Catrin Ponciano führt uns kritisch kulinarisch durch den Süden Portugals. Den Winter nicht in Eis und Schnee zu verbringen, ohne Hochnebel und Kälte – das war unser Plan. Nun leben wir schon seit zwei Monaten in der Algarve in einem gemieteten Haus, das zwar nicht dem gewohnten Standard von zu Hause entspricht, aber genügend Komfort bietet, den frühlingshaften, südlichen Winter zu geniessen.
Der Reiseplan stand schon vor einem Jahr. Als brave Schweizerinnen begannen wir sofort mit dem portugiesischen Sprachstudium, was sich als schwierig herausstellte: Alle Klassen boten brasilianisches Portugiesisch an, das sich allerdings im Laufe der Jahrhunderte vom europäischen Portugiesisch auf eigene Wege begeben hat.
Begegnung mit einer deutschen Autorin
Wie weiter? Reisebücher, das war klar. Dokumentarfilme aus dem ARD und ARTE Portal, und, wie immer vor einer Reise in ein unbekanntes Land, deren Literatur, für Portugal heisst das grosse Thema Sehnsucht, alles auf Deutsch und Englisch, versteht sich, unser Portugiesisch kam nie über «Bom dia» hinaus. Dann, was in den letzten Jahren trendig geworden ist: Kriminalromane. Wir kennen sie, die deutschen Autoren, deren Kommissare in Venedig oder der Bretagne Verbrechen aufklären, immer verbunden mit guter Küche.
Amazon macht es einfach. Man liest ein paar Seiten und weiss, dass eher nicht oder eben: ja doch. So stiessen wir auf Catrin Ponciano, eine deutsche Autorin, die seit 25 Jahren im Algarve lebt. Schon bald nach unserer Ankunft schreiben wir sie an und lernen bald eine äusserst interessante Frau kennen.
Deutschland sei ihr zu eng geworden, damals, vor 25 Jahren, und heute erst recht, erzählt sie mir, als wir uns zu einer «Bica» (Espresso) trafen. Ihr erstes Ziel war Andalusien, wo sie, als gelernte Küchenchefin, Hengste trainierte. Wieso Hengste? Eines ihrer Steckenpferde. Auch heute noch? Nein, heute schreibt sie. Schon immer liebte sie es, Geschichten zu erzählen, wahre und erfundene, die uns das Leben anderer näherbringt, seien sie Fischer, Köche, Poeten, Bauern, Winzer.
Aber erst der Reihe nach: Nach dem Fiasko in Spanien, siedelte sich Catrin Ponciano 1999 im Algarve an. Sie hatte Glück und wurde gleich wieder als Küchenchefin engagiert, und da war auch ein Mann, in den sie sich verliebte und heiratete. Aber eigentlich war sie weg aus Deutschland, um ein anderes Leben zu beginnen, und so kam es, dass nach ein paar Jahren der Schreibstift den Kochlöffel ablöste. Einfach war das nicht, und so begann sie, wie viele hier, in verschiedensten «Berufungen» tätig zu sein. Heute bestreitet sie ihren Lebensunterhalt als Autorin und Reisebegleiterin.
Poncianos erstes Buch war ein Kochbuch. 2020 legte sie mit «Leiser Tod in Lissabon» ihren ersten Krimi vor, der dann auch gleich den Stuttgarter Debutkrimipreis gewann. Wie es sich gehört für eine Preisträgerin, folgte 2022 mit «Rache im Alentejo» ihr zweiter Krimi mit gleicher Besetzung, es soll aber, so versichert Ponciano, keine Serie werden, wie das (leider) bei den meisten Krimiautoren zur Regel geworden ist. Inzwischen hat sie sich auch einen Namen als Biografin bekannter portugiesisch Schreibender gemacht. Dazu kamen Reisebücher und wieder Kochbücher.
