„Kosmos“ heisst die neue Ausstellung. Sie dreht sich um die Frage, wie Menschen verschiedener Kulturen in früheren Zeiten versucht haben, die Erde, den Himmel und sich selbst zu erklären und zu verklären.
Albert Lutz ist der Direktor des Museums und er ist sichtlich stolz. Dabei müsste er eigentlich enttäuscht sein. Denn statt des Kosmos‘ stand eigentlich die Tempelstadt Bagan in Burma auf seinem Programm fürs Museum Rietberg. „Die Vorbereitungen liefen gut, alles schien zu klappen, dann kam die Absage aus Burma“, sagt er. „Die Museen dort haben noch gar keine Erfahrungen mit Leihgaben, die ins Ausland gehen. Sie wollten erst einmal sehen, wie es mit Ausstellungsstücken geht, die sie in die USA geschickt hatten,“ so Lutz, der plötzlich dasass und keine Ausstellung hatte. Wie ein Geschenk des Himmels sozusagen, kam dann das Angebot aus New York. Dort hatte man eine Ausstellung „Visions of the Cosmos“ gemacht, die nun auf die Schnelle zur Grundidee der Zürcher Ausstellung wurde.
Mag sein, dass in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung auf unserer Erde, der Blick ohnehin gern zum Himmel schweift. Das Weltall hat Konjunktur. Die Weltraumsonde Rosetta, die zehn Jahre unterwegs war von der Erde zum Kometen Tschuri und dabei 6,5 Milliarden Kilometer zurückgelegt hat, belebt das Interesse am Weltall noch zusätzlich.
Wie funktioniert der Himmel?
„Wenn man die Tagespresse und das Fernsehen verfolgt, sieht man, dass die Entwicklung in der Astrophysik sehr schnell geht. Unsere Ausstellung zeigt nun aber, welche Vorstellungen sich die verschiedenen Kulturen früher vom Kosmos gemacht haben“, sagt Albert Lutz. „Die einen haben sich sehr um Sterne gekümmert, die anderen haben die Entstehung der Welt mit einer Schöpfungsgeschichte verbunden.“ Anhand von 17 Beispielen wird dies in der Ausstellung dargelegt. Seit jeher haben Menschen darüber nachgedacht, wie der Himmel funktioniert, der ihnen den Lebensrhythmus mit Tag und Nacht vorgibt. „Die Menschen haben sich aber auch gefragt, was passiert in der Nacht mit der Sonne? Und ist die Erde rund, ein Quadrat oder eine Kugel? All‘ dies kann die Ausstellung zeigen“, so Lutz.
In der buddhistischen Kosmologie etwa war es klar, dass der Mensch und die Erde nicht im Zentrum des Universums stehen, sondern nur einen kleinen Teil einnehmen. „Die Wissenschaft hat ja erforscht, dass seit dem Urknall bis heute 13,8 Milliarden Jahre vergangen sind“, fährt Lutz fort. „Im Buddhismus gibt es aber Vorstellungen, dass das Lebensalter des Universums noch viel grösser ist. Manche Religionen haben sich auch eine zyklische Wiedergeburt vorgestellt, also ein Entstehen und Verschwinden und Wiederentstehen. Ein Zyklus dauerte dort 40 Millionen Jahre! Heute gibt es auch moderne Theorien, die sich fragen, was passiert, wenn das Universum untergeht, kommt dann ein neues? Und gibt es parallel zu unserem Universum andere Universen? Das sind Theorien, die es schon ganz früh im Hinduismus und Buddhismus gab.“
Kosmos, Universum oder Weltall?
„Kosmos ist der alte Begriff, der von den Griechen als ‚Weltordnung‘ geprägt wurde“, erklärt Albert Lutz die Wahl des Titels der Ausstellung. Grundsätzlich bedeuten die Begriffe das gleiche. „Die Griechen haben sich sehr für den Himmel interessiert und eine sehr fortschrittliche Astronomie betrieben“. Die Berechnungen und Kosmos-Vorstellungen der alten Griechen waren sehr akkurat. Das Wissen ist allerdings im europäischen Mittelalter weitgehend in Vergessenheit geraten.
