch den europäischen Markt beeinflusst werden.
Diese Entwicklung hat die Branche regelrecht überrumpelt, bisher profitable Geschäftsmodelle zerstört und die Marktbeurteilung vieler Energieversorger widerlegt. Gleichzeitig sind durch den Atomausstieg und die Revision bestehender AKW höhere Kosten zu erwarten. Viele Stromunternehmen beginnen nun umzudenken und neue Geschäftsmodelle zu suchen.
Für viele Schweizer Energieversorgungs-Unternehmen (EVU) ist es klar, dass die Liberalisierung ein wichtiger Schritt für einen modernen Strommarkt und damit auch für die Energiewende ist. Hierzulande wurde der Markt aber bisher nur für einen Teil der Kunden liberalisiert, nämlich für die Verbraucher von über 100'000 kWh, also mehrheitlich für Grossunternehmen. Viele EVU nutzten die tiefen Marktpreise der letzten Jahre, um diese Grosskunden mit tiefen Strompreisen zu locken, während den gebundenen Verbrauchern der teurere Strom aus den eigenen Kraftwerken verrechnet wurde.
Brisantes Bundesgerichtsurteil
Gegen diese Praxis hat die ElCom (Eidgenössischen Elektrizitätskommission) am Bundesgericht geklagt. Laut dem aktuellen Urteil ist das Vorgehen nicht zulässig und müsste rückwirkend geändert werden. Das würde bedeuten, dass ein Teil der Stromversorger beträchtliche Rückzahlungen an die eigenen Kunden machen müsste.
Dieses Urteil ist sehr brisant, da es einige EVU in noch grössere Probleme bringen könnte. Denn obwohl der Strompreis in der Schweiz auch für gebundene Kunden sehr tief ist, summieren sich doch diese Beträge gewaltig und können bereits angeschlagene Unternehmen in eine zusätzliche Schieflage bringen. Da die meisten EVU im Besitz der öffentlichen Hand sind, könnte eine Sanierung den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Zusätzlich konkurrieren diese Stromanbieter auch mit Unternehmen, die keine eigene Produktion haben. Diese können weiterhin die tiefen Marktpreise verrechnen und müssen nicht eigene Produktion verkaufen. Sie haben also quasi einen unverdienten Vorteil.
Im Urteil erwähnt werden zum Beispiel die regionalen Stromversorger Repower aus Graubünden und CKW aus der Zentralschweiz. Vor allem Repower ist in den letzten Jahren, auch durch Fehlmanagement und Investition in Kohlekraftwerke, in Schieflage geraten und könnte durch die nun fälligen Nachzahlungen zusätzlich in Schwierigkeiten kommen.
Marktmechanismen allein genügen nicht
Das Urteil zeigt, dass es hinderlich ist, einen Markt nur teilweise zu liberalisieren. Entweder man gewährt das Recht auf die freie Wahl allen Marktteilnehmern oder konsequenterweise keinem. Dann könnte man sich solche Prozesse und intransparenten Marktkorrekturen sparen. Es ist zwar löblich von der ElCom, sich für die Privatkunden einzusetzen. Vielen Verbrauchern wäre es aber vermutlich wichtiger, Stromanbieter gemäss eigenen Vorstellungen wählen zu können, als wenige Franken Stromkosten zu sparen.
Fraglich bleibt dennoch, ob die Energiewende zügig und kostengünstig alleine mit Marktmechanismen erreicht werden kann. Um jederzeit die Versorgung sicherzustellen, muss beim Ersatz der grossen fossilen Kraftwerke jeweils der gesamte zu ersetzende Strom jedes abzustellenden Werks zusätzlich hergestellt werden. Das ist bei einem Kernkraftwerk oder Kohlekraftwerk relativ viel Strom. Dadurch ergibt sich anstatt der lange beschworenen Stromlücke jeweils zunächst sogar eine Stromschwemme. Die daraufhin fallenden Preise machen weitere Investitionen unattraktiv. Marktmechanismen alleine scheinen dieses Dilemma nicht zu lösen, und weder die Politik noch die Branche haben diese Entwicklungen so vorhergesehen und Lösungen parat.
Wie wird am 27. November entschieden?
