Gleichschaltung, Säuberung und nationalsozialistische Neuausrichtung: Die 23 Universitäten Deutschlands wurden nach der Machtergreifung der Nazis 1933 rasch und vollständig auf Linie gebracht. Eine neue Studie von Michael Grüttner beleuchtet die Vorgänge.
Am Ende des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stand deutsche Wissenschaft auf dem Höhepunkt ihrer Weltgeltung. Von den hundert zwischen 1901 und 1932 verliehenen Nobelpreisen für Chemie, Physik und Medizin gingen 31 an deutsche Wissenschaftler; kein anderes Land konnte da mithalten. Deutsche Universitäten sahen sich als internationale Spitzeninstitute der akademischen Bildung und Forschung. Quer durch die Fakultäten mass man sich an höchsten wissenschaftlichen Standards und pflegte ein entsprechendes Selbstbewusstsein.
Diese stolzen, teils auf eine tausendjährige Geschichte zurückblickenden Universitäten sowie die weiteren Hochschulen des Landes waren nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Anfang 1933 nach nur ein bis zwei Jahren praktisch vollständig gleichgeschaltet. Wie konnte das passieren und wie lief der Prozess im Einzelnen ab?
Eine neue Studie des deutschen Historikers Michael Grüttner destilliert den Stand der Forschung zu diesen Fragen zu einer klug gegliederten und gut lesbaren Gesamtdarstellung mit dem Titel «Talar und Hakenkreuz – Die Universitäten im Dritten Reich».
Brutstätten völkischen Gedankenguts
Grüttner zeigt, dass schon vor der NS-Machtübernahme verschiedene Faktoren den kommenden Umsturz in den Hochschulen begünstigt hatten. Zum einen fremdelte ein Grossteil der Hochschullehrer aufgrund ihrer national-konservativen Einstellung mit der Demokratie der Weimarer Republik. Ferner waren antisemitische Klischees in ihren Kreisen gang und gäbe. August Hegler, Kanzler der Universität Tübingen, konstatierte im Februar 1933, man habe hier die Judenfrage gelöst, indem man nie davon gesprochen habe. Was er damit meinte, war der «stille Antisemitismus», den «man mehr fühlen als deutlich wahrnehmen konnte», wie der Jurist Wolfgang Kunkel schrieb.
Ein weiterer Faktor war die multiple Krise, in der die deutschen Hochschulen nach dem Ersten Weltkrieg steckten. Einerseits gab es ein Legitimationsdefizit. In den Geisteswissenschaften stand man mit dem Rücken zur Gegenwart. Zudem wurde die in allen Wissenschaften immer weiter getriebene Spezialisierung als lebensfremd wahrgenommen. Und das in einer Zeit, in der es sichtlich gärte! Der Erziehungswissenschaftler Eduard Spranger schrieb im Oktober 1930: «Wir sind an einem toten Punkt, wo nur die Explosion hilft – und jeder fürchtet sich vor ihr, weil er den Krieg in Erinnerung hat.»
Die allgemeine Krisenstimmung löste auch in den Universitäten einen Schub nach rechts aus. Erste Professoren traten zu Beginn der Dreissigerjahre in die NSDAP ein. Dass sich zugleich die finanzielle Lage der Hochschulen im Zuge der Wirtschaftskrise massiv verschlechterte, erhöhte den Druck. Besonders der viel zu zahlreiche wissenschaftliche Nachwuchs – Assistenten, Privatdozenten, nichtbeamtete ausserordentliche Professoren – befand sich in einer schwierigen Situation mit fehlender Existenzsicherung und geringen Aufstiegsaussichten. Dieses akademische Prekariat war eine Brutstätte völkischen Gedankenguts.
