Zunächst stellt sich die Frage, warum überhaupt ein Chinese Näheres über den nationalen Schwinget wissen will. Nun, nach Erkenntnissen Ihres Korrespondenten sind unter den exakt 52 016 Zuschauerinnen und Zuschauern in der grossen Arena auf dem Militärflugplatz Payerne wenige Kilometer südlich von Estavayer-le-Lac mindestens zwei Chinesen und eine Chinesin vertreten. Zudem ist Ihr Korrespondent mit seinem chinesischen Presseausweis an der Fête fédérale de lutte et des jeux alpestres als schreibender Journalist mit berufsbedingtem chinesischen Blinkwinkel akkreditiert.
Ming-Dynastie
Geschichtsbewusste Chinesen und Chinesinnen sind zuvörderst einmal am Ursprung des Schweizerischen Nationalsportes interessiert. Nun, bereits in der Yuan-Dynastie bzw. im 13. Jahrhundert ist Schwingen in der Schweiz belegt. 1805 dann das grosse Erweckungserlebnis mit dem Alphirtenfest in Unspunnen. Der französischen Fremdherrschaft eben entgangen, trug der Anlass mit Absicht schon damals zur Hebung des schweizerischen Nationalbewusstseins bei. 1895 begann die Moderne des schweizerischen Schwingsports mit dem ersten Eidgenössischen in Biel und der Gründung des Schweizerischen Schwinger-Verbandes. Seither ist das einigende Fest 43 mal ausgetragen worden.
Jiao di
Nun ist Schwingen beziehungsweise Ringen in allen Hochkulturen beliebt, und hat eine lange, komplexe Geschichte. In China zum Beispiel soll Ringen schon vor fünftausend Jahren bekannt gewesen sein. So sollen Kämpfe in der Urform des Ringens – Jiao di – zur Zeit des legendären Gelben Kaiser erstmals im Jahre 2697 vor unserer Zeitrechnung ausgetragen worden sein. Als China zur Zeit der Qin-Dynastie (221-207 vor unserer Zeitrechnung) erstmals vereinigt wurde, liess der erste erhabene Gott-Kaiser Qin Shihuangdi Ringkämpfe zum Amusement der Nobilität und zur Auswahl der besten Soldaten ausrichten. Daraus entwickelten sich nach chinesischer Auffassung alle asiatischen Kampfsportarten wie Kungfu, Ju Jutsu, Judo, Sumo oder Bökh. Und letztlich dann eben auch das Schwingen.
Zahlenverliebt
Da Chinesinnen und Chinesen nicht nur geschichtsbewusst sondern auch zahlenverliebt sind, werden auch Zahlen über das Eidgenössische Eindruck machen. Ihr Korrespondent hat für das Fest der Bösen für die lieben chinesischen Freunde einige Zahlen zusammengetragen. Für das leibliche Wohl der rund 300 000 erwarteten Schwingfreunde stehen zur Verfügung: 200 000 Liter Bier, 100 000 Liter Mineralwasser, 95 000 Liter gesüsste Getränke, 20 000 Flaschen Wein, 4 000 Liter gebrannte Wasser, 60 000 Tassen Kaffee, 40 000 Würste, 20 000 Kilogramm Fleisch, 100 000 Semmeli, Weggli und Bürli. Pas mal! Zum ersten Mal gibt es auch Fisch, schliesslich findet der Hosenlupf am Neuenburgersee statt.
Das 20-köpfige Organisationskomitee und 5 000 Helfer haben auch sonst an alles gedacht. Der Abfall kann umweltfreundlich entsorgt werden, wird doch für die drei Tag mit 130 Tonnen gerechnet. Fürs Wohlbefinden des Publikums sind 1 843 Toiletten auf dem 90 Hektaren grossen Festgebiet verteilt. Nichts kann also schief gehen.
