Ab 2035 sollen nach dem Willen der EU-Kommission keine neuen Verbrennungsmotoren in Kraftfahrzeugen zugelassen werden. Der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich jetzt vor dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) dagegen ausgesprochen.
Seine Amtskollegin, die Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), hat sich prompt gegen Lindner gestellt. Zum jetzigen Zeitpunkt, so darf man vermuten, hat sie noch die besseren Karten. Denn der Elektroantrieb ist zu einer Art Glaubensbekenntnis geworden, das auch von den grössten Autoherstellern nachgebetet wird. Aber die Wahrheit liegt nicht immer dort, wo sich die meisten Gläubigen versammeln.
Verblüffende Folgen
So kann es durchaus sein, dass nach den Abgasskandalen bei Volkswagen, aber auch bei Audi, Mercedes und BMW, die Marketingabteilungen zu dem Schluss gekommen sind, dass man zumindest verbal die Verbrenner am besten so weit hinter sich lässt, als hätte es sie nie gegeben. Auf diese Weise werden die Betrügereien am schnellsten vergessen. Und aktuell lassen sich insbesondere die Verbrenner in spritfressenden SUVs noch prachtvoll verkaufen. Sie sind gegenwärtig die wichtigsten Umsatzbringer.
Es ist ganz sicher nicht verkehrt, an der Redlichkeit der Autoindustrie Fragezeichen anzubringen. Aber auch die Politik verdient Skepsis. Denn sie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie wieder und wieder durch die Folgen ihrer Beschlüsse regelrecht verblüfft wird. Man kann dies gerade an dem Problem gewisser Engpässe bei Gaslieferungen studieren.
Vorwurf des Kleinmuts
Politiker favorisieren Beschlüsse, für die sie aktuell die grösste Zustimmung bekommen. Wenn der Zeitgeist in Richtung Elektromobilität geht, dann ist es erfolgversprechend, ihm zu folgen. Und wenn schon jetzt klar ist, dass damit viele ungelöste Probleme verbunden sind, dann zeigt sich die vermeintliche Dynamik der Volksvertreter darin, dass sie dem technischen Fortschritt alles, aber auch wirklich alles zutrauen. Wer es wagt, Skepsis anzumelden, muss sich den Vorwurf des Kleinmuts gefallen lassen.
Entsprechend wirkt der Finanzminister ein bisschen gestrig, und es ist bei ihm ja auch nicht so, dass seine Beliebtheitswerte geradezu durch die Decke gingen. Es gibt aber, ob mit oder ohne Lindner, ein paar Wahrheiten, an die um der Redlichkeit und der Zukunft willen erinnert werden sollte. Eine besteht darin, dass es sehr kostspielig ist, hoch entwickelte Technik einfach so wegzuwerfen.
Pluralismus von Lösungen
Denn es ist nun einmal eine Tatsache, dass Verbrennungsmotoren, insbesondere der Diesel, in den vergangenen Jahren auch unter ökologischen Gesichtspunkten enorm an Effizienz gewonnen haben. Weil aber der Diesel aufgrund der Betrügereien bemakelt ist, wagt kein Ingenieur, darüber öffentlich zu reden. Natürlich wird kein Verbrenner im Betrieb bei Null-Emissionen ankommen wie das fahrende E-Auto. Aber in diesem Vergleich steckt eine Milchmädchenrechnung.
Denn Null-Emissionen hat ein E-Auto nur, wenn man seine Herstellung und die Stromerzeugung ausser Acht lässt. Im Moment zeigen sich zwei unangenehme Wahrheiten: Die Stromerzeugung ist schon jetzt prekär und wird mit steigendem Bedarf aufgrund von E-Mobilität mit Sicherheit noch prekärer. Und die Abhängigkeit von speziellen Rohstoffen für die Batterien, die aus aller Welt importiert werden müssen, wird immer grössere Probleme aufwerfen. Null-Emissionen hat das E-Auto, wenn man die Augen ganz fest vor den Problemen der Stromerzeugung sowie des Abbaus und Transports von Rohstoffen verschliesst.
Gerade diejenigen, denen eine deutliche Reduktion der Treibhausgase wichtig ist, sollten mehr Skepsis walten lassen und nicht euphorisch eine einzige technische Lösung verfechten. Zwar kann und soll die Politik Grenzwerte vorgeben, aber die Frage, wie diese technisch erreicht werden, sollte sie der Industrie überlassen. Zudem gilt es den Blick nicht nur auf einen Punkt zu richten, sondern bei einem Auto zum Beispiel den gesamten Zyklus von der Herstellung bis zur Entsorgung einzubeziehen. Die Erfahrung lehrt, dass ein Pluralismus von Lösungen eher zum Ziel führt als die Fixierung auf ein einziges Prinzip. Der umfassendere Blick kann sich dadurch leiten lassen, dass es nicht um diesen oder jenen Antrieb geht, sondern um Mobilität.