Meilenweit geradeaus führt der Freeway 40 durch Arizona, vorbei an der legendären Route 66 über Needles, Kingman, durch die Mohave-Wüste bis Flagstaff. Aus dem Autoradio schrammeln stundenlang Western- und Countrysongs, die alle irgendwie gleich klingen und von „heimgehen“ oder „heimkommen“ erzählen – nie unterbrochen von der anderswo populären Disco-, Rock- oder Rapmusik. Selbst die „Rolling Stones“, die einst die „Route 66“ weltweit bekannt machten, oder „U 2“, die den hier wie Unkraut wuchernden „Joshua Tree“ besangen, werden hier nie gehört.
Alles erinnert an den alten Wilden Westen, an Butch Cassidy und seine Wild Bunch, die zwischen 1870 und 1904 den Westen von Kanada bis Mexiko terrorisierte, an Oberst Kid Carson, der hier Hunderte Navajos niedermetzelte. Seligman, ein Kaff, bestehend aus einer Tankstelle, einem Drugstore, einem Hotel, einem Saloon und einer verfallenen Holzhütte, dem „jail“, in dem Ende des 19. Jahrhunderts der schiesswütige Seligman einsass, ehe er gehängt wurde und dem Nest seinen Namen gab.
In 25 Millionen Jahren hergestellt
Vorbei an Stachelbirnen- oder Orgelkakteen, an rauem Buschwerk und kleinen Landstrassen, die alle nach irgendeinem „trail“ benannt sind, weil Viehherden früher diese Wege ausgetrampelt haben, durchquert der Highway eine ganze Reihe von Mini-Monument Valleys. Die Läden bieten Stetson-Hüte, Cowboy-Utensilien und „guns“ an, Handfeuerwaffen jeden Kalibers, neu und gebraucht. Die Leute tragen immer noch die alte Cowboy-Tracht, Hut und Stiefel, nur dass sie heute im Dodge, Pontiac oder Chrysler an der Bierbar, bei „Deny’s“ und anderen Schnellimbissen vorfahren und nicht mehr zu Pferd durch die „mainstreet“ galoppieren. Und die Motels locken mit Satelliten-TV und gebührenfreiem Empfang von „Showtime“ oder anderen kostenpflichtigen Fernsehprogrammen.
Hinter Kayenta schliesslich, inmitten der Navajo-Reservation, öffnet sich Monument Valley, eine Ansammlung bizarrer Felstürme aus Kalk- und Sandstein in schillernden, wechselnden Rot- und Blautönen, das gigantische Produkt der Naturkräfte, die Jahrmillionen Stein, Sand und Erde formten. In 25 Millionen Jahren schufen das Meer, das im Mesozoikum die Hälfte des nordamerikanischen Kontinents bedeckte, Erdbeben und Vulkane, die im Cenozoikum die Erde aufwarfen, falteten und mit Lava- und Gesteinsmassen zudeckten, Wind, Regen und Flüsse, deren Erosionskraft den letzten Schliff an den Skulpturen feilten und polierten, dieses Naturwunder, das der Weisse Mann eigentlich erst im Kino entdeckte.
„Die Alten“ und „die Menschen“
Zwar war das Tal schon um die Zeitenwende von Menschen bewohnt. Damals – der Mammut, das Kamel oder das Zwergpferd waren schon längst ausgestorben – lebten etwa 200 Menschen hier: Anasazi, „die ersten Menschen“, wie die Navajos sie nennen, eine Korbmachergesellschaft, wie die Wissenschaftler sagen, weil sie zwar sehr geschickt Körbe flechten konnten, Ton- oder Keramikgefässe aber nicht kannten. Sie hinterliessen zahlreiche Spuren, wie das mit Hunderten verschiedener Handabdrücke verzierte „Haus der Hände“ oder das in einer Schlucht bis heute nahezu unzugänglich versteckte „Tsay-yak-kin“, das Haus der vielen Menschen.
Zwischen 900 und 1000 unserer Zeit gingen die Anasazi unter neuen Einwanderern auf, die von der Wissenschaft schlicht und unpersönlich als die „Pueblo-I-Gesellschaft“ bezeichnet werden. Um 1300 gaben die Menschen der folgenden „Grossen Pueblo Periode“ plötzlich das Tal auf – vermutlich während der Dürreperiode zwischen 1276 und 1299 – und zogen nach Süden, wo ihre Nachkommen noch heute in den Hopi-Dörfern oder unter den Pueblo-Indianern am Río Grande sowie in New Mexico zu finden sind.
