Wenn die Amerikaner nächste Woche zur Urne gehen, um das Repräsentantenhaus, rund ein Drittel des 100-köpfigen Senats, 37 Gouverneure sowie die Parlamente der 50 Bundesstaaten zu wählen, dürfte der so genannte „enthusiam gap“ für den Ausgang der einzelnen Rennen eine wichtige Rolle spielen. Politische Kommentatoren sagen voraus, dass der unterschiedliche Grad der Begeisterung Republikaner zahlreicher wird wählen lassen als Demokraten, weil sie schlicht interessierter, motivierter und verärgerter sind.
Nun verliert zwar in den USA die Partei des Präsidenten bei Zwischenwahlen erfahrungsgemäss immer an Stimmen, aber nicht in jenem Masse, wie das Umfragen für Barack Obamas Demokraten vermuten lassen. Jüngste Prognosen gehen davon aus, dass die Republikaner mit grosser Wahrscheinlichkeit die Mehrheit im 435-köpfigen Abgeordnetenhaus übernehmen, im Senat unter Umständen gleichziehen und am Ende mehr Gouverneure als die Demokraten stellen werden. Im Hinblick auf die Präsidentenwahlen 2012 ist vor allem wichtig, was auf der Ebene der Einzelstaaten passiert: Gouverneure und deren Parteiapparate pflegen bei der Mobilisation von Wählern eine wichtige Rolle zu spielen.
Vom Alkoholiker zum "Sprecher des Mannes auf der Strasse"
Wenn es einen Mann gibt, der jüngst fast eigenhändig den „Graben des Enthusiasmus“ zwischen Republikanern und Demokraten aufgerissen oder verbreitert hat, dann ist es der 46-jährige Radio- und TV-Moderator Glenn Beck. Der frühere Alkoholiker und Kokainsüchtige, der vom Katholizismus zum Mormonentum konvertierte, zieht jede Woche im Schnitt neun Millionen Hörer an. Seine einstündige Fernsehsendung, um fünf Uhr nachmittags auf Fox News, schauen sich täglich über zwei Millionen Zuschauer an. Seine Bücher, Sachbücher wie Romane, haben sich mehr als drei Millionen Mal verkauft. Dem Wirtschaftsmagazin Forbes zufolge verdient Beck, der sich gern als Sprachrohr des Mannes von der Strasse aufspielt, 32 Millionen Dollar im Jahr.
Glenn Beck, der seine Sendungen meistens mit einem „Well, hello America!“ beginnt, ist – fast typisch für Fox News – einer jener Moderatoren, die sich von Fakten nur mässig beeindrucken lassen. Er selbst nennt seine Spezies des Journalismus „faction“, eine Mischung von „fact“ und „fiction“: „Faction ist ein ‚vollständig erfundener’ Bericht über etwas, dessen Handlung auf Tatsachen gründet.“ So steht es im Vorwort zu seinem jüngsten Bestseller „The Overton Window“, einem Thriller, der schildert, wie eine Weltregierung die Macht in Amerika übernimmt. „Ein noch nie da gewesener Anschlag auf amerikanischem Boden erschüttert das Land bis in seine Grundfesten und setzt ein Furcht erregendes Vorhaben in Bewegung, dessen Planung seit Jahrzehnten läuft und darauf abzielt, Amerika zu verändern und all jene zu dämonisieren, die sich dem in den Weg stellen“, steht auf dem Buchumschlag.
"Paranoider Polit-Stil"
Becks Buch reiht sich nahtlos ein in eine Reihe von Verschwörungstheorien, die seit der Wahl Barack Obamas ins Weisse Haus am rechten Rand des politischen Spektrums in den USA florieren. Die harmloseren unter den Hirngespinsten beschuldigen den schwarzen Präsidenten, Ausländer und/oder Muslim zu sein; die düstereren Theorien behaupten, die amerikanische Regierung plane, den Bürgern ihre Waffen wegzunehmen und Dissidente in Konzentrationslager zu stecken.
Derweil ist Glenn Beck nicht Amerikas erster Demagoge, der in Zeiten grosser wirtschaftlicher Not mit „einem paranoiden politischen Stil“ punktet, wie das der renommierte Historiker Richard Hofstaedter nennt. Während der Grossen Depression, nach dem Börsencrash von 1929, erfreuten sich auf der Linken Huey Long und auf der Rechten Father Coughlin immenser Beliebtheit. Ziel ihres Zorns waren jene Banker der Wall Street, die sich wie Gangster verhalten hätten: „Bankster“. In den 50er-Jahren sahen Demagogen wie Senator Joe McCarthy oder die John Birch Society die Nation durch Kommunisten bedroht und veranstalteten Hexenjagden auf angebliche „Rote“ in Hollywood und in den Medien. In den 60er-Jahren kämpfte George Wallace, der Gouverneur von Alabama, gegen die Gleichberechtigung der Rassen.
Nancy Pelosi vergiften, Michel Moore töten
Für Glenn Beck, sagt sein Biograf Dana Milbank, Reporter und Kolumnist der „Washington Post“, nähmen Nachrichten die Form einer Warnung an. Beck fordere, wie ein Rattenfänger, seine Zuschauer auf, ihm zu folgen, und führe sie an ungewöhnliche Orte: „Sie haben ihn über Barack Obamas, tief sitzenden Hass auf weisse Leute’ sprechen hören, seine Behauptung, die US-Regierung habe in Wyoming Konzentrationslager errichtet, über seinen Wunsch, (den Dokumentarfilmer) Michel Moore zu töten und über seinen Traum, (die Chefin der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus) Nancy Pelosi zu vergiften.“ Und wie reagiert Barack Obama? „Wenn ich nur Fox News schauen würde, ich würde nicht für mich stimmen“, sagt der Präsident.
