Wie konnte es so weit kommen, dass sich in den USA zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen? In «Das gespaltene Haus» erklärt der Historiker Manfred Berg, warum Donald Trump derart erfolgreich werden konnte – und lässt für die Zukunft vieles offen.
Es ist ein Ereignis, das bis heute nachhallt. Unter dem Etikett «Tea Party» entfacht der rechte Parteiflügel der US-Republikaner kurz nach Barack Obamas Amtsantritt im Jahr 2009 eine populistische Revolte, die sich nicht nur gegen den demokratischen Präsidenten richtet, sondern vor allem gegen das eigene Partei-Establishment. Sie bereitet Donald Trumps Präsidentschaft den Boden und macht die Republikaner zu einem «Kampfbund weisser Nationalisten».
So beschreibt der Historiker Manfred Berg (Bild) in seinem brandaktuellen Buch «Das gespaltene Haus» eine Entwicklung, die auch den aktuellen Wahlkampf prägt. Wobei der Titel «Tea Party» keineswegs zufällig gewählt ist, sondern historische Erinnerungen weckt. In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1773 enterten als Indianer verkleidete Siedler im Hafen von Boston ein britisches Handelsschiff und warfen rund 45 Tonnen Tee ins Wasser. Sie protestierten damit gegen jene Zölle, mit denen der englische König seine Staatskasse sanieren wollte. Und gaben so den Anstoss zur Unabhängigkeit der späteren USA.
Der Sturm aufs Kapitol als Höhepunkt
Die «Tea Party» des Jahres 2009 protestiert auch. Und zwar gegen jene enormen Summen, mit denen die US-Regierung das krisengeschüttelte Finanzsystem stützen und die Konjunktur ankurbeln muss. Das löst, wie Berg schreibt, «massive Proteste von rechts und links aus, weil es vielen Amerikanern, die dem Staat ohnehin misstrauten, als Verschwörung eines Elitenkartells aus Politik und Hochfinanz erschien». Und führt dazu, dass die Republikaner im Kongress eine kompromisslose Opposition betreiben gegen eine Politik, die noch ihr eigener Präsident Georg W. Bush in die Wege geleitet hat. So ist es geblieben, bis heute: Zwei ungefähr gleich grosse Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber, eine Eskalationsspirale kommt in Gang, die am 6. Januar 2021 mit dem Sturm einer vom abgewählten Präsidenten Trump aufgepeitschten Menge auf das Kapitol ihren Höhepunkt erreicht.
Wie es so weit kommen konnte, das ist Gegenstand einer Analyse, für die Manfred Berg tief gräbt und weit zurückgeht. Seine Zeitreise fängt an mit der Präsidentschaft des Ex-Generals Dwight D. Eisenhower, der, obwohl von den Republikanern portiert, zwischen 1953 und 1961 mit demokratischen Kongressmehrheiten regiert. Und zwar so reibungslos, dass es kaum auffällt. Immer wieder finden sich die Parteien, eine Art «liberaler Konsens» beherrscht die Nachkriegszeit.
Kennedy und Johnson als Präsidenten einer Wegscheide
Dann aber, unter dem Demokraten John F. Kennedy (1961–1963), brechen Konflikte auf, die zu starken Verschiebungen in der Parteienlandschaft führen. Es ist die schwarze Bürgerrechtsbewegung, die, angeführt von Martin Luther King, mit ihrer Forderung nach einem Abbau himmelschreiender Diskriminierungen insbesondere in den Südstaaten den Präsidenten unter Druck setzen. Kennedy muss handeln. Er und sein Nachfolger Lyndon B. Johnson (1963–1969) bringen die Bürgerrechtsgesetze auf den Weg.
Was dazu führt, dass die seit dem Bürgerkrieg traditionell demokratisch wählenden Weissen in den Südstaaten anfangen, republikanisch zu stimmen – und umgekehrt die Demokraten zur Partei der Minderheiten werden. Lyndon B. Johnson, den wir in Europa nur als den Präsidenten sehen, der den Vietnamkrieg auf eine grausame Spitze getrieben hat, ist innenpolitisch betrachtet mit dem Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen und gegen die Armut einer der bedeutendsten Präsidenten des 20. Jahrhunderts.
Aber Vietnam treibt die amerikanische Gesellschaft in eine Polarisierung, die in den Jahrzehnten darauf rasch an Fahrt gewinnt. Johnsons Nachfolger, der Republikaner Richard M. Nixon (1969–1974), der am Ende über die Watergate-Affäre stürzt, trägt wesentlich dazu bei, das Vertrauen in Institutionen und Amtsträger erodieren zu lassen. Kein Wunder, können Nixons Nachfolger, sein Vizepräsident Gerald R. Ford (1974–1977), und der Demokrat Jimmy Carter (1977–1981) weder das verloren gegangene Vertrauen wiederherstellen noch die nötige Ruhe in den politischen Betrieb bringen.
