«Er ist stark wie ein Löwe», sagt sein Sohn. «Er gibt nie auf.» Der Führer von Forza Italia befindet sich seit Anfang April im San-Raffaele-Spital in Mailand. Am Wochenende trat er erstmals wieder öffentlich auf – per Video an einer Parteiversammlung. Er wirkte entschlossen, aber müde und krank. Was geschieht mit seiner einst staatstragenden Partei, wenn der Löwe nicht mehr kämpft?
«Da bin ich wieder, zum ersten Mal seit über einem Monat in Hemd und Kittel.» Mit diesen Worten begann der bald 87-Jährige seine 20-minütige Video-Botschaft. Im Saal in Mailand brachen seine Fans in Jubel aus. Der Cavaliere, wie er genannt wird, ist wieder auferstanden. «Ich habe denselben Enthusiasmus und dasselbe Engagement wie damals», sagte er. Damals, Anfang der Neunzigerjahre hatte er seine Partei, Forza Italia, gegründet und wurde vier Mal Ministerpräsident.
Doch trotz aufmunternder Worte: Silvio Berlusconi ist müde. Seit Jahren ist er gesundheitlich schwer angeschlagen. 2016 wurde er am offenen Herzen operiert. Sein Vertrauensarzt befürchtete damals das Schlimmste, ebenso seine damalige Freundin Francesca Pascale, die weinend am Fenster stand, als sei er schon tot. Fast nichts blieb ihm erspart: neue Aortenklappe, beidseitige schwere Lungenentzündung, schwere Gastroenteritis, Harnwegsinfektionen, schwere Covid-Erkrankung, chronische Leukämie.
«Ich-AG»
Jetzt, zum ersten Mal, zeigt der ewige Kämpfer, der «Mann der tausend Schlachten», dass er schwach geworden ist. In dem Video erzählt er, wie es ihm nach der Operation im Spital ergangen ist. «Ich bin aufgewacht und wusste nicht mehr, wo ich war, ich habe Marta gefragt ...» Mit solchen Sätzen erheischt er bei seinem Publikum Hochachtung – und Mitleid. Marta Fascina ist seine gegenwärtige, 54 Jahre jüngere Lebenspartnerin, die fast Tag und Nacht an seinem Krankenbett weilte. Nicht alle fanden dieses «Mitleid-Erheischen» angebracht.
Auch wenn er eine Kämpfernatur, ein Löwe ist: Auch Löwen sterben einmal. Und dann? Wäre dies das Ende seiner Forza-Italia-Partei? Sie ist eigentlich keine Partei, sondern eine «Ich-AG», ein Unternehmen, das ihm gehört. Berlusconi ist «Vater, Sohn und Heiliger Geist der Partei», spottet ein italienischer Journalist in Rom. Ohne ihn geht in der Partei gar nichts.
Politclown
Forza Italia positioniert sich rechts der Mitte, geriet aber immer häufiger ins rechtspopulistische Fahrwasser. Und er selbst, Berlusconi, wurde immer mehr zum stets grinsenden Politclown, der während seiner langen Regierungszeit sehr wenig erreicht hat. Seine offen deklarierte Freundschaft mit Putin hat in weiten Kreisen nur Kopfschütteln ausgelöst.
Forza Italia ist ein Sonderfall. Im Gegensatz zu allen anderen italienischen Parteien gab es da keine wirklichen Machtkämpfe um die Parteiführung, niemand wollte Berlusconi verdrängen. Zwar gab es schon immer verschiedene ideologische Parteiströmungen, die einen waren stärker rechts als die anderen.
Auch gab es prominente Parteiaustritte. Die frühere Berlusconi-Ministerin Mara Carfagna überwarf sich mit dem «Heiligen Silvio» und trat der kleinen Mitte-Partei Azione bei. Berlusconi, damals noch verheiratet, hatte einst erklärt, wenn er nicht verheiratet wäre, würde er die «schöne Mara sofort heiraten». Das war denn auch Berlusconis damaliger Frau Veronica Lario zu viel; sie leitete die Scheidung ein.
Doch trotz einiger Parteiaustritte: Berlusconi blieb unangetastet. Denn alle wussten: Ohne ihn sind wir nichts. Keiner der Untertanen des alten Königs wagte einen Putsch. Eigentlich ist Forza Italia Berlusconis Privateigentum.
Über ein Vierteljahrhundert lang dominierte er die italienische Politik. Dass es Italien heute nicht gut geht, ist zu einem grossen Teil auf Berlusconi zurückzuführen, der vor allem an sich und sein Imperium dachte, nicht aber an sein Land.
Im vergangenen Herbst liess sich Berlusconi zusammen mit Lega-Chef Matteo Salvini in das rechtspopulistische Bündnis der jetzigen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einbinden. Italien wird heute von einer Triade regiert: Melonis Fratelli d’Italia, Salvinis Lega und Berlusconis Forza Italia. Meloni braucht ihre beiden Koalitionspartner, allein könnte sie nicht regieren.
