„Le livre ne mourra pas“, hat Pierre-Marcel Favre, Verleger und Gründer der Genfer Buchmesse erst dieser Tage als sein Credo verkündet. Und er hat recht. Ja, das Buch stirbt nicht. Der Salon du Livre ist ein Lebenszeichen. Der heute 70-jährige Favre hat die Messe während eines Vierteljahrhunderts geleitet und massgebend geprägt. Vor zwei Jahren trat er zurück. Patrick Ferla, der erfahrene und talentierte Kulturjournalist von Radio Suisse Romande, hatte das Zepter übernommen. Doch schon letztes Jahr war Ferla nicht mehr dabei. Weichen für eine neue Zukunft hatte er gestellt, jedenfalls Wegweiser für eine Neuausrichtung aufgestellt.
Eine Frau an der Spitze
Die Führung hatte Isabelle Falconnier übernommen. Die Redaktorin des Welschschweizer Magazins L’Hebdo zeigte einen ausgesprochenen Sinn für das geschriebene Wort ganz allgemein und für Literatur ganz speziell. Sie wurde auch als gute Köchin gelobt. Ob sie das nötige Rezept für eine gute Buchmesse besitzt, blieb eine unbeantwortete Frage. Nun, ihre zweite Buchmesse ist in der Tat eine neue Messe, die Züge der „nouvelle cuisine“ trägt. Die Messe wurde grundlegend neu strukturiert, sie ist übersichtlicher geworden, ruhiger, von Überflüssigem befreit. Im Mittelpunkt steht eindeutig das Buch. Das Buch lebt, das ist auf Schritt und Tritt festzustellen, dies trotz allen elektronischen Wundermitteln, die auch für Literaturübermittlung hoch gelobt werden.
Wer hat schon Lust, Meisterwerke der Literatur, gleich wie deren Autoren heissen mögen, auf einem Tablet zu geniessen? Die bereichernde und beglückende Lesefreude besteht auch darin, ein richtiges Buch in den Händen zu halten. Trotzdem, der Buchhandel ist alles andere als gesund. Laufend werden überall Buchhandlungen geschlossen. Im Verlagswesen kommt es zu Fusionen. Die Preispolitik bleibt nach wie vor eines der grossen Übel.
Überlebenshilfe
So ist die diesjährige Genfer Buchmesse auch von der seit Jahren schwelenden Branchenkrise geprägt, was Falconnier vermutlich auch die Neuausrichtung erleichtert hat. Grosse Aussteller sind weggeblieben. Die imposante Präsenz des französischen Buchhandelsriesen Fnac (auch in der Schweiz vertreten) beispielsweise ist nicht mehr da. Auch andere Verlage und Grossverteiler sind in Genf nicht mehr dabei. Die frei gewordenen Flächen mussten also wieder belegt werden. Die Messelandschaft musste neu erfunden werden.
Kleinere Westschweizer Verlage konnten sich besser in Szene setzen und ihre Autoren und deren Werke stärker zur Geltung bringen. Die Palexpo-Leitung stand offensichtlich unter Druck und hat selber eingegriffen und der Messeleiterin mit direkten Hilfeleistungen, sei es auf finanzieller Basis, sei es rein praktisch bei der Gestaltung, die Neuausrichtung erleichtert. Nicht nur die Buchbranche, auch die Buchmesse soll ja überleben und der angeschlagenen Branche Überlebenshilfe leisten. Der Salon will das literarische Schaffen in der Schweiz, die Kreativität der Autoren, das Buch in jeder Hinsicht fördern, so betonen Falconnier und die Palexpo-Leitung.
Vielseitig und neu
Der diesjährige Salon ist vielseitig und lebendig. Bücherfreunde kommen beim Gang durch das Genfer Messezentrum, das für fünf Tage zu einem riesigen Buch-Supermarkt, zu einem regelrechten Paradies für Bücherfans geworden ist, voll auf ihre Rechnung. Der Kontakt zu den Autoren ist ebenfalls auf Schritt und Tritt möglich. Zahlreich sind die Vorlesungen bekannter oder weniger bekannter Autoren sowie jene von Stammgästen wie dem allgegenwärtigen Jean Ziegler, ferner die öffentlichen Podiumsgespräche usw.
Wer auf der Jagd nach besonderen Widmungen war, erlebte auch Überraschungen. So beispielsweise am Donnerstag. Am Stand des Verlegers Attinger/L’Illustré wurde die französische Fassung der Biografie von alt Bundesrat Adolf Ogi vorgestellt. „Dölf Ogi, c’est formidable“ so der französische Titel des Buches von Georges Wüthrich und André Häfliger. Und Ogi tauchte plötzlich auch höchst persönlich auf und gewährte in seiner jovialen Art signierte Widmungen, für die Buchbesitzer bald anstanden. Der frühere Magistrat hatte übrigens am Morgen im Lausanne Palace in der waadtländischen Metropole das Buch im Rahmen einer Pressekonferenz und einer anschliessenden Vernissage offiziell vorgestellt. Die deutsche Ausgabe sei mit bis heute 30’000 verkauften Exemplaren ein voller Erfolg, betonte Ogi dem Journal 21 gegenüber.
