„Früher hätte man ihn auf dem Scheiterhaufen verbrannt“, spottet ein Journalist der Römer Zeitung „La Repubblica“. Linke Sozialdemokraten haben dem Sozialdemokraten Matteo Renzi den Kampf angesagt. Sie sind dabei, sich von der Mutterpartei abzuspalten und eine eigene Bewegung zu gründen. Dies deshalb, weil Renzi, der frühere Ministerpräsident und Parteichef, ein Comeback plant.
Renzi hat viele Feinde. Einige werfen ihm vor, nicht links genug zu sein. Andere jedoch hassen ihn ganz einfach. Dafür gibt es Gründe.
Der kälteste Händedruck
Heute vor genau drei Jahren gaben sich Enrico Letta und Matteo Renzi die Hand. Es war der wohl kälteste und kürzeste Händedruck in der italienischen Geschichte. Letta würdigte Renzi mit keinem Blick.
Renzi, damals der Shootingstar der italienischen Politik, hatte Letta eben in einem parteiinternen Putsch weggefegt. Der davongejagte Ministerpräsident trat aus der Partei aus und schmollt seither in Paris, wo er ein neues Leben beginnen will.
Gekränkte, glücklose Gegner
Auch Pierluigi Bersani, ein Sozialdemokrat von altem Schrot, ist kein Freund von Renzi. Zwar hatte Bersani die Parlamentswahlen 2013 knapp gewonnen, doch es gelang ihm nicht, eine Minderheitsregierung zu bilden. Daraufhin fiel ihm Renzi energisch in den Rücken. Im Mai 2013 trat der gekränkte Bersani als Parteichef zurück.
Noch im gleichen Jahr, im Dezember 2013, wurde Renzi mit deutlicher Mehrheit in einer Primärwahl zum Parteipräsidenten gewählt. Er löste den glücklosen Gewerkschafter Guglielmo Epifani ab.
Und da ist noch Massimo D’Alema, Ministerpräsident von 1998 bis 2000 und später Aussenminister. Der Ex-Kommunist hasste Renzi vom ersten Tag an. Er wirft ihm vor, nur an sich zu denken und eine neoliberale Politik zu propagieren.
Eine „ent-renzinisierte“ Partei
Und diese vier, Bersani, D’Alema, Letta und Epifani, sind es nun, die Matteo Renzi Rache geschworen haben. Sie und ihre Anhänger wollen sich vom sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD) abspalten. Man will eine PD ohne Renzi, eine „ent-renzinisierte“ Partei („de-renzizzato“).
Die neue Bewegung soll in den nächsten Tagen konstituiert werden. Ihr sollen laut Medienberichten etwa 60 Parlamentarier angehören: 20 Senatoren (von 133) und 40 Abgeordnete der Deputiertenkammer (von 343). Wie soll die neue Bewegung heissen? Bersani nennt sie „Cosa rossa“, andere Vorschläge sind: „Nuova sinistra“ oder „Ulivisti democratici“ in Anlehnung an die von Romano Prodi 1995 gegründete Mitte-links-Partei „L’Ulivo“.
Zusammen mit der linken Linken
Den dissidenten PD-Leuten sollen sich auch Anhänger der am vergangenen Sonntag in Rimini gegründeten neuen Partei „Sinistra italiana“ (Si) anschliessen. Die „Si“ ist aus der pointiert linksstehenden Partei „Sinistra Ecologia Libertà“ (SEL) von Nichi Vendola hervorgegangen. Sie hat seit langem die Politik von Matteo Renzi kritisiert.
Angeführt werden soll die neue Linke vom bodenstämmigen Bersani (Bild). Er hat laut einer Umfrage der Zeitung „La Stampa“ innerhalb der Sezessionisten den grössten Zuspruch. Die Renzianer werfen ihm vor, ein Apparatschik zu sein und wenig bewegt zu haben.
Der PD, noch stärkste Partei
Die neue Partei hat schon bekanntgegeben, dass sie die Politik von Ministerpräsident Paolo Gentiloni, dem sozialdemokratischen Nachfolger Renzis und früheren Aussenminister, unterstützen will. Da Gentiloni erklärte, er wolle Renzis Politik fortführen, ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass es den Dissidenten nicht um Ideologie, sondern einzig um den Sturz Renzis geht.
Der PD ist im Moment noch die stärkste Partei Italiens. Die Sozialdemokraten liegen mit gut 30 Prozent der Stimmen knapp vor der populistischen Protestbewegung „5 stelle“ des Ex-Komikers Beppe Grillo.
Nur noch 20 Prozent für den PD?
Was bedeutet es, wenn der PD zerbricht? Die Meinungsumfragen geben ein unterschiedliches Bild. So sagt das Forschungsinstitut von Alessandra Ghisleri, dass die Sozialdemokraten nur noch auf etwa 20 bis 22 Prozent der Stimmen kämen. Auf die neue Linksgruppierung entfielen demensprechend etwa 6 bis 8 Prozent.
Das renommierte „Istituto Piepoli“ hingegen ermittelt, dass die Renzi-Treuen wenig Schaden erleiden und bei etwa 30 Prozent verharren würden. Vielen Sozialdemokraten sind die wütenden linken Linken längst ein Dorn im Auge, und sie sind froh, wenn sie die Partei endlich verlassen.
„Inkompatibilität“ der Alphatiere
Doch in einem sind sich die Meinungsumfragen einig: Die Wählerinnen und Wähler goutieren den parteiinternen Streit nicht. Der Meinungsforscher Nicola Piepoli sagt: „Die Wähler sind viel mehr um ihre eigene Zukunft besorgt, als um den Krieg zwischen den politischen Führern.“ 52 Prozent der Befragten erklären, es gehe bei dem Streit doch nur um „die Inkompatibilität der politischen Anführer“. Eine Umfrage des Instituts „Ipr“ ergibt, dass 70 Prozent gegen eine Parteispaltung sind.
