Beppe Grillo, die Ikone der populistischen italienischen „5 Sterne-Bewegung“ provoziert, beleidigt und poltert. Ist er ein Linkspopulist, oder ist er ein Rechtspopulist?
Eine jetzt veröffentlichte detaillierte Studie *) zeigt: Das „Movimento Cinquestelle“ ist beides – einmal linkspopulistisch, einmal rechtspopulistisch. So sammelt Grillo alle ein: die Linkspopulisten und die Rechtspopulisten. Würde man sich auf eine Kategorie festlegen, würde man die andere verlieren.
Der Aufstieg der „5 Sterne“ ist beeindruckend. Grillos Bewegung ist zur Zeit die stärkste Partei in Italien und könnte die nächsten Wahlen gewinnen.
Mal links, mal rechts
Grillos Kritiker sagen, er sei ein „Verrückter“, habe keine politische und ideologische Linie, sei sich immer wieder selbst untreu und sage mal dies und mal das. Doch genau das „Keine-Linie-Haben“ ist seine Strategie, sein Programm.
Mal links, mal rechts. Gerade das ist das Erfolgsrezept der Populisten – nicht nur der italienischen.
Heute poltert er gegen die Reichen, die ihr Geld „auf dem gekrümmten Buckel der Arbeiter“ verdienen. So macht er sich bei der Linken beliebt.
Diese Woche forderte er eine Abschaffung der „verkrusteten Gewerkschaften“. So macht er sich bei der Rechten beliebt. Täglich ist er für eine Provokation zu haben.
Stark fragmentiert
Das Ergebnis der Studie ist genauso widersprüchlich wie die Strategie der Partei. 41 Prozent der Befragten sagen, sie fühlten sich den Rechtsparteien „nahe“. 22 Prozent neigen den Linksparteien zu. Andererseits ordnen sich 29 Prozent der Befragten als „links“ und 21 Prozent als „rechts“ ein.
Jede Partei hat linke und rechte, progressive und konservative Flügel. Schon die untergegangene „Democrazia Cristiana“ (DC), die Italien während 50 Jahren dominierte, war stark fragmentiert. Doch keine Wählerschaft ist so vielschichtig und aufgesplittert wie jetzt jene der „5 Sterne“.
Aufschrei gegen das Politsystem
Man macht es sich zu einfach, ihre Anhänger als dumme Nachläufer eines populistischen Säulenheiligen zu verteufeln. Korruption, Leerlauf und Show dominieren Italiens Politik. Das Parlament ist oft eine Opera buffa-Bude, die nichts zustande bringt. Während 40 Prozent der Jungen arbeitslos sind, und während es einem grossen Teil der Bevölkerung wirtschaftlich schlecht geht, plustern sich die Politiker auf, beziehen die höchsten Diäten in Europa, setzen sich hochmütig vor die Fernsehkameras, spazieren im Römer Regierungsviertel in Armani-Stoffen von einem Luxus-Restaurant ins andere, lassen sich das Aktenköfferchen von gestylten Sekretärinnen tragen und rasen mit Blaulicht über die Autobahnen.
Der Erfolg von Beppe Grillo ist ein Aufschrei gegen dieses verkrustete, korrupte, aufgeblasene, teils plutokratische Politsystem.
Um die Politiker zu entmachten, sollte die Demokratie radikal ausgebaut werden. Das forderte Gianroberto Casaleggio (Bild), der Spiritus rector der 5 Sterne, der vor genau einem Jahr im Alter von 62 Jahren verstorben ist. Da bald die gesamte Bevölkerung einen Internet-Anschluss hat, propagierte Casaleggio, dass alles und jenes über Internet-Abstimmungen entschieden werden soll. Auch die Kandidatinnen und Kandidaten für politische Ämter sollten per Mausklick bestimmt werden. Während Casaleggio eine Art Philosoph der Bewegung war, trat Beppe Grillo als Mann fürs Grobe auf. Er, der einstige Komiker, ist der Haudegen, der Verkäufer, der Provokateur. Mit dem „Leck-mich-am-Arsch-Tag“ (Vaffanculo-Day) mobilisierte er Zehntausende, Hunderttausende – alles Leute, die den etablierten Politikern den Hintern zeigen möchten.