Sich literarisch auf eine Reise oder Aufenthalt vorzubereiten, ist eine wunderbare Sache. Man lebt gleichzeitig hier und dort und fragt sich, wie sich die dortige Welt dann enthüllen wird. Zuerst aber muss man hin. Da wir doch einen längeren Aufenthalt geplant hatten, ausserdem mit Labradorhündin Lotte reisten, kam nur das Auto in Frage. Wer non-stop durchfährt, braucht 25 Stunden. Wir teilten uns die Reise in vier Etappen auf und genossen das langsame Entkommen aus dem nebligen Zürich im sonnigen Algarve mit französischen und spanischen Eindrücken und Essköstlichkeiten. Am Ende dann ging es durch den Alentejo, ein grossartiges Wein- und Obstanbaugebiet, nördlich des Algarve.
Algarve ist maskulin
Ja, Algarve ist maskulin. Der Algarve. Der Algarve hat seinen Ursprung im arabischen, el-gharb, was «der Westen» bedeutet. Warum el-gharb? Weil die Araber über Andalusien bis an den Westen Portugals vorrückten, dann kam der Atlantik und das war das Ende. Weiter in den Westen reisten dann erst die Portugiesen mit ihren wagemutigen Seefahrern. Auch wieder eine Geschichte, aber darüber in einem späteren Essay. El-Gharb, der Westen, ist also männlich.
Einiges wussten wir schon über die Algarve aus der Krimi-Lektüre von «Leiser Tod in Lissabon» und «Rache im Alentejo». Dora Monteiro, die Kommissarin, fährt da oft mit übersetzter Geschwindigkeit von Lissabon durch den Alentejo in den Algarve. Endlich eine weibliche Kommissarin, die nicht nur Mördern auf der Spur ist, sondern auch der unrühmlichen Epoche unter Antonio Salazar, die in den Köpfen gewisser Portugiesen weiter existiert(e) und noch immer Unheil anrichtet.
Ponciano schreibt mit dem Herzen. Es ist ihre Heimat, die sie uns zeigen möchte. Sie schreibt eine schnelle, spannende Sprache, voller Witz und viel Verständnis für Menschen aller Art. Es lohnt sich, diese beiden Bücher im grau-nassen Winter im Sofa (vor dem Kamin?) mit einem Glas Syrah Reserve der Joâo Clara, der ersten Winzerin der Algarve zu geniessen. Wer es ganz algarvisch nehmen will, der wählt einen Touriga National oder einen Touriga Frances.
Ponciano sprach kein Portugiesisch, als sie in «os algarvios» ankam. Eine Frau ohne Berührungsängste macht damit kurzen Prozess. Sie setzt sich zu den Einheimischen ins Café und hört ihnen zu. Der Tag der Portugiesen beginnt im Café mit einer Bica (Espresso), einem Schwatz und dann geht es los in den Alltag, der nicht vor neun Uhr beginnt und bis zum Mittag dauert. Erst dann kommt Stärkung in den Magen, immer begleitet von einem Glas Wein. Es folgen die Nachmittagsstunden, die weit in den Abend reichen können.
Heute ist es nicht mehr so einfach, sich zu den Portugiesen an den Tisch zu setzen wie vor 25 Jahren. Portugal wird jährlich von einem massiven Touristenstrom besucht. 2023 kamen 40 Millionen Menschen, die Hälfte wählte den Algarve als ihre Destination. Mit 5000 km2 entspricht der Algarve etwa dem Kanton Wallis. 2023 wurden im Wallis insgesamt 13 Millionen Übernachtungen und 8 Millionen Tagestouristen verzeichnet. Nach der Volkserhebung von 2021 wohnten 467'475 Menschen im Algarve (davon 26.6% «Migranten» aus aller Welt). Im Wallis lebten 2022 etwas 350 000 Menschen. Vom Januar 2023 bis Ende November wurden in Portugal 89.9 Millionen Übernachtungen verbucht, davon wiederum etwa die Hälfte in der Algarve, die allermeisten an der Küste, also drei Mal so viel wie im Wallis. Das wäre so, wie wenn sich 40 Millionen Touristen der Rhone entlang tummeln würden. Da wird es eng und laut, es gibt sehr viel zu tun, der Strand ist überfüllt, die Hotels ausgebucht und es gibt viel Müll zu entsorgen.