Wichtig für die Politik ist, dass der Strommarkt bereits hochgradig reguliert und unfrei ist und dass für das Funktionieren dieser strategischen Ressource und wichtigen Lebensgrundlage klare Regeln gelten müssen. Dazu gehört neben ambitionierten Ausbauzielen für erneuerbare Energien auch die Planung des Abschaltens von fossilen Kraftwerken und die Steigerung der Effizienz. Einer der tiefsten Strompreise in Europa, gepaart mit unserer hohen Kaufkraft, regt nicht gerade zur Sparsamkeit an.
Dass der Ersatz durch Wind, Sonne und andere Energieträger möglich ist, hat die rasante Ausbaurate in Deutschland und anderen europäischen Ländern gezeigt. Dänemark beispielsweise hat schon seit Jahren einen sehr hohen Anteil an flexibler Windkraft und plant die Umstellung der gesamten Energieversorgung, also nicht nur Strom, bis zum Jahr 2050. Sowohl die Erzeugungs- wie auch die Speichertechnologien sind vorhanden und werden jedes Jahr besser. Die Machbarkeit und Kosten für Energieszenarien ohne Kernkraft wurden vom Professor und Unternehmer Gunzinger berechnet: Nicht nur ist eine Versorgung beruhend auf erneuerbaren Energien günstiger, sie schafft auch deutlich mehr Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Inland.
Es ist also lediglich eine Frage des politischen Willens. Die Schweiz ist mit den zahlreichen Speicherkraftwerken sogar besonders gut für einen Wechsel aufgestellt. Auch das Abstellen der älteren Kernkraftwerke in der Schweiz auf Ende 2017 wäre gut zu verkraften, aber nur, wenn wirklich im gleichen Mass Erneuerbare aufgebaut werden. Denn ansonsten importiert man wieder mehr Graustrom aus dem Ausland. Es bleibt spannend, wie sich das Stimmvolk am 27. November entscheidet.
Konsumenten können Energiewende vorantreiben
Jeder Bürger, der verhindern will, dass ihm Graustrom aus dem Ausland untergeschoben wird, kann sich heute bereits für ein lokales erneuerbares Stromprodukt entscheiden. Die Schweiz ist eng in den europäischen Strommarkt eingebunden, unter anderem auch für die Stromkennzeichnung mit Herkunftsnachweisen (HKN). HKN werden von der nationalen Netzbehörde Swissgrid verwaltet und belegen, dass eine Strommenge von einem bestimmten Kraftwerk produziert und ins Netz eingespeist wurde. Jedes Stromprodukt besteht also aus zwei Bestandteilen: Dem physikalischen Strom, der in das Stromnetz eingespeist wird und dem HKN, der belegt, wie und wo dieser Strom hergestellt wurde.
Die HKN können auch schon vor der Liberalisierung bei einem beliebigen Anbieter im Internet gekauft werden. Konsumenten, die nicht noch weitere Jahre warten wollen, können die Energiewende ungeachtet der politischen Entwicklung bereits vor der Liberalisierung vorantreiben, indem sie entweder beim lokalen Versorger ein Produkt mit hohem Anteil an neuen Erneuerbaren beziehen oder grüne HKN bei einem anderen Anbieter kaufen. Da die HKN in beiden Fällen garantieren, dass der Strom erneuerbar hergestellt worden ist, wird dadurch die Energiewende vorangetrieben.
Die Verantwortung der Grossverbraucher
Aber nur wenige Konsumenten machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, die meisten, weil sie es schlicht nicht wissen, allerdings viele auch, weil ihnen der Aufwand zu gross erscheint. Um wirklich eine Energiewende herbeizuführen, sind also andere Massnahmen nötig. Die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) und Einmalvergütung, die Umstellung der Standardprodukte für alle Kunden und ein klarer Ausstiegsplan sind für die Energiewende unbedingt nötig. Und auch die bereits von der Liberalisierung profitierenden Grossverbraucher, die häufig den günstigsten Strom ohne Herkunftsnachweise beziehen, sollten nicht aus der Verantwortung entlassen werden.
Quellen:
www.kraftwerkschweiz.ch, myNewEnergy.ch, ee-news.ch, www.elcom.admin.ch