Deutschland hat noch immer keine Regierung. Italien könnte demnächst das Gleiche blühen. Die Regierungsbildung in unserem südlichen Nachbarland wird sich wohl über Monate in die Länge ziehen.
Fest steht schon jetzt, dass die Wahlen am 4. März keiner Partei eine regierungsfähige Mehrheit bringen werden. Es dürfte also zu aufreibenden Koalitionsverhandlungen kommen.
„45 Prozent liegen drin“
Silvio Berlusconi gibt sich allerdings schon jetzt als Sieger. Sein Rechtsbündnis liege bei 40 Prozent, sagte er in einem Interview mit dem Römer „Radio Capital“. Das stimmt zwar nicht, doch das hindert ihn nicht, sich als künftige dominierende Kraft feiern zu lassen. „45 Prozent liegen drin“, sagt er.
Laut der jüngsten Umfrage des Fernsehsenders „TG7“ vom 8. Januar liegt Berlusconis Rechtsbündnis allerdings bei nur 36 Prozent – weit entfernt davon, allein die Regierung bilden zu können.
Dennoch: Berlusconis Allianz könnte als stärkste Formation aus den Wahlen hervorgehen. In diesem Falle wäre es eigentlich angezeigt, dass das rechte Sammelbecken in einer künftigen Koalition auch den Ministerpräsidenten stellen würde.
Wer wäre das? „Come premier vedrei un certo Berlusconi“, sagt Berlusconi selbst. Doch der bald 82-Jährige wird nicht Ministerpräsident – zumindest vorläufig nicht.
Kein politisches Amt für Berlusconi
Wegen Steuerbetrugs war er im November 2013 aufgrund des Antikorruptionsgesetzes („Lex Severino“) aus dem Parlament ausgeschlossen worden. Zudem darf er sechs Jahre lang, also bis und mit 2018, kein politisches Amt übernehmen.
Gegen diesen Entscheid rekurrierte er beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Berlusconi hofft nun, dass ihn die Strassburger Richter noch vor den Wahlen rehabilitieren werden. Er und seine Staranwälte argumentieren, dass der Steuerbetrug vor dem Inkrafttreten des Anti-Korruptionsgesetzes stattgefunden habe. Niemand dürfe für ein Vergehen verurteilt werden, das vor der Gültigkeit eines entsprechenden Gesetzes begangen worden war. Es wäre jedoch eine Überraschung, wenn die Strassburger Richter noch vor den Wahlen ein Urteil fällten.
Zum 5. Mal Ministerpräsident?
Das weiss auch Berlusconi. Deshalb schlägt er General Leonardo Gallitelli als künftigen Ministerpräsidenten vor (siehe Journal21 vom 27. November). Der politisch völlig unerfahrene 69-jährige Gallitelli war von 2009 bis 2015 Kommandant der Carabinieri.
Berlusconis Kalkül könnte so aussehen: Gallitelli wird nach den Wahlen im März Ministerpräsident. Ein Jahr später dann, 2019, wenn das Ämterverbot nicht mehr gilt, wird Berlusconi den General ablösen und zum fünften Mal Ministerpräsident.
Die Linke heult schon auf. Matteo Renzi, der frühere Ministerpräsident, nennt eine Rückkehr Berlusconis eine „Bedrohung für die Wirtschaft“. Diese Unterstellung sei „ein kolossaler Unsinn“ (stupidaggine colossale) kontert Berlusconi.
Zerstrittene Linke
Dass Berlusconi als Ministerpräsident überhaupt wieder im Gespräch ist, liegt auch an Renzis Sozialdemokraten. Seine Partei, der „Partito Democratico“ (PD), befindet sich im Krebsgang. Die jüngste Umfrage gibt ihr nur noch 20 Prozent der Stimmen.
Das liegt vor allem daran, dass die Linke wieder einmal tief zerstritten ist. Viele werfen Renzi vor, die Partei zu „ent-sozialdemokratisieren“. Tatsächlich ist der PD unter Renzi leicht nach rechts gerückt. Das machte die Sozialdemokraten auch für Bürgerliche wählbar. Doch vielen linken Linken gefällt das gar nicht. Sie haben sich von Renzis Sozialdemokraten abgespalten und ein eigenes Bündnis gegründet.
Sozialisten statt Sozialdemokraten
Dieses linke Sammelbecken nennt sich „Liberi e Uguali“ (frei und gleich). Angeführt wird es von Senatspräsident Piero Grasso. Er bewundert den britischen Labour-Führer Jeremy Corbyn. Ihm stahl er auch gleich seinen Wahlslogan: „For the many, not for the few.“ Auf italienisch tönt das so: „Per i molti, non per i pocchi.“
Enrico Rossi, der linke Präsident der einflussreichen Region Toscana, sagte am Donnerstag: „Wir bieten all jenen, die von Renzi und seiner politischen Linie enttäuscht sind, eine Heimat.“ Schon der Ausdruck „Sozialdemokraten“ graust die Dissidenten. Sie nennen sich „Sozialisten“.