6, 7, 8 Prozent
Doch Berlusconis Partei bröckelt seit langem. Bei den Parlamentswahlen 2008 hatte seine Formation fast 40 Prozent der Stimmen erreicht. Zur Zeit liegt sie in Umfragen bei 6, 7, 8 Prozent. Doch noch kann er sich auf einen harten Kern von Berlusconianern, von «Forzisti» (Anhänger der Forza Italia) stützen. Sie standen schon immer unerschütterlich hinter ihm, trotz seiner Lügen, seiner ewigen Frauengeschichten, trotz Bunga-Bunga, trotz Korruption, trotz Verbindungen zur Mafia.
Berlusconis Stellvertreter, der italienische Aussenminister Antonio Tajani, war es, der für letztes Wochenende den Forza-Italia-Parteikongress in Mailand einberufen hatte. Man war gespannt: Wird Berlusconi, der Schwache und Kranke, jetzt endlich einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin bestimmen?
Er tat es nicht. Tajani hatte laut Gerüchten in Rom gehofft, dass jetzt seine Stunde schlägt und er Berlusconis Erbe antreten kann. Nichts dergleichen. Der Kaiman, wie der Filmregisseur Nanni Moretti Berlusconi spöttisch nannte, lobte wieder einmal nur sich selbst und dachte nicht an seine Nachfolge. Die Botschaft war klar: «Ich bin zurück, ich bin da! Keiner kann mir das Wasser reichen.»
Berlusconi ist da, basta!
«Das Rennen um die Nachfolge von Silvio Berlusconi ist bereits beendet», schrieb am Wochenende die Römer Zeitung «La Repubblica». Will heissen: Es gibt kein Rennen, keine Diskussion um die Nachfolge. Berlusconi ist da, basta!
Und wenn er doch einmal sterben sollte? Wird die Partei dann verpuffen? Viel deutet darauf hin. Zwar wird spekuliert, dass Berlusconis gegenwärtige Freundin Marta Fascina das Szepter übernehmen könnte. Sie hat sich schon tief in die Machtstruktur der Partei eingearbeitet und eine Konkurrentin namens Licia Ronzulli rüde «entsorgt».
Aber würde Forza Italia mit der 33-jährigen Marta Fascina überleben? Ihr fehlt jedes Charisma. Und Aussenminister Tajani? Er ist ein vernünftiger Mensch, doch ist er ein Parteiführer?
Im Römer Politbetrieb glaubt kaum jemand, dass Forza Italia Berlusconi überleben kann. Auch aus finanziellen Gründen. Berlusconi, der Gründer von Fininvest, Mediaset, einstiger Besitzer des AC Milan, ist mit 7 Milliarden Dollar Vermögen einer der reichsten Männer Italiens. Er hat seine Partei nicht nur gegründet, sondern auch finanziell unterhalten. Laut Medienberichten hat er mehr als hundert Millionen Euro investiert. Wahrscheinlich sind es noch viel mehr. Fällt dieses Geld weg, wird es schwierig, die Partei weiter am Leben zu erhalten.
Fusion mit den Fratelli d’Italia?
Wird Berlusconi vor seinem Ableben die Schlüssel seiner Partei Giorgia Meloni und ihren Fratelli d’Italia übergeben, wie da und dort spekuliert wird? Dies mit dem Ziel, die postfaschistischen Fratelli näher in die Mitte zu rücken? In beiden Parteien gibt es Kräfte, die dieses Projekt befürworten – und andere, die es kategorisch ablehnen. Meloni ist offenbar nicht ganz abgeneigt; sie könnte so von ihrem postfaschistischen Image, das sie noch immer hat, etwas wegkommen. Bei Wahlen könnte sie so einige gemässigte Rechte dazugewinnen. Berlusconi selbst sendet widersprechende Signale aus, ob eine solche Fusion in seinem Sinne wäre.
«Bis zum letzten Blutstropfen kämpfen»
Oder wird Forza Italia mit Salvinis Lega fusionierten, zur Forza Lega oder zur Lega Italia? Ein solches Projekt bestand schon einmal, damals, um Meloni zu verhindern.
Das Wochenende hat gezeigt. Berlusconi will nicht über seine Nachfolge nachdenken, er bestimmt niemanden dazu, er baut niemanden auf. Nicola Piepoli, einer der bekanntesten Meinungsforscher Italiens, hatte am Kongress in Mailand an diesem Wochenende teilgenommen. Berlusconi werde «bis zum letzten Blutstropfen kämpfen und nicht aufgeben», sagt er. «Das liegt nicht in seiner Persönlichkeit.»
Irgendwann wird er dann sterben. Piepoli: «Er wird kein Testament hinterlassen.»