Am Anfang wendet sich einer ab vom Menschen und dem täglichen Wahnsinn, den dieser veranstaltet, den er sich und anderen zumutet, um sich, vor- und umsichtig, den besseren Menschen, den Tieren zuzuwenden. Wobei diese Zuwendung – und das macht einen der vielen Reize des schmalen Buchs aus – eine tausendfach geprüfte, überprüfte, hinterfragte bleibt. Denn wenn der Autor etwas vermeiden will, dann die Kolonisierung des Tieres, seine Eingemeindung ins Reich des Menschen, wie sie gang und gäbe ist. Wenn aber Tier und Mensch in verschiedenen Sphären existieren, muss selbst eine so sympathische menschliche Verhaltensweise wie die Zuneigung streng unter die Lupe genommen werden, wenn sie aufs Tier abzielt.
Unter die (Sprach-) Lupe nehmen: Das ist es, was Dieter Bachmann auf 150 kleinen Seiten betreibt und was er herauspräpariert aus einem riesigen Haufen Material, der sich aus Wissenschaft, Philosophie, Literatur, aber auch aus den kuriosesten faits divers unseres Alltags zusammensetzt, das stürzt den Leser in Wechselbäder, das verblüfft oder bestürzt oder belustigt, erzeugt Nicken und Kopfschütteln und regt heftig zum Nachdenken an.
Kühne Sprünge
Einen „erzählerischen Essay“ nennt der Verlag „Unter Tieren“ – so kann man den Text bezeichnen. Von der Erzählung hat er das Anschauliche, die Inspiration durch Sinneseindrücke und hin und wieder eingestreut Anekdotisches. Dominant aber bleibt das essayistische Moment, die kühnen Sprünge von Idee zu Idee, Sprünge ins Offene, ohne Brücke; dazu einmontierte Fremdtexte (oder eigene, die als fremde ausgegeben werden), Zeitungsmeldungen, Zitate von Herder bis Freud, von Melville bis Flaubert; kleine Szenen, der im Jenseits geführte Dialog zwischen einer Krähe und einer Zibetkatze.
Projektionsfigur des Buchs ist Hebel, ein „Reisender in Versicherungen“, der sich gelegentlich mit seinem Freund und Käfersammler Anderberg austauscht. Hebel liest und forscht, schaut, flaniert und denkt, erschrickt ob der Kreation von Dolly, dem geklonten Schaf und malt sich aus, was er als Weltdiktator alles unternehmen würde (Verbot des Fernsehens, Haarfärben bewilligungspflichtig, zum Beispiel).
Die Hin- und Zuwendung zum Tier, die Einsicht, dass es sich da um so etwas wie den besseren Menschen handeln könnte, macht aus Hebel einen mit allen Wassern gewaschenen Pessimisten: was die Menschheitsgeschichte angeht, sieht er uns mit zunehmender Geschwindigkeit dem Ende entgegen schwanken. Der Menschenskeptiker wird gelegentlich zum Menschenfeind und da lässt ihn dann Bachmann mit Brachialgewalt auf das Sein, Tun und Lassen des homo sapiens eindreschen, dass einem hören und sehen vergehen kann.
Abenteuerliche Denkvorgänge
Bachmanns Buch lebt von scharfsinnigen Überlegungen, Gedankenblitzen, von abenteuerlichen Denkvorgängen – und vor allem von bestechenden Formulierungen. Was der Autor aussortiert, unter die Lupe nimmt, überraschend zusammensetzt, bildet sich im Text glasklar ab und bekommt eine einprägsame Sprachform. Mal liest sich das Buch erzählerisch leicht, unterhaltsam, humorvoll, mal sarkastisch oder böse und dann wieder gedankenorientiert, philosophisch, notwendigerweise und aus gutem Recht zähflüssig. Nie biedert sich Bachmann an, eher verweigert er sich, trotzt, legt es manchmal darauf an, es dem Leser schwer zu machen. Aber sein (Kunst)springen zwischen den Genres, die Mischung von Leichtem und Schwerem, die er herstellt, die gestochen scharfe Formulierung, die er fürs Nahrhafte wie für die Schaumbäckerei findet – das macht, dass einen der Text nicht los lässt bis zum Schluss.