Public viewing
Die Eintrittspreise sind für ein Volksfest, so scheint es wenigstens einem Städter, doch ziemlich gewöhnungsbedürftig. Ein Sitzplatz auf der gedeckten Tribüne schlägt mit 215 Franken zu Buche, ein ungedeckter Sitzplatz mit 150 Franken. Ein Rasensitzplatz ist für 115 Franken zu haben und ein Stehplatz ist mit 50 Franken vergleichsweise schon fast ein Schnäppchen. Da nur 4 000 Tickets in den freien Verkauf gelangten, gibt es für die zu kurz Gekommenen auf dem Festgelände drei Orte fürs Public-Viewing.
Beeindrucken wird die Chinesinnen und Chinesen auch die Zahl der Teilnehmer. Es sind laut Organisationskomitee 275 Ringer, die im Kampf auf den sieben mit 90 Tonnen Sägemehl gefüllten Schwingplätzen in der Arena die Eidgenossen (Kranzschwinger) und vor allem natürlich den Bösesten der Bösen, also den Schwingkönig, bestimmen werden. Dazu kommen 400 Hornusser und 120 Steinstösser.
Mazot de Cremo
Auch der tausend Quadratmeter grosse Gaben-Tempel dürfte die asiatischen Besucher erstaunen. 400 Preise sind ausgestellt. Am Sonntag wird der Schwingkönig den ersten Preis in Form eines schwarz-weissen Munis der Rasse Holstein stolz den Zuschauern präsentieren. Der Muni mit dem schönen Namen Mazot de Cremo ist 185 Zentimeter gross und bringt stolze 1 100 Kilogramm auf die Waage. Spitzen-Ringer leben natürlich nicht vom Gabentempel allein. Das war einmal. Auffallend oft sind derzeit Böse in Werbespots zu sehen, zur besten Sendezeit natürlich. Zum Beispiel wirbt ein Böser für Schweizer Teigwaren. Zusammen mit lieben Kinderlein ...
La Pierre de Unspunnen
Was aber hat das Eidgenössische auf dem Aérodrome von Payerne mit Estavayer-le-Lac zu tun? Um ehrlich zu sein, fast nichts. Immerhin gibt es in Estavayer einen Schwingklub. Zudem ist der OK-Präsident, der ehemalige Syndic Bachmann, ein Staviacois. La pierre de Unspunnen hingegen, findet Ihr Korrespondent, hätte durchaus am idyllischen Seeufer an der Plaza Nova Friburgo besser als auf dem Flugplatz gestossen werden können. Denn Rockfestivals und Freerider-Wettkämpfe werden dort mit Tausenden von Zuschauern regelmässig jedes Jahr durchgeführt. Pour le Hornuss hingegen braucht es natürlich mehr Platz. Aber zum Stossen des Unspunnen-Steins – einem Gletscherfindling von 83,5 Kilogramm – wäre der Ort am See eine adäquate Kulisse gewesen. Dort wäre bestimmt auch der Rekord von 4,11 Meter übertroffen worden.
Naadam Déja-vu
Falls sich neben den Chinesen auch ein Mongole ans Eidgenössische verirrt, wird er schon fast einen déja-vu-Effekt erleben. In der Mongolei nämlich findet immer im Juli das Naadamfest statt, ähnlich wie das Eidgenössische ebenfalls das Nationalbewusstsein befeuernd. Schwingen heisst dort Bökh und ist wohl noch populärer als das Schwingen in der Schweiz. Die besten Bökh-Ringer heissen dort nicht die Bösen, sondern die unbesiegbaren Riesen. Möge das Eidgenössische in Estavayer-le-Lac so schön werden, wie ein Naadamfest.
Obwohl Ihr Korrespondent ein grosser Naadam-Fan ist, die Namen der Sieger sind nur schwer zu merken. Der Name Sempach Matthias, der König von Burgdorf 2013, ist leicht zu behalten. Der mongolische Bökh-Held Ihres Korrespondenten jedoch ist, um es milde auszudrücken, gewöhnungsbedürftig. Er heisst Badmaanyambuugiin. Er ging während seiner fünfzehnjährigen Ring-Karriere elf mal als Sieger vom Naadam-Platz und wurde einmal Zweiter. Hopp Sempach!!