In weiten Teilen des globalen Südens ist der Westen dabei, Renommee und Goodwill zu verlieren. Menschenrechte einzufordern und Entwicklungshilfe zu leisten, führt kaum zum Erfolg. Eine Politik des Investierens und Handeltreibens scheint wirksamer zu sein.
Simbabwe ist, im weltweiten Vergleich, unbedeutend: 390’000 km2 gross, 15 Millionen Einwohner, wirtschaftliche Leistung, salopp ausgedrückt, gering. Warum also sollten wir in Europa uns Gedanken über diesen Flecken Land in Afrika machen? Vielleicht, weil uns der Umgang des Westens mit einem durchschnittlichen Land auf dem südlichen Nachbarkontinent eben doch ein paar Erkenntnisse vermitteln könnte.
Ich reiste eben zum x-ten Mal durch Simbabwe. Und stellte fest: Das Land stagniert politisch auf schockierende Weise. Die Verurteilung der Autorin und Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga im Frühhherbst war da nur das krasseste Zeichen. Der präsidiale Wechsel von Mugabe zu Mnangagwa hat in Bezug auf Demokratisierung oder Respektierung der Ansprüche und Rechte von ethnischen Minderheiten nichts Erkennbares gebracht.
Wirtschaftlich sieht es anders aus, und das ist für viele in dem international marginalisierten Land für den Alltag nicht unwesentlich. Fährt man etwa von Harare bis nach Kariba, stellt man fest: Ländereien, die noch vor drei Jahren (da reiste ich letztmals querdurch) brachlagen und von Gestrüpp bedeckt waren, werden wieder landwirtschaftlich genutzt. Von wem? Mehrheitlich von weissen Farmern, die das Land in Pacht nehmen konnten.
Konkret und etwas vereinfacht: Landwirtschaftlich nutzbare Flächen, die Mugabe vor etwas mehr als zwanzig Jahren von weissen Farmen ohne Entschädigung übernahm und an sogenannte «Helden» (Angehörige von Guerilla-Truppen und deren Nachkommen) verteilte und die danach ungenutzt blieben, werden jetzt zumindest zu einem gewissen Prozentsatz wieder bearbeitet. Das setzt sich auch konkret in der Versorgung des Landes mit Lebensmitteln um. Mehr und mehr sind die Alltags-Konsumgüter, das sieht man am Mittags- oder Abendtisch, wieder Produkte aus dem eigenen Land.
China als Investor und Handelspartner
Fährt man noch weiter quer durch, sieht man links oder rechts der Strassen Industrie-Komplexe mittlerer Grösse, die vor drei Jahren noch nicht existierten. Meistens Bergbau-Fabriken, fast ausschliesslich chinesische (schon die Zufahrten für die Laster sind mit chinesischen Schriftzeichen gekennzeichnet), die Mangan, Lithium oder Kohle fördern. Sie schaffen Arbeitsplätze – aber zu welchen Konditionen für die Arbeiter?
Das zu recherchieren ist nicht einfach, aber der generelle Befund ist: Die Chinesen zahlen, wenn möglich, nie mehr als die Mindestlöhne. Und die reichen bestenfalls knapp zum Überleben. Nur: Wenn die Chinesen nicht gekommen wären, was dann? Die Europäer, die US-Amerikaner, sie haben bisher kein Interesse gezeigt.
Womit wir beim springenden Punkt im weiten Themenbereich von Handel, Entwicklungshilfe, Investitionen und Unternehmertum angelangt wären – das gilt nicht nur für das relativ kleine Simbabwe, sondern für den Grossraum Afrika: Der Westen, pauschal also vor allem Europa plus USA und Kanada, betrachten Afrika als einen von Armut geprägten Problem-Kontinent, der uns unwillkommene Migranten schickt. Um dem entgegenzuwirken, leisten wir Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe. An der Wirksamkeit dieser Hilfe zweifeln viele, aber man sieht keine Alternative.
Die Chinesen hingegen erkennen in Afrika einen lohnenden Handelspartner (Umfang des Handels China–Afrika im letzten Jahr mehr als 300 Milliarden) und investieren dort auch in riesigem Umfang (laut internationalen Studien mehr als 140 Milliarden). Um Menschenrechte in den vom chinesischen Manna bedachten Ländern kümmert sich Peking nicht, was für die Despoten und autoritären Herrscher in den verschiedenen Hauptstädten durchaus bequem ist.