Breitgefächerte, bunte Schau
Durch die Neuauf- und -einteilung sind neue Bereiche geschaffen worden wie zum Beispiel La place suisse wo etwa 2000 Titel schweizerischer Autoren und Werke über die Schweiz vereinigt sind, La place du moi, ein Sammelpunkt für Spiritualität, Psychologie, kurz, ein Ort, wo das Buch als Wegweiser im Alltag des Menschen seinen Platz hat. Das Buch als Spenderin von Lebenshilfe. Das Buch für Kochen und Küche hat ebenfalls einen eigenen Platz. Auch die Bandes dessinées, die Comics, die Krimis usw. locken ihre Anhänger an speziellen Ausstellungspunkten an.
Zahlreich sind die highlights. Einen Besuch wert ist unter anderem die Präsentation Art&écriture, die einem pädagogischen Projekt der Genfer Erziehungsdirektion gewidmet ist. Der Umgang der Kinder mit dem Alphabet, mit der Sprache, wird hier recht eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht. In einer fast grenzenlosen Kreativität ist hier die spielerische Leichtigkeit der Wegfindung zum Wesentlichen der Sprache herauszulesen.
War letztes Jahr Jean-Jacques Rousseau ein unübersehbarer Salongast, so wird dieses Jahr Blaise Cendrars die Ehre erwiesen. Der 1887 in La Chaux-de-Fonds geborene Frédéric Sauser war ein rebellischer Jüngling, dessen Mutter aus Sigriswil im Kanton Bern stammte. Früh verliess der in Freundeskreisen „Fredy“ genannte Neuenburger die Schweiz. Er wollte „renaître“ wie er sagte, neu geboren werden. Bald nannte er sich Blaise Cendrars und ging als grosser Poet und Schriftsteller in die Literaturgeschichte ein. Eine Ausstellung illustriert den Lebensgang des eigenwilligen Neuenburgers, der jedoch vor allem in Frankreich lebte. Auf die Frage, warum das prominente französische Verlagshaus Gallimard nach Genf komme, lautete die Antwort eines Managers: „Weil wir Blaise Cendrars diesen Monat in der Kollektion Pléiade aufnehmen. Ist das nicht ein guter Grund? Pléiade ist eine hoch renommierte und begehrte Sammlung der grössten Autoren der Welt.“
Schwache deutschsprachige und eindrückliche internationale Präsenz
Spärlicher vertreten denn je ist die deutschsprachige Literatur. Verleger aus der deutschen Schweiz verzichten auf die Reise nach Genf. Doch werden sie überhaupt noch mit Überzeugung eingeladen? Den Buch-Röstigraben gibt es jedenfalls. Eine sichtbare Brücke geschlagen hat immerhin die Bibliothek am Guisanplatz in Bern. Es handelt sich hier um eine 2007 aus der früheren Eidgenössischen Militärbibliothek hervorgegangene Einrichtung. Seit 2009 koordiniert die Bibliothek am Guisanplatz sämtliche verlegerischen Aktivitäten der Eidgenossenschaft und ist zuständig für Dokumentation und Archiv. Am Stand in Genf werden Bücher und Zeitschriften angeboten, die mit dem eidgenössischen Umfeld verknüpft sind.
Dem Salon du Livre waren jeweils kleine, aber hochkarätige Kunstausstellungen angegliedert, die der Veranstaltung einen nachhaltigen Mehrwert verliehen. Die diesjährige Veranstaltung findet ohne diese traditionelle Sonderschau statt. Schade. Plonk & Replonk, zwei Grafiker-Brüder aus La Chaux-de-Fonds, zeigen an einem grossen Stand ein ungewohntes, verwirrendes etwas exotisch anmutendes, wenn auch sehr originelles Werk. Sie haben alte Photographien und Porträts überzeichnet und so Karikaturen geschaffen, die den Wandel der Zeit zum Thema haben. Eine glaubwürdige Alternative zu den früheren Kunstausstellungen kann dies jedoch kaum sein.
Glücklicherweise nicht aufgegeben hat der Salon seine internationale Ausrichtung. Der diesjährige Ehrengast kommt aus Lateinamerika. Auf 400 Quadratmetern entfaltet Mexiko seine breit gefächerte und faszinierend reiche Kultur. Ein moderner eleganter Stand, der die schönen Seiten des Landes zeigt. Auch Armenien ist vertreten und der Islam ist bestrebt, seine geistigen und intellektuellen Dimensionen zu vermitteln.
Besondere Aufmerksamkeit verdient eindeutig der „Salon africain“, der sein zehnjähriges Messejubiläum feiert und mit einem spektakulären Auftritt die ganze facettenreiche afrikanische Kultur lebendig in den Mittelpunkt rückt. Verblüffend die Vielseitigkeit der Themen und noch verblüffender die grosse Zahl afrikanischer Autoren und Verleger. Geehrt wird der berühmte schwarze Dichter und Schriftsteller Aimé Césaire, der dieses Jahr hundert Jahr alt geworden wäre.