Immer mehr nach rechts
Aber: Es genügt nicht, den andern nur den Hintern zu zeigen. Grillo, der Popstar, hat ein grosses Problem: die Partei verfügt über kein brauchbares Personal. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind oft schrecklich naiv und unerfahren. Die 5 Sterne sind ein Sammelbecken von Enttäuschten, von Wütenden, von Besserwissern, von „Anti-Establishmentisten“, von Romantikern, von notorischen Rebellen, von Gutmenschen und von Möchte-gern-Karrieristen, die in andern Parteien keine Chance haben.
In jüngster Zeit driftet Grillo immer mehr in die rechtspopulistische Ecke ab. Sein Programm unterscheidet sich wenig von jenem der AfD. Er ist gegen den Euro; die EU will er radikal umbauen und die Grenzen schliessen. Natürlich spricht auch er von „Lügenpresse“ – das gehört zum Repertoire jedes strammen Populisten. Schuld an der Kriminalität seien die Ausländer, vor allem die Rumänen (Statistiken besagen etwas Anderes). Er bewundert Trump und Putin und kritisiert „la Merkel“. Auf seinem Blog werden mehr und mehr Texte aus der russischen Troll-Küche (Russia Today, Sputnik) publiziert.
Wie Cäsar und Nero
Politisch haben die 5 Sterne bisher gar nichts erreicht. Die früher hochgejubelte Römer Bürgermeisterin Virginia Raggi, einst ein Juwel der 5 Sterne, tritt von einem Fettnapf in den andern; ihre Bilanz ist fast schon beschämend. Die Partei ist zerstritten. Grillo führt ein Regime, als wäre er Cäsar oder Nero. Wer ihm nicht passt, den wirft er aus der Partei. Kritik und Protest duldet er keine. Ergebnisse der Internet-Abstimmungen akzeptiert er nur, wenn sie ihm passen. Seine propagierte Internet-Basisdemokratie tritt er selbst mit Füssen. Seine Strategie, mal so, mal so, ist so wirr wie seine Haartracht. Er ist wirklich so, wie er aussieht.
All das schadet ihm nicht. Trotz Skandalen und Krisen, trotz der blamablen Darbietung von Virginia Raggi, sind die 5 Sterne zurzeit die stärkste politische Formation in Italien. Laut jüngsten Meinungsumfragen kommen sie auf über 32 Prozent – 5 Prozent mehr als die regierenden Sozialdemokraten. Völlig abgehängt mit je gut 12 Prozent sind Berlusconis „Forza Italia“ und die „Lega Nord“.
Es scheint, als könne sich Grillo im Moment alles erlauben.
„Was das Gericht entscheidet, ist mir egal“
Als Marike Cassimatis, Geografieprofessorin an einer Mittelschule in Genua, von der 5 Sterne-Internetgemeinde zur Kandidatin für das Bürgermeisteramt gewählt wurde, warf er sie aus der Partei – weil sie ihm nicht behagt. Ihr Vergehen: Sie hatte auf Facebook einen Vorschlag eines linken Politikers gelikt. Cassimatis klagte vor Gericht und bekam recht. „Was das Gericht entscheidet, ist mir egal“, sagt Grillo.
Jetzt bewerben sich die 5 Sterne gar nicht um das Bürgermeisteramt in Genua. Grillo hat Angst, vermuten seine Kritiker, dass ein schwacher Cinquestelle-Kandidat gewinnen könnte – und dann eine ähnliche blamable Politik hinlegt wie Virginia Raggi in Rom. Es ist einträglicher, eine laute und freche Oppositionspolitik zu betreiben, als selbst Verantwortung zu übernehmen.
*) Atlante politico Demos & Pi, März 2017. Befragt wurden 1213 Anhänger der Cinquestelle