Doch die Initiativen zur nationalsozialistischen Gleichschaltung der Hochschulen gingen hauptsächlich von den Studenten und ihren Organisationen aus. Sie hissten Hakenkreuzfahnen an Universitätsgebäuden, störten Vorlesungen jüdischer oder nichtarischer Dozenten und forderten «Säuberungen», die sie auch gleich an die Hand nahmen. Einzelne Rektoren, Dekane sowie Kollegen der Angegriffenen versuchten noch eine Zeitlang, sich für diese zu wehren und dem Mob Einhalt zu gebieten. Doch mit der NS-Machtübernahme waren die Dämme rasch gebrochen. Internationales Aufsehen erregte im April 1933 die «Aktion wider den undeutschen Geist» der Deutschen Studentenschaft. Höhepunkt der Kampagne waren Bücherverbrennungen, die in 19 Universitätsstädten stattfanden.
Führerprinzip in den Universitäten
Schon im Sommer 1933, wenige Monate nach der Machtübernahme der Nazis, taten sich Universitätsgremien mit Selbstunterwerfungen hervor. Die Universität München liess wissen, «dass wir freudig bereit sind, an den Aufgaben des nationalsozialistischen Staates nach besten Kräften mitzuarbeiten». Die Uni Erlangen ergänzte einen gleichlautenden Beschluss mit dem devoten Zusatz: «In welcher besonderen äusseren und inneren Form das geschehen soll, dazu erbitten wir Ihre Aufforderung.» 1934 kamen für ein «Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat» fast tausend Unterschriften zusammen.
Die Loyalitätsbekundungen dürften Hitler wenig beeindruckt haben. Er begegnete der akademischen Welt mit herzlicher Verachtung, und getreu dieser Haltung des Führers hatte man in Nazikreisen wenig übrig für Hochschulangelegenheiten. Zu einer kohärenten Hochschulpolitik, die über den schieren Machtanspruch hinausgegangen wäre, fanden die NSDAP und ihre Organe nie. Vielmehr blockierten sie sich oft im Kompetenzgerangel. Durchsetzbar waren einzig die destruktiven Eingriffe, insbesondere die Entlassung und Ausschliessung der jüdischen und «jüdisch versippten» Dozenten – ein Fünftel des Lehrkörpers – sowie Eliminierung der durch Bespitzelung und Denunziation identifizierten nicht linientreuen Personen. Auch sie wurden entlassen oder bei Bewerbungen eliminiert.
Mit dem Versuch, das «Führerprinzip» auf die Hochschulen zu übertragen, hatte das Regime jedoch nicht den erhofften Erfolg. So sollte der Rektor nicht mehr als Primus inter Pares wirken, sondern, von oben politisch eingesetzt, die Universität autoritär führen. Das führte jedoch in der Praxis zu unlösbaren Konflikten mit der akademischen Kultur, die nicht ohne weiteres übersteuert werden konnte.
Das gleiche passierte bei den Berufungen: Der Vorrang der Parteitreue vor der wissenschaftlichen Qualifikation zeitigte immer wieder eklatante Fehlbesetzungen, die sich nicht so leicht propagandistisch glattbügeln liessen.
Versagen der NS-Wissenschaftspolitik
Profitierte die nationalsozialistische Gleichschaltung der Hochschulen bis zu den ersten beiden Kriegsjahren noch von Aufbruchstimmung und patriotischer Begeisterung, so begann die Gefühlslage sich Ende 1941 zu verdüstern: Im Osten kam der Vormarsch in der Sowjetunion zum Stehen, die USA traten in den Krieg ein, und es machten erste Informationen über deutsche Massenverbrechen die Runde. Die verheerende Niederlage bei Stalingrad im Winter 1942/43 machte klar, dass der Krieg verloren war.
Nun dämmerte den Nazi-Granden, dass sie sich mit der ideologischen Disziplinierung der Hochschulen und der Vertreibung der vielfach besten Wissenschaftler keinen Gefallen getan hatten. Im Mai 1943 notierte Propagandaminister Goebbels in seinem Tagebuch: «Unsere Waffentechnik sowohl auf dem Gebiet des U-Boot- wie des Luftkrieges ist der der Engländer und Amerikaner weit unterlegen.» Man habe es wohl versäumt, die Wissenschaftler für den Nationalsozialismus zu gewinnen, fährt Goebbels fort.
