Will die rechtspopulistische italienische Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verhindern, dass regierungskritische italienische Schriftsteller an die Frankfurter Buchmesse eingeladen werden?
Dieser Ansicht sind mehrere renommierte italienische Autoren. Aus Protest haben sie jetzt eine Einladung an die Buchmesse, die im Oktober stattfindet, ausgeschlagen. Italien wird in diesem Jahr Ehrengast der Messe sein – zum ersten Mal seit 36 Jahren.
Hundert italienische Autoren und Autorinnen sind eingeladen worden. Nicht aber Roberto Saviano, der zur Zeit wohl bekannteste zeitgenössische italienische Autor und Journalist, der auch international Furore machte und mit Preisen überschüttet wurde. Er beschäftigt sich vor allem mit der Mafia und der italienischen und internationalen Wirtschaftskriminalität. Sein Buch «Gomorrha» machte internationale Schlagzeilen. Es wurde in über 50 Sprachen übersetzt und erzielte eine Auflage von insgesamt sechs Millionen. Immer wieder erhielt er ernstzunehmende Todesdrohungen der Mafia. Seit Jahren lebt er verborgen unter Polizeischutz.
Meloni, ein «Bastard»
Der linksgerichtete Saviano, der für die Zeitungen «La Repubblica», «Corriere della Sera», «Il Manifesto» und das Magazin «L’Espresso» schreibt, ist ein scharfer Kritiker der Rechtsaussen-Regierung von Giorgia Meloni. Im Oktober 2020 wurde er wegen Beleidigung der Ministerpräsidentin zu einer Busse verurteilt. Er hatte sie in einer Talkshow mehrfach als «Bastard» bezeichnet und nennt sie immer wieder eine «Erbin Mussolinis». Auch Melonis Stellvertreter, der teils rassistische Rechtspopulist Matteo Salvini, kriegte sein Fett ab. Saviano warf ihm vor, mit der kalabrischen Ndrangheta-Mafia enge Kontakte zu pflegen. Salvini drohte dem Gomorrha-Autor daraufhin, den Polizeischutz zu entziehen.
Vieles deutet darauf hin, dass die italienische Regierung – oder zumindest einflussreiche Regierungskreise – Druck auf die Organisatoren machte, Saviano nicht nach Frankfurt einzuladen. Saviano selbst sagt: «Die Regierung versucht einmal mehr, mich zu zensurieren.»
«Melonis Pudel»
Der bekannte konservative Fernsehjournalist und -moderator Mauro Mazza war es, der die Liste der hundert Autoren zusammengestellt hatte – und auf welcher der Name von Saviano fehlt. Mazza wirkte als Sonderbeauftragter der Regierung Meloni. Er bekleidete bei der Rai, dem öffentlich-rechtlichen italienischen Fernsehen, zahlreiche Direktorenposten. Unter anderem leitete er «TG2», die Tagesschau des zweiten Rai-Kanals.
Nicht nur in linken italienischen Intellektuellenkreisen hat die Nicht-Einladung Savianos Bestürzung ausgelöst. Die Politik mische sich «in nicht akzeptierbarer Weise» in das Kulturschaffen ein, heisst es. In den sozialen Medien hagelt es Kritik an Mauro Mazza, der als «Melonis Pudel» bezeichnet wird. Man verurteilt die «dramatisch zunehmende Politisierung der Kultur» und die «Ausgrenzung nicht genehmer Autoren». Nestbeschmutzer und Leute, die die italienische Regierung beschimpfen, wolle man in Frankfurt nicht dabei haben.
Empörung, Proteste
Und jetzt dies: Der 65-jährige Sandro Veronesi, ein Fels im italienischen Kulturbetrieb, der zweimal den renommierten «Premio Strega» gewann, erklärte, er werde aus Protest gegen den Ausschluss Savianos nicht nach Frankfurt gehen – obwohl er eingeladen ist.
