Einfachstes Grundwissen über den Koran:
Manche Kritiker des Islams zitieren ausgewählte Passagen aus dem Koran, um die Religion als eine blutrünstige Religion darzustellen. Beliebt ist zu diesem Zweck Koran 2/187 in der deutschen Übersetzung von Max Hennig:
"Und erschlagt sie, wo immer ihr auf sie stosst und vertreibt sie von wannen sie euch vertrieben; denn Verführung ist schlimmer als Totschlag. Bekämpft sie jedoch nicht bei der heiligen Moschee, es sei denn sie bekämpfen euch in ihr. Greifen sie jedoch an, schlagt sie tot. Also ist der Lohn der Ungläubigen. 2/188 So sie jedoch ablassen, siehe, so ist Allah verzeihend und barmherzig."
Der diesen beiden Versen vorausgehende Vers (2/186) wird meist ausgelassen, gehört aber auch in den Zusammenhang.
"Und kämpft in Allahs Pfad, doch übertretet nicht: siehe Allah liebt nicht die Übertreter."
Auch im Koran steht: (5/35) Im Zusammenhang mit der Geschichte von Kain und Abel:
"Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Israel verordnet, dass wer eine Seele ermordet, ohne dass er einen Mord oder eine Gewalttat begangen hat, soll sein wie einer, der die ganze Menschheit ermordet hat. Und wer einen am Leben erhält, soll sein als hätte er die ganze Menschheit am Leben erhalten."
Widersprüche
Die beiden Passagen widersprechen sich nicht vollständig, doch sie weisen deutlich entgegengesetzte Ausrichtungen auf: Aufforderung zu Kampf und Töten einerseits; Gebot das Menschenleben zu bewahren andrerseits. Es ist nicht das einzige Beispiel für derartige Gegensätze innerhalb des Korans. Sie sind den Koranauslegern aller Zeiten natürlich nicht verborgen geblieben. Diese haben eine Methode entwickelt, wie mit den Widersprüchen umzugehen sei.
Der Koran ist bekanntlich stückweise in vielen Einzeloffenbarungen über eine Dauer von 22 Jahren dem Propheten "enthüllt" oder eingegeben worden. Man kennt die Ereignisse, die sich in jener Zeit im Leben des Propheten abgespielt haben.
Zeitgebunden und allgemeingültig
Die Suren des Korans sind zwei Hauptepochen zugeteilt, jener von Mekka und jener von Medina. Die kurzen kosmischen Visionen waren der Beginn der prophetischen Laufbahn. Sie stehen am Ende des Korans, weil dieser nach der Länge der Suren (Kapitel) mechanisch geordnet ist. Die langen Kapitel stehen am Anfang, sie sind hauptsächlich der späteren Zeit zuzuordnen, und sie enthalten oftmals Weisungen darüber, wie die Gemeinschaft der Gläubigen zu ordnen sei und wie sie sich von den anderen Religionen des einen Gottes unterscheide.
Sie gehören in die Zeit, in der Mohammed in Medina als Staatsmann zu wirken begann. (Nach der Hijra von 622). Dies war auch die Zeit, in der die junge Gemeinschaft der Gläubigen Krieg führte mit den Mächtigen von Mekka, die den Propheten aus seiner Heimatstadt vertrieben hatten.
Krieg zwischen Medina und Mekka
Die Ausleger des Korans unterscheiden zwischen Offenbarungen, die dem Propheten eingegeben wurden, um in bestimmten konkreten Situationen sein Verhalten zu lenken, kurz: lagebedingte Inspirationen einerseits, und andrerseits allgemein gültige Regeln und Aussagen, das heisst solche, die jederzeit für alle Gläubigen gelten sollen.
Allgemeinverbindliches Tötungsverbot
Nun ist sehr deutlich, die zuerst zitierten Verse sind lagebedingt, sie beziehen sich auf die Kriegssituation, die zwischen Medina und Mekka bestand, und in der die Gläubigen aufgerufen waren, gegen das Heer von Mekka zu kämpfen, um schliesslich ihre Heimkehr nach Mekka zu erstreiten. Diese kam dann 632 vermittels eines Vertrages mit den Mekkanern tatsächlich zustande.
Den Koran als Ganzes lesen
Die zweite Stelle hingegen, mit dem Tötungsverbot, ist allgemein verbindlich. Sie wird verstärkt durch die vorausgehende biblische Geschichte von Kain und Abel (in einer von der biblischen leicht abweichenden Version). Die Trennung in zeitgebunden und allgemeingültig gilt für den ganzen Koran. Sie ist einer der Gründe dafür, dass der Koran als Ganzes aufgefasst und gelesen werden muss. Im Idealfall sollte er auswendig beherrscht werden, um ihn vollständig und als Ganzes im Gedächtnis zu tragen.
Einen Teil davon herauszupicken und ihn als alleinverbindlich zu proklamieren ist unzulässig, weil es der gesamten Natur des Heiligen Buches widerspricht. Der Koran ist eine Sammlung von Inspirationen, die für den Gläubigen natürlich von Gott herkommen. Sie müssen verstanden und ausgelegt werden, um zur Führung der Gläubigen zu dienen. Der Koran selbst differenziert an einer Stelle (3/5) folgendermassen:
"ER ist's, der auf dich herabsandte das Buch. In ihm sind evidente Verse, sie die Mutter des Buches, und andere dunkle. Diejenigen nun, in deren Herzen die Neigung zum Irren ist, die folgen dem Dunklen in ihm, im Trachten nach Spaltung und im Trachten nach seiner Deutung. Seine Deutung weiss jedoch niemand als Allah. Und die Festen im Wissen sprechen: Wir glauben es; alles ist von unserem Herrn. - Aber nur die Verständigen beherzigen es."
Missbrauch des Korans
Aus alledem geht hervor, die Polemiker gegen den Koran unter den westlichen Islamophoben und die extremistischen Islamisten von IS oder al-Qaeda tun gegenüber dem Koran das gleiche. Sie reissen einzelne Verse heraus, die ihnen in ihre Argumentation passen, und sie ignorieren den Rest.
Bezeichnenderweise wählen beide Gruppen mit Vorliebe die gleichen Passagen aus. Den einen dienen sie fälschlicherweise zur Anklage des Korans und der Muslime, den anderen ebenso falsch als Rechtfertigung ihres Blutvergiessens. Wer immer das tut, öffnet ein Tor zum Missbrauch des Korans und zur Entstellung der Religion des Islams.