Nach diesen Völkern, den „Alten“, wie die Navajos sagen, kamen die Dine, „die Menschen“. Sie sind die Nachkommen der grossen Völkerfamilie der Athapascan, deren letzte Vertreter heute im Nordwesten Kanadas siedeln. Anders als „die Alten“, die vom Mais- und Bohnenanbau lebten, Säfte aus wilden Früchten pressten und den Truthahn sowie den Hund domestiziert hatten, lebten die Dine ausschliesslich von der Jagd und Überfällen auf ihre friedfertigen bäuerlichen Nachbarn. Ein Teil dieser neuen Immigranten, die heutigen Navajos, liess sich an den Ufern des Colorado River und in Monument Valley nieder, während der Rest weiter südwärts zog und zu den heutigen Apachen wurde.
Montezumas Flucht und Gefangennahme
Es sollten noch viele Monde verstreichen, ehe die ersten Weissen der roten Butten- und Felsmonumente ansichtig werden sollten, die dieses Tal zu einem atemraubenden Naturwunder machen. Und als sie kamen, interessierte sie nicht die hinreissende Architektur der Natur, sie kamen auf der Jagd nach Indianern, Gold und Silber. Bis heute kennt man keine Niederschrift, die darauf hindeuten könnte, dass auch nur einer der spanischen Eroberer oder Missionare, die nach der sogenannten Entdeckung der Neuen Welt auf der Suche nach der legendären goldenen Stadt Cibola den Südwesten der späteren USA durchstreiften oder die Heilslehre ihres Erlösers verkündeten, Monument Valley gesehen hat.
Zwar erzählen sich die Indianer eine Legende, wonach der Aztekenherrscher Montezuma seinen spanischen Häschern aus Mexiko hatte entkommen können und bis Arizona geflohen war. Am Montezuma Creek suchten und fanden ihn die Spanier wieder und jagten ihn bis zum Recapture Creek, wo er wieder in Ketten gelegt wurde. Beide Bäche fliessen nordöstlich von Monument Valley in den Río San Juan. Noch in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts konnte der Navajo-Häuptling Hoskinnini seine Krieger vor den Nachstellungen der US-Kavallerie in Monument Valley in Sicherheit bringen. Die Weissen kannten das Tal nur aus vagen Gerüchten über sagenhafte Silberschätze. Bis 1909, als bei Mexican Hat eine Brücke über den Río San Juan gebaut wurde, hatten auf drei Seiten eine ausgedehnte Wüste und im Norden ein Fluss die Häuser Shinaravs, des Grossen Wolfgottes, wofür die Navajos die bizarren Felsformationen halten, gehütet.
Der erste Weisse
Gold- und Silbergräber waren gelegentlich vorbeigekommen, ein paar Mormonen, Quäker, ein verirrter Geologe, aber sie waren alle wieder gegangen. Das Land gehörte den Navajos. Erst 1923 liess sich der erste Weisse in Monument Valley nieder: Harry Goulding, ein junger Schafzüchter aus Colorado, war zusammen mit seiner Frau Leonie, die als „Mike“ in die Geschichte des Tales eingehen sollte, in einem Graham Brothers eineinhalb-Tonner und einem 1922er Buick über die unbefestigten Wege bis zum Tsay-Kizzi-Mesa, dem Grossen Felstortisch gerumpelt. „Vier Jahre lang lebten wir am Fuss dieses Felskolosses im Zelt“, erinnerte sich „Mike“ wenige Jahre vor ihrem Tod. „Von dort hat man einen wunderbaren Blick über das Tal.“ Heute steht dort Harry Goulding’s Monument Valley Trading Post and Lodge, ein schönes Hotel, das sich flach in den Schutz des 300 Meter hohen Felstortisches schmiegt.
Harry Goulding realisierte seine Vision und machte das Tal weltberühmt. Zunächst trieb er Handel mit den Indianern und züchtete Schafe – bis weit entfernt, an der Wall Street die Aktien abstürzten. Unter der folgenden tiefen Rezession litten auch die Bewohner des Tals. Es war aber auch die Zeit, die Monument Valley zum ersten Mal Menschen bekannt machte, die es nie gesehen hatten. „T'pay-eh-nez“, des „Langen Mannes mit den Schafen“, wie ihn die Navajos nannten, Traum sollte wahr werden: Das Naturwunder sollte eine Touristenattraktion werden.