Weniger wissenschaftlich, aber bedeutend fantasievoller als die Kosmologien sind allerdings die Schöpfungsmythen verschiedener Kulturen. Während das Christentum die Genesis aus der biblischen Geschichte hat, kennt nur schon der Hinduismus eine Vielzahl unterschiedlicher Mythen, die von einem Schöpfer oder Weltbaumeister bis zu einer Art Perpetuum Mobile, also dem ewigen Wiederentstehen reichen.
Der Rabe mit der Kiste
Besonders gut gefällt Albert Lutz ein Mythos aus dem Nordwesten Amerikas. Da gibt es den Raben Yehl, der beginnt als tolpatschiger Geselle seinen Weg durch Dunkelheit und Chaos. Nach vielen Abenteuern und Erlebnissen findet der Rabe eine Kiste mit mehreren, jeweils immer kleineren Kisten darin. In der letzten findet er einen Lichtball, fliegt damit in die Höhe, erschrickt und lässt ihn fallen. Tausende kleine und ein grosses Bruchstück zerstreuen sich am Himmel, bilden Mond und Sterne, das allerletzte Bruchstück ist die Sonne, die seither die Welt beleuchtet.
Sind solche Geschichten vielleicht eine Art Science Fiction der Antike? Eher nicht, meint Albert Lutz. „‘Science Fiction‘ ist ein Begriff aus unserer Zeit. Er kommt aus der Literatur und die Autoren malen sich aus, wie die Zukunft aussehen könnte und wie sich der Mensch ausserhalb der Erdsphäre bewegen kann. Die alten Kosmologien und Mythen blicken in die Vergangenheit zurück.
Eine spezielle Bedeutung hatte die Himmelskunde im alten China. Mit dem Beginn der Zhou-Dynastie im 11. Jahrhundert v. Chr. kam der Gedanke auf, dass der Himmel den Herrschern ihre Legitimation übertrug. Albert Lutz: „In China nannte man das ein ‚Mandat des Himmels‘. Die alten chinesischen Herrscher hatten rund 300 Astronomen angestellt, die den Himmel beobachteten und Erscheinungen, wie Kometen, Sonnen- oder Mondfinsternis berechnen konnten. Dem Volk gegenüber konnte der Kaiser solche kosmischen Ereignisse damit voraussagen und sie als Zeichen ihrer Übermacht darstellen. Dass ihm der Himmel wohlgesonnen sei, beweise, dass er der richtige und legitime Herrscher sei.“
Mordanschlag auf den Gott Orisha
„Die Welt ist eine Reise, aber das Jenseits ist das Zuhause“, heisst es bei den Yoruba in Nigeria. Ihr Kosmos besteht aus der sichtbaren Welt der Lebenden und der unsichtbaren Welt der Gottheiten, Ahnen und Geistern. Beide Welten ergeben zusammen eine Einheit. Die Geschicke der Menschen werden dabei von 401 Gottheiten, beeinflusst. Vorausgegangen war ein echter Krimi: Auf den Gott Orisha wurde nämlich mit einem Felsbrocken ein Mordanschlag verübt. Orisha zersplitterte und ist seither überall, Gott und Welt sind untrennbar miteinander verwoben.
Als schillerndes Kaleidoskop präsentiert sich diese Ausstellung über Ursprung und Wahrnehmung des Kosmos‘ im Museum Rietberg. Man darf staunen über den hohen wissenschaftlichen Stand der Sternenkunde in einzelnen frühen Kulturen, aber auch schmunzeln über die bunte Vielfalt von Mythen und Sagen. Wobei die Frage, woher wir kommen und wie Leben entstanden ist, auch heute noch nicht wirklich beantwortet ist. So befassen sich mehrere Veranstaltungen rings um die Ausstellung mit der modernen Forschung. Unter anderem lädt Ben Moore, Astrophysiker an der Universität Zürich, im Museum Rietberg zu einer filmischen Zeitreise ein. 13,8 Milliarden Jahre auf 24 Stunden reduziert und in einem 15-minütigem Film erzählt. Kosmologisches Fast Food der vergnüglichen Art und trotzdem streng wissenschaftlich.