Die Fälle Martin Heidegger und Carl Schmitt
Dabei gab es durchaus auch prominente Professoren, die sich als Nazis hervortaten. Michael Grüttner porträtiert fünf von Ihnen, darunter die Stars Martin Heidegger und Carl Schmitt. Der Philosoph Heidegger galt seit dem Erscheinen seines Hauptwerks «Sein und Zeit» als einer der bedeutendsten Denker. Er trat 1933 in die NSDAP ein und wurde kurz darauf Rektor der Universität Freiburg. In dieser Position glaubte er eine gesamtdeutsche Universitätsreform im nationalsozialistischen Sinne herbeiführen zu können.
Mit diesem Ehrgeiz jedoch isolierte er sich in der Partei zusehends. Die Nazi-Oberen waren nicht darauf erpicht, sich von einem Intellektuellen belehren zu lassen, wie Nationalsozialismus auszusehen habe. Zudem herrschte unter Anwärtern auf eine Position als NS-Chefideologe ein erbitterter Konkurrenzkampf. Heideggers Widersacher kannten keine Hemmungen. Ernst Kriek warf ihm vor, seine Philosophie sei ein «metaphysischer Nihilismus, wie er sonst vornehmlich von jüdischen Literaten bei uns vertreten worden ist». Und Ernst Jaensch orakelte vieldeutig, Heidegger habe auf Juden immer die grösste Anziehungskraft ausgeübt.
Schon nach einem Jahr trat Heidegger vom Rektorat zurück. Er spielte fortan weder politisch noch hochschulpolitisch eine Rolle. Sein NS-Vergangenheit und sein Antisemitismus wurden 2014 beim Erscheinen seiner Denktagebücher, den «Schwarzen Heften», fast vier Jahrzehnte nach seinem Tod, erneut thematisiert. Die Diskussion, ob die NS-Verirrung in seiner Philosophie angelegt sei oder ob man Werk und Biografie Heideggers klar trennen könne, kommt seither nicht zur Ruhe.
Wie bei Heidegger schillert auch das Verhalten des Staatsrechtlers Carl Schmitt vor 1933 in Bezug auf Juden: Beide schafften es, eine profunde Judenfeindschaft mit zahlreichen Freundschaften zu jüdischen und «nichtarischen» Personen unter einen Hut zu bringen. Mit den Kontakten zu Juden war es 1933 dann vorbei; sie hätten sich kaum vertragen mit dem nun vollzogenen Eintritt in die Nazi-Partei. Vielmehr tat Schmitt sich nun als linientreuer Nazi und antisemitischer Hetzer hervor. Mit seinen Ideen für eine völkische Justiz erwarb er sich den Ruf des «Kronjuristen» des Dritten Reiches. Doch es ging ihm dabei ganz ähnlich wie Heidegger: Der Ehrgeiz rief parteiintern die Neider und Konkurrenten auf den Plan. Schmitt wurde schliesslich von Kollegen und auch von der SS zielgerichtet demontiert und verlor in kürzester Zeit jeden Einfluss. Er konnte froh sein, seinen Lehrstuhl an der Berliner Universität behalten zu können.
Heidegger, Schmitt und die weiteren Prominenten unter den NS-Professoren scheiterten mit ihren Ambitionen. Was sie zu Fall brachte, ist einerseits ihre kurze Parteizugehörigkeit. Ihrem erst 1933 erfolgten Beitritt haftete das Odium des Opportunismus an; wer als Hundertprozentiger gelten wollte, musste von Anfang an dabei gewesen sein. Zudem suchte die Partei zwar prominente Unterstützer, aber keinesfalls intellektuelle Vordenker.
Nationalsozialistische Justiz, Medizin ohne Ethik
Von grossem Interesse ist Grüttners Darstellung der unterschiedlichen NS-Einflüsse in den einzelnen Fakultäten. Herausgegriffen seien hier nur die rechtswissenschaftliche und die medizinische Fakultät, weil dort die Auswirkungen besonders gravierend waren.
