Man schreibt den 10. August 2021.
Paris ist, wie immer in dieser Jahreszeit, halb leergefegt, die Rollläden vieler Geschäfte für Wochen heruntergelassen, in manchen Vierteln wird die Suche nach einem Bäcker und dem täglichen Brot zur Herausforderung, während sich gleichzeitig die Geräuschkulisse dieser lauten Stadt mindestens halbiert hat.
Aufregung
Doch plötzlich herrschen Trubel und Lärm in der Seine-Metropole – oder besser gesagt auf den 4 Info-TVs, in den Radiostationen und den sozialen Netzwerken des Landes und nach und nach auch auf den Webseiten sämtlicher Printmedien. Aus einem Gemurmel, das schon seit zwei Tagen angehalten hatte, wurde plötzlich hysterisches Geschrei, ein Ereignis von wahrlich globaler Bedeutung stand unmittelbar bevor und sollte das Sommerloch für mehrere Tage füllen.
Denn in Barcelona war an diesem Tag gegen 13.30 Uhr ein Privatjet gestartet. An Bord: der Eigentümer Leo Messi, seine Frau und ihre drei Söhne sowie reichlich Gepäck. Zielflughafen: Paris-Le Bourget. Von Bord wurden schon mal die ersten Fotos von einem lächelnden Ehepaar beim Aufbruch in ein neues Leben in Umlauf gesetzt. Dabei hatte der Ehemann noch 48 Stunden vorher wie ein Schlosshund geheult, als er seinen Abschied vom FC Barcelona verkünden musste, weil dieser Verein, dessen Devise behauptet, mehr als ein Club zu sein (Barca – mas que un club), sich einen Messi nicht mehr leisten zu können, selbst wenn dieser auf die Hälfte seines Gehalts verzichtet hätte. Allein die Gehaltssumme dieses Traditionsvereins machte zuletzt 110 Prozent der Einnahmen aus – völlig konträr zu den Regeln des spanischen Fussballverbandes.
Also flog der 6-fache Weltfussballer, der wirbelnde Derwisch und kongeniale Techniker, der begnadete Vorbereiter und Torschütze an diesem Dienstagnachmittag Richtung Nordosten, wo es einen Fussballverein gibt, der sich die Marke Messi noch leisten kann: Paris Saint-Germain.
Ganz im Gegensatz zum FC Barcelona ein völlig geschichtsloser Club, der überhaupt erst seit 1970 existiert und bei dem von einer Vereinskultur schlicht keine Rede sein kann.
Allerdings ein Club, der vor 10 Jahren – und mit der damaligen reichlich undurchsichtigen Mithilfe von Staatspräsident Nicolas Sarkozy – vom Golfstaat Katar, dem Ausrichter der nächsten Fussball-WM, aufgekauft worden ist. Seitdem hat der Sportinvestmentfond des Scheichtums (QSI) Milliarden in diesen Verein gepumpt und ist offensichtlich, zumindest bis zur WM im eigenen Zwergland, bereit, dies weiter zu tun.
Und so landete Leo Messis Jet gegen 15 Uhr an diesem Sommertag in Le Bourget, dem Airport für die Privatjets der Reichen aus aller Welt, wo Larry Gagossian, einer der grössten Pariser Galeristen, sogar eine Dependance eröffnet hat, damit Milliardäre quasi im Vorbeigehen ein paar Millionen für zeitgenössische Kunst liegen lassen können.
Ici, c’est Paris
Der eineinhalbstündige Flug von «La Pulga», des 1,68 Meter grossen Flohs aus Barcelona, wo er 21 Jahre seines Lebens verbracht hatte, war von angeblich 100’000 Menschen im Internet verfolgt worden. Und am Flughafen selbst, der in der tristen Vorstadtlandschaft des Pariser Nordens mit öffentlichen Verkehrsmitteln so gut wie nicht zu erreichen ist, hatten sich rund 500 Menschen eingefunden, mancher war zu Fuss gekommen, und sie grölten, hüpften, zündeten bengalische Feuer und warteten mit den Handys am Ende ihrer ausgestreckten Arme, um vielleicht den Fetzen eines Bildes des Fussballstars zu erhaschen.
Und dann, tatsächlich: Ein Fenster des Flughafengebäudes öffnete sich, und Messi erschien, um zu winken und sein neues T-Shirt vorzuführen mit der Aufschrift: «Ici, c’est Paris». Ob man es glaubt oder nicht, dies ist tatsächlich der Schlachtruf von Paris Saint-Germain. Die Anhänger keines anderen europäischen Clubs haben sich einen ähnlich dummen Spruch einfallen lassen. Stichwort: Fussballkultur.
Hôpital Americain
30 Sekunden war für das Winken eingeplant, dann sollte, nach einer Flucht durch die Hintertür, der zwei Tage anhaltende Pariser Messi-Zirkus wirklich beginnen: Ein Autokonvoi aus tiefschwarzen Vans mit getönten Scheiben, begleitet von einem Dutzend Polizeimotorrädern, bahnte sich auf der Nordautobahn einen Weg Richtung Paris, genauer gesagt zum «Hôpital Americain» im Nobelvorort Neuilly, wo sich der immerhin schon 34-jährige Edelkicker dem obligatorischen Medizincheck zu unterziehen hatte, auf Schritt und Tritt begleitet von den vereinseigenen Kameras des Hauptstadtclubs, damit kurz hinterher auf Twitter die ganze Welt sehen konnte, wie das kostbare Juwel zur Computertomographie in eine Röhre geschoben wurde.