Veronesis Rückzug löste zahlreiche weitere Absagen aus: Paolo Giordano, Francesco Piccolo und andere gaben bekannt, die Buchmesse zu boykottieren. Piccolo, auch ein «Premio Strega»-Preisträger, schrieb in einem Leserbrief an die Repubblica: «Ich bin einfach der Meinung, dass Italien auch durch den Autor von Gomorrha, einem Buch, das in die ganze Welt übersetzt wurde, vertreten sein muss.» Andere erklärten, sie würden sich einen solchen Schritt überlegen. Der Schriftsteller und Journalist Andrea Bajani sagt: «Ich bin unangenehm erstaunt – oder anders gesagt: empört – über den Ausschluss. Ich werde darüber nachdenken, was zu tun ist.»
«Dumm und lächerlich»
Mauro Mazza, der die Liste mit den hundert Eingeladenen zusammengestellt hatte, rechtfertigt sich. Saviano sei nicht aufgenommen worden, «um anderen, weniger bekannten Autoren und Autorinnen eine Plattform zu geben». Veronesi bezeichnet dieses Argument als «dumm und lächerlich». Er spricht von einer unzulässigen Einmischung durch Meloni und ihre Vertrauten.
Mazza argumentierte, die Auswahl der Autorinnen und Autoren sei das Ergebnis eines langen Dialogs zwischen den italienischen Verlegern und Literaturagenten. Der italienische Verlag von Saviano habe gar nicht Antrag gestellt, den Gomorrha-Autor einzuladen. Dies sagt auch Innocenzo Cipolletta, der Chef des italienischen Verlegerverbandes. Er erklärt, Saviano habe sich nicht unter den Vorschlägen von Verlegern und Agenten befunden.
Nichts gewusst
Dieses Argument überzeugt wenig. Mazza und Cipolletta wissen um die internationale Bekanntheit Savianos und hätten ihn selbst auf die Liste setzen können. Wenn sich Italien zum ersten Mal wieder seit über drei Jahrzehnten als Literaturland in Frankfurt präsentieren kann, gehört wohl ein Aushängeschild der italienischen Literatur dazu.
Antonio Franchini, Schriftsteller und Verlagsleiter von «Giunti Editore» sagt: «Es tut mir leid, dass Saviano nicht eingeladen wurde, das ist ein Fehler.» Mehrere Verleger erklären, sie hätten gar nicht gewusst, dass eine Einladungsliste zusammengestellt werde.
Die Rai, TV Meloni
Viele erinnern auch an Antonio Scurati, der kürzlich ein Buch über Mussolini veröffentlichte: «M. Gli ultimi giorni dell'Europa». (Siehe Journal21: Der Krieg wird euch zugrunde richten). In dem Werk erinnert er an die faschistische Vergangenheit von Melonis «Fratelli d’Italia» – eine Vergangenheit, die noch heute nicht ganz überwunden ist.
Aufgrund dieser Aussagen durfte Scurati nicht an einer Diskussionssendung des Rai-Fernsehens teilnehmen – ein Fernsehen, das mehr und mehr zum TV Meloni mutiert. Auch Scurati befindet sich laut der italienischen Nachrichtenagentur Ansa nicht auf der Liste der hundert Eingeladenen.
Gescheiterte Ausgrenzung
Der Versuch, Saviano stummzuschalten, ist gehörig gescheitert. Seine Ausgrenzung ist kontraproduktiv. Der Ausgeschlossene erklärte, er sei zwar nicht eingeladen, werde aber privat nach Frankfurt gehen. Nach dem Wirbel um seine «Nicht-Einladung» ist anzunehmen, dass er jetzt erst recht im Zentrum des Interesses steht.
Inzwischen ist es der Frankfurter Buchmesse gelungen, die Gemüter zu beruhigen. Jürgen Boos, der Direktor der Messe, erklärte, der Hanser-Verlag, der deutsche Verlag von Savianos Bücher, habe Saviano eingeladen – dies im Gegensatz zum italienischen Verlag. Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Buchhändlerverband und das ZDF stehen hinter dieser Einladung. Ob Saviano nun auf der offiziellen Einladungsliste steht oder als privater «special guest» aufgeführt wird, ist nebensächlich.
Einmal mehr bestätigt sich: Einem Schriftsteller kann nichts Besseres passieren, als dass er zensuriert wird.