Beck, so Milbank, beschreibe seine Todfeinde als „Progressive“, als Kommunisten und Nazis, die darauf aus seien, die Welt zu beherrschen, indem sie für die USA „einen „Reichtagsmoment“ planen und die „selbe Taktik“ wie Hitler anwenden würden, der einst die Juden zusammen getrieben und ausgelöscht habe. Beck, der sich in seinen Sendungen gern düster und pessimistisch gibt, prophezeit, die Welt werde „innerhalb von zehn Jahren“ untergehen. Die Leute, schreibt Dana Milbank in einem Beitrag für „The Daily Beast“, würden Beck nicht folgen, weil er Recht hat. Sie folgten ihm, weil sie sich fürchteten.
Der weinende Glenn Beck
Glenn Beck, als Sohn eines Bäckers in der Kleinstadt Mount Vernon (Washington) aufgewachsen, erinnert gern an seine Herkunft aus dem „realen Amerika“, einem idyllischen Ort, der von den finsteren Machenschaften der Drahtzieher in Washington DC und an der Wall Street weit entfernt ist. Der Moderator beschwört exakt jenes Amerika, das die Anhänger der Tea Party zurückerobern wollen, ein Land, das vor allem in ihren Köpfen existiert und der Wirklichkeit nur entfernt ähnelt.
So war Mount Vernon zwar bekannt als „Amerikas Hauptstadt der Tulpenzwiebel“, gleichzeitig aber war 15 000-Seelen-Ort auch der führende Produzent von Marijuana im Nordwesten der USA. Und Becks Familie war alles andere als eine Vorzeigefamilie: Seine Mutter Mary, Alkoholikerin und depressiv, liess sich früh scheiden und beging später wahrscheinlich Selbstmord.
Mary aber war es, die den jungen Glenn auf seinen späteren Weg wies. Als er acht war, schenkte sie ihm ein Schallplatten-Sammlung mit Radioklassikern, unter ihnen Orson Welles’ „Krieg der Welten“. Die Scheiben weckten Becks Liebe zum Radio und der Junge begann, mit einem Tonband zu Hause seine Radiostimme zu bilden: „Ich war verzaubert von der Magie des Mediums und davon, wie es Bilder in meinem Kopf kreieren konnte.“
Glenn Beck kann heute in seinen Sendungen wie auf Knopfdruck zu weinen beginnen, was kritische Zuhörer und Zuschauer zur Frage bewegt, ob der frühere DJ und Abtreibungsbefürworter, der einst Drogen nahm und einen Rossschwanz trug, tatsächlich glaubt, was er am Mikrofon und am Bildschirm erzählt.
Beck sei halt, sagen Freunde, äusserst dünnhäutig und emotional, was ein Beweis seiner Aufrichtigkeit sei, auf die wiederum seine Beliebtheit gründe. Glenn Beck habe etwas Feminines, schreibt das Magazin der „New York Times“ in einem Porträt des Radio- und Fernsehmannes: „die weichen Gesichtszüge, das Weinen während der Sendung, die reflexartige Verwundbarkeit“.
Auf jeden Fall ziehen Frauen Beck anderen konservativen Kommentatoren vor wie Rush Limbaugh oder Bill O’Reilly vor, die ihrem Machismo freien Lauf zu lassen pflegen. Biograf Milbank hält es zwar für möglich, dass Glenn Beck seine Ideologie des „doom and gloom“ aus rein kommerziellen Gründen pflegt. Er meint aber, er könnte sie inzwischen auch internalisiert haben, nachdem er die Rolle Jahre lang am Radio und im Fernsehen spielte.
"Die Ehre wieder herstellen"
Indes findet David Brooks, ein konservativer Kolumnist der „New Yor Times“, „shock jocks“, lautstarke, rechte Moderatoren wie Rush Limbaugh oder Glenn Beck, würden in ihrer Wirkung überschätzt: „In der Medienwelt sind sie Riesen. In der wirklichen Welt sind sie es nicht.“ Trotzdem würden sie eifrig am Mythos der eigenen Macht weiter spinnen: „Sie surfen auf den Radio- und TV-Wellen und geben vor, für Millionen zu sprechen. Sie verwechseln nach wie vor Hörer mit Wählern….Sie verwechseln die Medien mit der Wirklichkeit.“
Glenn Beck ist es immerhin gelungen, im vergangenen August Zehntausende von Anhängern der Tea Party auf dem Mall in Washington DC unter dem Banner „Die Ehre wiederherstellen“ zu versammeln. Beck wandte sich von exakt Stelle vor dem Lincoln Memorial an die Demonstranten, wo Martin Luther King vor 47 Jahren seine berühmte Rede „I have a dream“ gehalten hatte.
Es gibt übrigens Anhänger der Tea Party, die fordern, Glenn Beck solle sich 2012 zusammen mit Sarah Palin, der früheren Gouverneurin von Alaska und neuen Mitarbeiterin von Fox News, um die amerikanische Präsidentschaft bewerben. Früher, sagt ein kritischer Republikaner, habe er noch geglaubt, Fox News würde für seine Partei arbeiten. Heute, schliesst er, seien die Republikaner für Fox News tätig. .