„Archaische Apparatschiks?“
Auch Laura Boldrini, die linke Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, mischt bei „Liberi e Uguali“ (LeU) mit. Ebenso die Parteien „Sinistra Italiana“ (SI) und „Articolo uno“. Diesem Bündnis gehören der frühere PD-Parteichef Pierluigi Bersani und der einstige Ministerpräsident Massimo d’Alema an. Doch bisher dümpeln die „Liberi e Uguali“ vor sich hin. Die jüngste Umfrage gibt der Bewegung nur fünf bis sechs Prozent.
Sie alle eint vor allem ihre tiefe Abneigung gegen Matteo Renzi. Dafür gibt es Gründe: Renzi verspottet die linken Urgesteine als archaische Apparatschiks.
Selbst wenn nach den Wahlen die Renzi- und die Grasso-Truppen wieder zusammenfinden sollten – mit insgesamt etwa 25 bis 27 Prozent der Stimmen werden sie allein keine Regierung bilden können.
Stärkste Partei: „Fünf Sterne“
Stärkste einzelne Partei sind zurzeit die „Fünf Sterne“ des Ex-Komikers Beppe Grillo, der immer mehr in den Hintergrund tritt. Die Bewegung, die einige links-, vor allem aber rechtspopulistische Züge trägt, wird jetzt vom 31-jährigen Luigi Di Maio angeführt. Er distanziert sich allerdings offen und klar von der AfD. Die Januar-Umfrage gibt den Sternen 28,2 Prozent. Damit können auch sie nicht allein regieren. Und mit andern regieren wollen die Fünf Sterne nicht. Und vor allem: die andern wollen nicht mit ihnen regieren. Es wäre sehr erstaunlich, würden die „Cinque stelle“ in irgendein Regierungsbündnis eigebunden werden.
„Die 5 Sterne sind heute eine grössere Gefahr als einst die Kommunisten“, sagt Berlusconi. „Sie haben keine Erfahrung, keine Kompetenz, die können nicht einmal ein Mehrfamilienhaus verwalten“, faucht der vierfache Premierminister. In Rom führe die 5-Sterne-Bürgermeisterin Virginia Raggi vor, dass die Bewegung nichts tauge. Auch die Linke hält nichts von den Sternen. „Aus programmatischen und vor allem idealistischen Gründen sehe ich keine Möglichkeit, mit den Cinque stelle zusammenzuarbeiten“, sagt der Linke Enrico Rossi.
Grosse Koalition?
Was also tun, wenn kein Block allein regieren kann? Nicht ausgeschlossen ist, dass sich die Linke mit ihrem Lieblingsfeind Berlusconi zu einer Grossen Koalition zusammenraufen muss.
Als Ministerpräsident würde sich der bisherige Regierungschef Paolo Gentiloni anbieten. Er, der nach dem Sturz Renzis als Lückenbüsser an die Macht gekommen ist, hat an Profil gewonnen. Er ist ein ruhiger Schaffer, der ziemlich unspektakulär und klamauklos regiert. Für italienische Verhältnisse fast schon ein Wunder. Matteo Renzi, der PD-Parteichef, hätte dann endgültig ausgespielt. Er selbst sieht das anders und kämpft weiter.
Schwelender Streit im Berlusconi-Bündnis
Doch auch eine solche Grosse Koalition stünde auf sandigem Boden. Nicht nur die Linke ist zerstritten, auch das Berlusconi-Bündnis ist keineswegs homogen.
Berlusconis „Forza Italia“-Partei kommt laut der letzten Umfrage nur auf 14,8 Prozent der Stimmen (Tendenz fallend), gefolgt von der „Lega“ mit 13,6 Prozent (Tendenz steigend). Matteo Salvini, der Chef der Lega, hasst Berlusconi und sägt ihm am Stuhl, wo er nur kann. Schon einmal hat die Lega Berlusconi gestürzt. Salvini hat klar gemacht, dass er selbst Regierungschef werden will. Er, ein unappetitlicher, teils rassistischer Rechtspopulist, war immer wieder mit AfD-Grössen sowie mit Marine Le Pen, Geert Wilders und Heinz-Christian Strache aufgetreten. Man kann Berlusconi vieles vorwerfen, doch ein Rassist ist er nicht. Dritte Partei in der Berlusconi-Allianz sind die postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ mit heute 5,5 Prozent Zustimmung.
Plötzlich ist alles anders
In kaum einem anderen Land ist es so müssig, Prognosen zu stellen. Plötzlich ist in Italien alles anders. Sicher scheint nur, dass die Bildung einer neuen Regierung mühsam und langwierig sein wird. Da mischen viele Parteien, Fraktionen, Abweichler und Quertreiber mit. Sie alle stellen Forderungen und drohen mit Ultimaten.
Das neue Wahlrecht führt dazu, dass die Mehrheitsverhältnisse sehr knapp sein könnten – so knapp, dass eine einzelne Gruppe die Möglichkeit erhält, das Kabinett zu stürzen, um sich selbst zu profilieren. So wäre es erstaunlich, wenn aus den Wahlen am 4. März eine stabile Regierung hervorginge.