Während Messi zwei Stunden lang auf Herz und Nieren durchgeprüft wurde, mussten, wie auf dem Flughafen, auch vor dem Krankenhaus Sperrgitter aufgestellt werden, hinter denen sich dann ähnliche Szenen abspielten wie in Le Bourget. Und auch hier setzte sich das Publikum wieder ganz überwiegend aus jungen Menschen zusammen, die meistens im sozialen Elend der Pariser Vorstädte zu Hause sind. Was bringt ausgerechnet sie dazu, einem Milliardär so rückhaltlos zu Füssen zu liegen, der zu ihrem Club kommt, um dort jährlich 40 Millionen Euro zu verdienen, nebst einem Bonus für die Unterschrift von 25 Millionen?
Wie die Royals
Und weiter ging die Messi-Tour über die sommerlichen Prachtstrassen von Paris. Das Prinzenparkstadion durfte nicht ausgelassen werden, wo ebenfalls einige Hundert Fans schon seit Stunden verharrten – Messi musste kurz und in sicherer Entfernung von der Meute, bestimmt von der Fanvereinigung «Les Ultras», ein paar Schritte auf dem Asphalt tun und erneut winken, bevor die Karawane Richtung Triumphbogen weiter zog. In dessen Nähe hatte sich das 5-Sterne-Hotel Royal Monceau für den Weltstar herausgeputzt und die kreischenden Fans möglichst weit vom Eingang verbannt, durch den Messi und Familie, begleitet von Sonnenbrillen tragenden Dunkelmännern mit dem Knopf im Ohr und dem Colt unter den schwarzen Anzugsjacken, dann Einzug hielten. Sechs Stunden nach ihrer Landung in Paris erschien dann die gesamte Familie noch einmal auf dem Balkon der Luxussuite des Hotels, wobei die Kinder, deren Nase gerade über die Brüstung reichte, so aussahen, als seien sie die kleinen Windsors, die einem strengen Protokoll zu folgen hätten.
Die Flut der an diesem Tag rund um Messi gedrehten Bilder ergaben den Eindruck, Paris habe die Ankunft einer Mischung aus Rockstar und dem amerikanischen Präsidenten erlebt und nicht die eines, wenn auch genialen, Balltreters.
Der Tag danach
Am Morgen des 11. August konnte es sich praktisch keine einzige Zeitung im Land leisten, Leo Messis Ankunft in Paris und seine gross inszenierte Vertragsunterzeichnung bei Paris Saint-Germain nicht auf die Titelseite zu heben.
Und als diese Zeitungen gerade ausgeliefert wurden, da bildete sich auf den Champs-Elysées vor dem Paris-Saint-Germain-Shop bereits eine Schlange, die im Lauf des Vormittags auf mehrere Hundert Meter anwachsen sollte: Alle wollten sie unbedingt das Messi-Trikot mit der Nummer 30 zum Stückpreis von immerhin 110 Euro. Gegen 11 Uhr war dann schon nichts mehr am Lager, zum Zeitpunkt, als Messi und dessen neuer Eigentümer, Paris Saint-Germains Präsident Nasser El Khaleifi aus Katar, in Messis Nobelherberge eine nichtssagende Pressekonferenz abhielten. Dabei gab der mächtige Herr aus dem Gasscheichtum, der 2018 allein für die Herren Mbpape und Neymar 400 Millionen Euro hingeblättert hatte, am Rande klar zu verstehen, dass er sich um das Financial Fairplay der UEFA nicht die Bohne schert.
Danach mussten an diesem Tag noch die Bilder eines Messi gedreht werden, der einsam auf dem heiligen Rasen des Prinzenparkstadions mit dem Ball jongliert, während die Fussballexperten von Dünkirchen bis Marseille langsam anfingen zu rätseln, wie sich Messsi denn in das hunderte Millionen schwere Starensemble von Paris Saint-Germain einfügen wird.So mancher beklagte da schon den armen Trainer, der nun zu den Egos von Neymar, Mbappé, Verrati und Ramos auch noch das von Messi zu managen haben wird.
Auch der just am Weihnachtstag 2020 ohne ersichtlichen Grund geschasste Ex-Trainer von Paris Saint-Germain, der Deutsche Thomas Tuchel, äusserte sich, wenn auch sehr diplomatisch, in eben diese Richtung. Und in der Tat ist der Druck auf Tuchels Nachfolger, den Argentinier Mauricio Pocchetino, nach Messis Ankunft noch um ein Vielfaches grösser geworden. Denn man darf eines nicht vergessen: Trotz der Gasmillionen vom Golf, die nun seit 10 Jahren schier unerschöpflich fliessen und der Grossmäuligkeit, die diesen Verein seit jeher umgibt, ist Paris Saint-Germain in der vergangenen Saison nicht einmal französischer Meister geworden und vor allem: Der Verein hat trotz aller Ankündigungen und Aufwände noch nie die Champions League gewonnen. Messi soll das nun richten.
Genug des Rummels
Nachdem das Kind aus dem argentinischen Rosario es in dieser Woche mit einem einfachen Vereinswechsel geschafft hatte, 48 Stunden lang die französischen Nachrichten zu beherrschen, schrieb im Livechat der Radiostation «France Info» ein Leser an die Redakteure: «Ich habe gehört, Messi musste heute niesen. Ist euch das keine Meldung wert?».
Die Redaktion antwortete mit drei Fotos von Messi beim ersten Training mit seinem neuen Club. Das vermittelte den Eindruck, der fussballerische Alltag sei wieder eingekehrt, nach mehr als 48 Stunden Medienrummel.
Derweil sind an der Wiederverkaufsbörse die Ticketpreise im Prinzenparkstadion für das erste Match, bei dem Messi eventuell im Trikot von Paris Saint-Germain auftreten könnte – gegen den fussballerischen Underdog Racing Strasbourg – auf 800 bis 1000 Euro geklettert. Verrückter Alltag.