Unter dem Einfluss Carl Schmitts und einiger weiterer völkischer Rechtserneuerer wurde die Jurisprudenz auf Leitbegriffe wie Gemeinschaft, Volk, Treue und Pflicht ausgerichtet. Für die Auslegung solcher pauschaler Rechtsbegriffe sollte gemäss Schmitt folgendes Prinzip gelten: «Für die Anwendung und Handhabung der Generalklauseln durch den Richter, Anwalt, Rechtspfleger oder Rechtslehrer sind die Grundsätze des Nationalsozialismus unmittelbar und ausschliesslich massgebend.»
Wichtiger noch: Zur politischen Instrumentalisierung der neuen Generalklauseln kam auch noch die Erfindung neuer Rechtsquellen. Als solche galten hinfort nicht mehr allein Gesetze und Gerichtsurteile, sondern hauptsächlich der «Führerwille», die nationalsozialistische Weltanschauung und das «gesunde Volksempfinden». Die Unabhängigkeit der Rechtsinstitutionen und Richter musste zurückstehen hinter die Bindung an den völkischen Führerstaat.
Mit diesem radikalen Umbau des ganzen Rechtsdenkens ging ein Bedeutungsverlust der Justiz einher. Die NSDAP, die dem Staat gegenüber generell Priorität beanspruchte, verfocht den Gedanken des «Massnahmenstaats» anstelle des Rechtsstaats. Institutionen hatten keine eigene Legitimität, sie hatten dem Nationalsozialismus zu dienen. Die Partei pflegte einen Kult der Tat und verachtete Theorien, Systeme oder Ordnungen.
Bei den Medizinern war nach Grüttners Beobachtungen die Verbindung mit der NS-Ideologie besonders stark und folgenschwer. In allen medizinischen Fakultäten wurden Eugenik und Rassenhygiene gelehrt, und zahlreiche ihrer Exponenten waren aktiv an Euthanasieprogrammen sowie an den in Konzentrationslagern durchgeführten tödlichen Experimenten an Menschen beteiligt. Hier wurden die traditionellen ethischen Standards der Medizin völlig ausser Kraft gesetzt. Grüttner zieht folgende Bilanz: «Die Medizinischen Fakultäten bildeten den am stärksten nazifizierten Teil der deutschen Universitätslandschaft.»
Haltlose Rechtfertigungen
Im gesamten Hochschulwesen war während der NS-Zeit die Auffassung praktisch unumstritten, die Wissenschaft habe der Nation zu dienen. Im Krieg galt es als selbstverständliche patriotische Pflicht, mit den Mitteln der Wissenschaft zu einem deutschen Sieg beizutragen. Das änderte sich auch dann nicht, als die Massenverbrechen des NS-Staats allmählich ruchbar wurden. Im Nachhinein versuchten viele Wissenschaftler glauben zu machen, ihre patriotische Pflichterfüllung hätte nichts mit einer Unterstützung des Nationalsozialismus zu tun gehabt. Das war jedoch ein haltloser Versuch, sich zu rechtfertigen, denn schliesslich war der von Deutschland ausgehende Krieg ein von der nationalsozialistischen Ideologie befeuerter Raub- und Vernichtungskrieg.
Grüttner hat nicht nur eine materialreiche und umsichtig aufgebaute Untersuchung vorgelegt. Er überzeugt auch mit seinen Kommentaren und Wertungen. Sie nehmen das vom Mainstream abweichende Verhalten einzelner mutiger Persönlichkeiten mit in den Blick, behalten aber stets die Relationen im Auge: Die überwältigende Mehrheit bildeten die Fanatischen, die Einverstandenen, die Gleichgültigen und die Opportunisten. Nur ganz wenige leisteten Widerstand. Sie bezahlten in vielen Fällen mit dem Leben.
Michael Grüttner: Talar und Hakenkreuz. Die Universitäten im Dritten Reich, C. H. Beck 2024, 704 S.