Wasserarmut und Wasserverschwendung
Trotzdem: Die meisten Portugiesen sind Fremden gegenüber sehr offen, sie ziehen es aber vor, mit uns Englisch zu sprechen, die erste Fremdsprache in diesem Land, die viele sehr gut sprechen. Auch ist es im Winter nicht eng, Hunde sind im Sommer an den Stränden erlaubt, die Restaurants sind froh um Kundschaft, auch die Bootsfahrer, die gerne die roten Felsküsten mit ihren Höhlen zeigen.
In «Rache im Alentejo» thematisiert Catrin Ponciano, unter anderem, den Tourismus. Das macht hellhörig, sind wir doch auch Touristinnen mit Hund. Wir brauchen Wasser und eine Wohnung oder eine «Vila», wie man hier ein Anwesen nennt. Beim Lesen spürt man die Sorge der Autorin um das köstliche Gut «Land und Wasser». In der Algarve, ähnlich Andalusiens, fällt nur wenig Regen, meist im Winter. Es füllen sich dann die Reservoirs, die sich im Sommer rasant leeren. Obwohl die Sandstrände zum Baden einladen, verfügen fast alle Vilas über Pools, die Resorts ebenso, auch gibt es riesige Wasserparks, wo ich als Kind auch gerne gerutscht wäre, hätte es sie denn gegeben, aber eben, Wasser wird grosszügig und grossflächig angeboten. Und die Landwirtschaft? Sie hat das Nachsehen.
«Rache im Alentejo» spielt an der Westküste, die eigentlich unter Naturschutz steht. In ihrem Roman versucht ein eingebildeter Trupp verbliebener Salazar-Anhänger im Schutzgebiet ein Exklusiv-Resort zu bauen, mit viel Hinterlist, Betrug und Mord. Dora Monteiro wird in die traurige Geschichte hineingezogen. Sie kann nicht anders als zu handeln, genauso wie die Autorin nicht anders kann als aufzuzeigen, auf welchem schmalen Grat der Alentejo und der Algarve balancieren.
Ohne Wasser kein Leben. Ohne Touristen kein Auskommen. Sie zeigt aber auch, wie viele Menschen sich dieser Situation bewusst sind und versuchen, Wege zu finden, die möglichst viele gehen können. Im Besonderen hat es die Weinwirtschaft geschafft, Perlen zu erzeugen, die ihresgleichen suchen. Und die Rebe, das wissen wir ja, wurzelt tief, um an Wasser zu kommen, auch wenn das Grundwasser, wie überall auf der Welt, zu versiegen beginnt.
Werben für die Alentejo-Küche
Begonnen hat Catrin Ponciano – wie bereits erwähnt – als Kochbuch Autorin. Während die spanische Küche in Westeuropa schon vor Jahren angekommen war, kannte man die Algarve-Küche kaum. Wie schade, dachte sie, denn diese Küche hat vieles zu bieten und schon entstanden Artikel über die südliche Küche, gefolgt von einem Buch: «Algarve geniessen – Ein Reise-Erlebnis-Kochbuch». (Bereits in der 2. Auflage erschienen. Reisebuch Verlag, 2022.) Ponciano erzählt genussvoll, wo man den besten Fisch, die best-gereiften Früchte, das geschmacksintensivste Gemüse bekommt. Überall in der Algarve gibt es Markthallen (mercados), wo man sich trifft, schwatzt und einkauft, besonders am Samstag. Da lässt sich gut sein.
Algarve geniessen fügt sich wunderbar an die beiden Reisebücher «111 Orte der Algarve, die man gesehen haben muss» und «111 Orte im Alentejo, die man gesehen haben muss» (beide in der bekannten emons Reihe «111 Orte» erschienen). Auch da wird viel gegessen und nachgedacht über die schwierige Geschichte Portugals. Ende Februar wird sich dann auch noch ihr Porto in die «111 Orte»-Reihe eingliedern. Man darf gespannt sein. (Hier ihre website: https://catringeorge.com/)