Abtreibung, Religion, Waffen: die Streitthemen
Das gelingt erst dem Republikaner Ronald Reagan (1981–1989), dessen Amtszeit eine Zäsur darstellt. Denn unter Reagan vollzieht sich das, was Manfred Berg als die «Versöhnung von religiös-moralischem Traditionalismus und libertärem Individualismus unter dem Banner des militanten Antikommunismus» beschreibt. Es ist dies die Gegenbewegung zu jenem Aufbruch einer jungen Generation, der seit den späten Sechzigerjahren das Selbstverständnis der Demokratischen Partei mehr und mehr prägt. Jetzt, unter den Präsidenten George Bush (1989–1993), Bill Clinton (1993–2001) und George W. Bush (2001–2009), wird der Boden zu jenen tiefen Gegensätzen gelegt, die seit der Präsidentschaft Barack Obamas (2009–2017) die amerikanische Innenpolitik mehr und mehr lähmen. Zum treibenden Element wird dabei eine Globalisierung, die ganze Regionen verarmen lässt und jene Ressentiments nährt, auf die der begabte Demagoge Donald Trump setzt.
Es kristallisieren sich jene Streitthemen heraus, denen Manfred Berg im zweiten Teil seines Buchs gesonderte Betrachtungen widmet: Da ist das Abtreibungsverbot, das für die Republikaner zum politisch-ideologischen Projekt wird. Da sind Auseinandersetzungen über den Stellenwert der Religion, etwa im Bildungswesen. Da ist die zur Schicksalsfrage der Nation erhobene Auseinandersetzung um das Waffentragen. Da ist mit dem Aufkommen sozialer Medien ein Wandel der Medienwelt, der viele Menschen dazu bringt, sich in die Echokammern Gleichgesinnter zurückzuziehen.
Kulturkriege lösen Abwehrreflexe aus
Und da ist schliesslich eine fortdauernde rassisch-ethnische Polarisierung, verschärft durch eine Immigration, die das Gesicht der US-Gesellschaft zu verändern beginnt: Mit dem Zustrom aus Asien und Lateinamerika droht das weisse Amerika in die Minderheit zu geraten – und flüchtet sich in die Arme des aufkommenden rechten Populismus. Während auf der andern Seite, auf der Linken, Identität zum unverrückbaren Leitbegriff wird. Kulturkriege werden ausgetragen, die kaum mehr Raum lassen für Kompromisse. «Die Forderung linker Identitätspolitik, sie müssten endlich ihre <weissen Privilegien> aufgeben, löst bei der Mehrheit der weissen Amerikanerinnen und Amerikanern verlässlich heftige Abwehrreflexe aus», fasst Manfred Berg zusammen. «Die Republikaner setzen auf den sozialen und moralischen Konservatismus der <kleinen Leute>, die Demokraten wurden zur Partei der gebildeten Eliten und der Minderheiten.»
Wer sind wir? In den Kulturkriegen um Frauenrechte, Geschlechterrollen und Sexualmoral, um Religions- und Redefreiheit sowie um das historische Selbstbild der Amerikaner geben beide Lager diametral unterschiedliche Antworten. Und: Sie sortieren sich neu. Schon 2007 stellen Politologen fest, dass «der konservative Flügel der Demokratischen Partei so gut wie verschwunden ist, genau wie der liberale Flügel der Republikanischen Partei.» Genau diese Flügel aber haben zuvor die Kompromisse des politischen Alltags ermöglicht. So kommt es, dass Barack Obamas Präsidentschaft zwar den Durchbruch zu einem multiethnischen neuen Amerika ist, dass sie aber zugleich zum «Brandbeschleuniger der Radikalisierung des weissen Nationalismus» wird, so Manfred Berg. Seine Kräfte bündeln sich in der «Tea Party»-Bewegung, krempeln die Republikanische Partei um und bringen Donald Trump an die Macht. Aus den einstmals so schwer zu unterscheidenden Demokraten aber sind, so Berg, «verfeindete <Stämme> geworden».
Die Zukunft ist beängstigend offen
Was bedeutet das für die Zukunft? Droht den USA ein neuer Bürgerkrieg? Manfred Berg sieht durchaus Parallelen zum Sezessionskrieg der Süd- gegen die Nordstaaten, der zwischen 1861 und 1865 etwa 700’000 Menschenleben gefordert hat. Auch ihm seien jahrzehntelange Spannungen vorausgegangen. Und auch in ihm sei es weniger um ökonomische Interessen gegangen als um die Frage nach der Identität Amerikas. Zwar sei heute ein offener Bürgerkrieg kein wahrscheinliches Szenario, erklärt er, «aber eine Gewalteskalation halten viele Beobachter für sehr wohl denkbar».
Und er zitiert die «New York Times», die erklärt hat, eine «explosive Mischung aus einer aufgeheizten politischen Rhetorik, verwirrten Verschwörungstheorien, Wut auf den Staat und einer militanten <gun culture> hat einen fruchtbaren Boden für politische Gewalt geschaffen». Das sei eine Gefahr, «die auch dann nicht verschwinden wird, wenn Donald Trump von der politischen Bühne abtritt».
Manfred Berg: Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von 1950 bis heute. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 542 Seiten