„Harry hatte irgendwo gehört, dass sie in Hollywood einen grossen Wild-West-Film vorbereiteten“, erzählte „“Mike“. Ihr Mann war überzeugt, dass es keine bessere Kulisse für einen Western gab als Monument Valley. Also fuhr das Paar, ausgerüstet mit einem Stapel Photos und 60 Dollar, nach Kalifornien. Bei ihrer Ankunft in Hollywood gab ihnen ein Freund gleich den guten Rat: „Kehr sofort um und fahr in dein Tal zurück. Wenn du niemanden in den Studios kennst, dann kommst du auch nicht rein.“
Eine hinreissende Filmkulisse
Doch Goulding liess sich nicht von seiner Idee abbringen, dass „sein Tal“ grössere Würdigung verdiente. Unbeeindruckt von den guten Ratschlägen ging er zu United Artists. Aber auch die Empfangsdame dort hatte keine besseren Ratschläge. „Sorry, aber Sie müssen jemanden kennen“, wies sie ihn ab. Da ihn niemand sehen wollte, wartete Goulding einfach in der Empfangshalle, bis jemand kam, der ihm zuhörte. Der Erste, dem er begegnete, wollte ihn eigentlich rauswerfen. Doch als er zufällig eines der Fotos sah, fragte er – nun schon etwas freundlicher: „Was stellen diese Fotos dar?“ Der Herr war, wie sich bald herausstellte, zuständig für die Wahl der Drehorte des neuen Films. Nach stundenlangen Gesprächen erhielt Goulding vom Produktionschef der Firma den Auftrag, innerhalb von drei Tagen alles in Monument Valley für den Drehbeginn vorzubereiten.
Und Hollywood kam nach Monument Valley: Der Regisseur John Ford, die Filmstars John Wayne und Claire Trevor, Techniker, Beleuchter, Kulissenschieber. Der erste Film, der vor den majestätischen Kulissen von Monument Valley entstand, war der Oscar-Gewinner des Jahres 1939 – „Stagecoach“. Ein Jahr später drehte Edward Small „Kit Carson“: 77 Jahre nach dem historischen Gemetzel jagte der US-Oberst den Navajo-Häuptling Hoskinnini erneut durch Monument Valley, diesmal im Film. Es folgten „Billy the Kid“, „The Harvey Girls“, „My Darling Clementine“, James Stewart, Judy Garland und erst neulich Johnny Depp mit “Lone Ranger”.
John Ford war so begeistert von dem Tal, dass er nicht nur acht weitere Western wie „Fort Apache“ oder „The Searchers“ dort drehte, sondern sich mit seinem Superstar John Wayne sogar darum stritt, „wer von ihnen denn nun tatsächlich Harry Gouldings Monument Valley fürs Kino entdeckt hätte“, amüsierte sich „Mike“ noch bis zu ihrem Tod.
Doch noch vor 60 Jahren merkte der „Stauffacher Reiseführer U.S.A. Touristenhandbuch für Europäer für Reisen in die Vereinigten Staaten von Amerika“ unter dem dürren Hinweis „Romantische Berggegend mit wilden Felsformationen von gespenstischer Schönheit“ an: „Kaum erschlossen.“
Video- und Reklame-Clips
Heute gibt es dort einen „John Ford Point“, ein Felsvorsprung, von dem aus der grosse Filmemacher besonders gerne Regie führte, ein anderer Fels hat die Form von „John Wayne’s Boot“, und drei schroffe Felszacken zeichnen ein grosses W vor den Horizont, das natürlich für Wayne steht. Und immer noch dienen die Felsen als Kulisse für Spiel-, Dokumentar- oder Westernfilme. Die Jeans- oder Bourbon-Werbung bringt Monument Valley weltweit in die Wohnstuben des Fernsehpublikums. Jon Bon Jovi oder U2 dreschen für ihre Video-Clips hoch oben auf den Felstürmen auf ihre Gitarren ein, und der Playboy lässt die Kurven seiner „Häschen“ gerne mit den prähistorischen Gesteinsformationen konkurrieren.
Doch selbst die lärmigen Reklameclips, ohrenbetäubenden Bass- und Gitarrenriffs oder unverhüllten Playmates können den mystischen Zauber des Tals nicht vertreiben. Immer noch „weben die Geister der Ahnen den Wind“, wie ein Navajo-Gedicht sagt, und „flüstern Weisheiten ins Innerste der Seele, und die Wüste spielt wieder die Szenarien der Vergangenheit.“