Die italienische Zeitung „Corriere della Sera“ interpretiert den Wahlsieg von Tsipras als Aufruf zur Rettung der europäischen Identität, während die führende finnische Zeitung “Helsingin Sanomat“ das Geld von Finnlands Steuerzahlern retten möchte.
Erst die Wirtschaft, dann die Schulden
Die „Helsingin Sanomat“ kommt in ihrem Kommentar zu den griechischen Wahlen der gebeutelten finnischen Regierung zu Hilfe. Diese wird wieder einmal bedrängt von den rechts stehenden „Wahren Finnen“, die schon immer vor einem Europa gewarnt haben, in dem die hart arbeitenden Nordländer die faulen Bewohner am Mittelmeer finanzieren müssen. Der Regierungschef in Helsinki hat schon vor dem Wahltag in Griechenland versichert, dass Finnland keinen weiteren Schuldenerlass für Griechenland mehr zulassen werde.
Da die „Wahren Finnen“ als Protestpartei die drittgrösste und immer noch zulegende politische Kraft darstellen, ist die finanzielle Situation in Griechenland gegenwärtig das wichtigste Thema des nordischen Landes. Die staatstragende „Helsingin Sanomat“ hat einen prominenten Wirtschaftsprofessor für die Aufklärung engagiert. Die horrende Verschuldung von Athen sei nach dem früheren Schuldenschnitt heute weniger gravierend als die finanzielle Sanierung von Portugal oder Italien, hält er in seinem Kommentar fest. Wenn die Regierung in Athen ihr Schuldenproblem wirklich lösen wolle, so müsse man ihr nur genügend Zeit zur dafür notwendigen Sanierung ihrer Wirtschaft lassen. Das ist genau das Konzept der finnischen Regierung: Erstreckung der Abzahlung und Zinssenkung, aber keine Abstriche bei der Rückzahlung von finnischen Steuergeldern.
Teil europäischer Identität
Ganz anders reagiert die führende italienische Zeitung „Corriere della Sera“. Mit dem Wahlsieg des für einen Schuldenerlass eintretenden Tsipras habe Athen Europa aufgerüttelt, behauptet sie am Montag auf der Fronseite. Wenn Europa nur auf Zahlen beruhen würde, so ruft der Kommentator den nordischen Rappenklemmern zu, so könnte man den Wahlsieg ja zu den Akten legen. Aber Griechenland sei eben ein wichtiger Teil der europäischen Kultur und der europäischen Identität. Sein Ausscheiden aus der Währungsunion würde den Euro zwar nicht gefährden. Aber Athen im Stich zu lassen, wäre eine Abdankung Europas und würde von den USA bis nach China als ein Identitätsverlust empfunden.
Der Cartoonist Gianelli ist viel direkter. Auf seiner Zeichnung ist der Fries des Parthenon mit Syriza angeschrieben und die stützenden Säulen haben die Figur von Frau Merkel. „Deutsche Stützen“ erklärt der Fremdenführer vor dem griechischen Denkmal. Soviel guten Willen für Athen suchte man bisher im „Corriere“ umsonst. Der Kommentator verlässt denn auch den griechischen Wahltriumph in seinen weiteren Ausführungen über ideelle Motive. Statt von Athen ist plötzlich vom Mittelmeer die Rede, dessen weltgeschichtliche Rolle es zu erhalten gelte. Der in Athen geforderte Schuldenerlass ist in Wirklichkeit ein Plädoyer für Nachsicht gegenüber den italienischen Schulden. Zwar fällt dem Kommentator kein Goethe-Zitat ein, aber sein Plädoyer für finanzielle Nachsicht richtet sich wie beim Cartoon von Gianelli an den deutschen Idealismus.
Ob Frau Merkel sich für das Mittelmeer begeistern lässt? Oder ob sie registriert hat, welche politische Gefahren der Regierung in Finnland, dem bisherigen Musterschüler der EU, drohen?