Chinas Interesse ist wirtschaftlicher Natur
Einige Länder können chinesische Kredite nicht mehr zurückzahlen, was dazu führen kann, dass gewisse Konzerne vom chinesischen Staat oder halbstaatlichen «Privaten» aus China übernommen werden. Diese Fälle sind bisher allerdings selten – ähnlich selten, wie chinesische halbstaatliche Firmen in Afrika so genanntes «land grabbing» betrieben haben.
Aber die Drohkulisse besteht immer. Manchmal, wenn auch selten, mischt sich China in die Politik ein. In Simbabwe geschah das bei der Entmachtung von Robert Mugabe und der «Inthronisierung» von Emmerson Mnangagwa. Da intervenierten die chinesischen Machthaber nicht wegen der skandalösen Verletzung der Rechte von ethnischen Minderheiten in Simbabwe (die Ethnie der Shona dominiert, jene der Ndebele ist die grösste und am klarsten rebellische Minderheit), sondern weil Mugabe angedeutet hatte, er würde eventuell gewisse chinesische Kredite nicht zurückzahlen.
So etwas ist bisher eine Ausnahme. Chinas primäres Interesse ist wirtschaftlicher Natur. In Simbabwe baute China die grösseren Flughäfen (Kredite), aber auch das Parlamentsgebäude in Harare (sogenanntes Geschenk). Und, wie erwähnt, sieht man bei den Fahrten durch das Land mehr und mehr mittelgrosse Fabriken, vor allem im Bereich der Förderung von Kohle. Das ist gewiss nicht umweltfreundlich, aber welche Alternativen gibt es? Das südliche Afrika trocknet langsam, aber leider sicher aus, die Wassermengen des Sambesi sinken, das Niveau des Kariba-Sees sinkt ebenfalls, und das bedeutet, dass die Kraftwerke beim riesigen Damm des Sees sowohl für Simbabwe als auch für Sambia immer etwas weniger Strom produzieren können und dass die Menschen und die Unternehmen in beiden Ländern immer mehr auf Kohle-Kraftwerke angewiesen sind.
Weil nur die Chinesen solche Anlagen bauen, sind die Menschen in Simbabwe (das geht aus einer Studie von Ernst&Young hervor) mehrheitlich positiv eingestellt gegenüber den Chinesen, die, so sehen sie es, wenigstens etwas tun, um die alltäglichen Probleme (Strom-Mangel, Arbeitslosigkeit) zu mildern, während die «Westlichen» nur über Menschenrechte reden und als Pflästerchen etwas Entwicklungshilfe leisten. Eine Hilfe, die für die Normalbürgerinnen und -bürger fast nie sichtbar wird, weil sie zu grossen Teilen aus Krediten von Regierung zu Regierung bestehen und daher eine abstrakte Grösse bleiben.
Simbabwe untersteht internationalen Sanktionen. Sie wurden von den USA und teils auch von der EU erlassen, um zuerst das Mugabe-Regime, dann auch jenes des Nachfolgers Mnangagwa für krasse Rechtsverletzungen zu bestrafen. Das ist nachvollziehbar, zumindest theoretisch. Sanktioniert wurden offiziell 70 Personen respektive Unternehmen, aber die Auswirkungen gehen weiter: Der Internationale Währungsfonds etwa kann Simbabwe keine Kredite gewähren. Vielleicht braucht das Land solche Kredite ja gar nicht, aber die Entscheidung des IWF wird in den staatlich gelenkten Medien Simbabwes so dargestellt, als würde sie jeden Einzelnen treffen. Und das beeinflusst die Meinung der Bürgerinnen und Bürger des Landes so, dass sich querbeet, über die Trennlinien der Ethnien hinweg, die Meinung durchsetzt, der Westen insgesamt sei Partei, sei Simbabwe gegenüber feindlich eingestellt. Was Wunder, dass die Regierung dann in der Uno keine Position gegen Russland bezieht, wenn es um den Ukraine-Krieg geht.
Global gesehen mag das nicht bedeutend sein. Aber es ist ein Mosaikstein im grossen Puzzle der Auseinandersetzung zwischen dem Westen und der grossen, weiten Welt, insbesondere der auf Weltgeltung ausgerichteten Politik Chinas.