Nicht zu den Dissidenten gehört Romano Prodi, der „historische Führer der Sozialdemokraten“. Der zweimalige Ministerpräsident, der fünf Jahre lang EU-Präsident war, ist selbst ein Opfer der linken Linken geworden. Im April 2013 war er Kandidat für das italienische Staatspräsidium. Nicht gewählt wurde er, weil 101 linke Abgeordnete seiner eigenen Partei nicht für ihn gestimmt hatten. Er war ihnen zu wenig links. Jetzt sagt er: „Die Parteispaltung ist Selbstmord.“
Renzi wäre nicht Renzi, wenn ...
Vielleicht auch nicht. Im vergangenen Dezember ist Renzi als Ministerpräsident zurückgetreten, nachdem er die Volksabstimmung über seine Verfassungsreform verloren hatte.
Viele glaubten schon, seine Niederlage im Dezember sei das politische Ende des „Verschrotters des alten Italiens“, wie er sich selbst nannte. Doch Renzi wäre nicht Renzi, wenn er den Kopf hängen liesse.
Am vergangenen Sonntag ist der schlaue Fuchs als Parteivorsitzender zurückgetreten. Jetzt muss die Partei einen neuen Chef wählen, und zwar wie immer in Primärwahlen. Und natürlich wird Renzi kandidieren. Sein Kalkül geht so: Ich werde wieder Parteichef und damit Spitzenkandidat für vorgezogene Neuwahlen, dann wieder Ministerpräsident. Laut Renzi sollen die Primärwahlen schon am 7. Mai stattfinden. Sein Kalkül könnte aufgehen. Nach ersten Meinungsumfragen würde er bei den Primärwahlen 60 Prozent der Stimmen erhalten.
Ein Macher und kein Plappermaul
Neuwahlen wünscht sich Renzi für den Herbst. Ob Staatspräsident Sergio Mattarella jedoch bereit ist, das Parlament vorzeitig aufzulösen und Neuwahlen auszurufen, ist fraglich. Offizieller Wahltermin wäre erst 2018. Und längst steht noch nicht fest, ob Renzi dann die Volkswahl auch gewinnen würde.
Der Toskaner, einst Bürgermeister von Florenz, kann einen stolzen Leistungsausweis vorzeigen. Kein Ministerpräsident hat in fast drei Regierungsjahren soviel erreicht wie er – mehr als Berlusconi in fast 20 Jahren. Er ist ein Macher und kein Plappermaul, wie die meisten italienischen Politiker.
„Napoleonischer“ Renzi
Dass er nicht überall beliebt ist, liegt an seiner selbstherrlichen Art. Bersani, D’Alema & Co. hat er in die Wüste geschickt. Gegner lässt er leerlaufen oder behandelt sie mit zynischer Abkanzelung. Sein Ego ist intakt. Er sei „napoleonisch“, erklärte am Dienstag Michele Emiliano, der einflussreiche Präsident der Region Apulien. Trotzdem will Emiliano im PD bleiben.
Es ist Renzi gelungen, die dahindümpelnden Linken zu einer Volkspartei zu formieren. Als er die Sozialdemokraten übernahm, lagen sie bei 25 Prozent. Bei den Europawahlen 2014 kamen sie dank Renzi auf 40,8 Prozent. Er hatte auch den Mut, gegen die Allmacht der Gewerkschaften und ihre Politik der absoluten Besitzstandswahrung anzukämpfen. Das Beispiel Fiat hat gezeigt, dass die Gewerkschaften lieber Abwanderungen ins Ausland in Kauf nehmen, anstatt ihre sture Haltung aufzuweichen.
Noch hat er nicht gewonnen
Renzi war nie vom Volk gewählt worden. Er war durch den Putsch gegen Enrico Letta an die Macht gelangt. Deshalb warfen ihm seine Gegner vor, es fehle ihm die Legitimation zu regieren. Jetzt hofft er, in vorgezogenen Neuwahlen diese Legitimation zu erhalten.
Renzi scheint sich seiner Sache sicher zu sein. Er ist den Sezessionisten nicht einen Millimeter entgegengekommen, um eine Parteispaltung zu verhindern. Doch noch hat er längst nicht gewonnen. In Italien kann sich die Situation sehr schnell und sehr grundlegend ändern. Aus diesem Grund auch pocht Renzi auf schnelle Primärwahlen.
Links, aber nicht ganz so links
Die italienische Linke liebt es seit jeher, sich zu zerlegen. Auch Renzi wurde letztlich ein Opfer des linken Flügels seiner eigenen Partei, der beim Verfassungsreferendum gegen ihn gestimmt hat. Anstatt gegen die „historische Rechte“ von Berlusconi oder die Rassisten der Lega Nord oder die Populisten der „5 Sterne“ gemeinsam zu kämpfen, bekämpfen sich die verschiedenen linken Fraktionen am liebsten selbst.
Doch nicht nur innerhalb des Partito Democratico gibt es Zwist. Das ganze linke Spektrum ist fragmentiert. Es gibt in Italien auf nationaler Ebene acht linke Parteien und Dutzende regionaler Splittergruppen. Viele dieser Gruppen glauben, die reine linke Lehre gepachtet zu haben. Die Debattierwut der Linken ist legendär. Kompromisse liegen ihnen fern. Sie verlieren lieber eine Wahl, als dass sie jemanden unterstützen, der nur zu 82 Prozent auf ihrer Linie politisiert. Marginalisiert maulen sie dann in der linken Ecke – und kämpfen gegen Renzi, der zwar ein Linker ist, aber nicht ganz so links, wie sie es möchten.