Der heutige 5. August ist die traurig stimmende und gerade deshalb wahrzunehmende Gelegenheit, sich an den vor zehn Jahren mit 64 verstorbenen Daniel Schmid zu erinnern und ihn freundschaftlich zu würdigen. Er wäre jetzt am Festival von Locarno, strahlend im Zentrum kleinerer und grösserer Kreise und bis in die Nacht hinein in einer Bar - vorzugsweise einer eleganten - diskutierend. Vielleicht hätte er, der 1999 aus der Hand von Geraldine Chaplin den Ehrenleoparden für das Gesamtwerk erhielt, seinen neuesten Film im Programm und würde mit ihm, wie stets, breite Beachtung finden und die Meinungen scharf in ein Pro und Contra teilen. Daniel Schmid war unter den bedeutenden Schweizer Regisseuren der Geheimnisvollste, auch der Internationalste und hinreissend der Musikalischste.
Belle Epoque als Erfahrung und Quelle
Der am 26. Dezember 1941 in Flims geborene Daniel Schmid wuchs dort auf, genauer und für seinen Weg noch wichtiger: in dem von seinen Eltern geführten Hotel Schweizerhof, das er als Mikrokosmos der Lichtgestalten und Zwielichtigen erlebte, der Mondänen und der zu allen Genüssen Hingezogenen: Belle Epoque in sämtlichen Überdrehungen der Gefühle und in seinen Filmen immer wieder neu und immer mit überraschender Fantasie erzählt.
Nach der Matur studierte Daniel Schmid in Berlin an der Freien Universität und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Künstlerisch prägend waren Peter Lilienthal, Rosa von Praunheim, Werner Schroeter und am nachhaltigsten Rainer Werner Fassbinder. Mit der Verfilmung dessen Bühnenstücks "Die Stadt, der Müll und der Tod" unter dem Titel "Schatten der Engel" gelang Daniel Schmid 1976 mit der Resonanzverstärkung einer zum Skandal aufgebauschten "politischen Unkorrektheit" die Ankunft in der Öffentlichkeit.
Daniel Schmid realisierte als Regisseur ein Dutzend Filme, u. a. "La Paloma", "Violanta", "Hécate", "Jenatsch", "Beresina", in Zürich und Genf sieben Opern, u. a. Rossinis "Guglielmo Tell" und Bellinis "Beatrice di Tenda", und holte sich mehrere Auszeichnungen an namhaften Festivals. Mitten in der Arbeit an einem Film starb er krebserkrankt am 5. August 2006 in Flims. Beigefügt sei, sehr bewusst und mit der Vorstellung dessen, was an Grossem noch zu erwarten gewesen wäre: zu früh.
Suche als Lebenssinn
Das Gemeinsame seiner Filme, unabhängig von der vordergründigen Thematik, war Daniel Schmids als Lebenssinn verstandene Suche nach dem absolut Schönen bis hin zum überwältigenden, weil mit unbefangener Freude gestalteten Kitsch.
Eines der Schlüsselwerke ist "Il Bacio di Tosca", ein Dokumentarfilm über das von Giuseppe Verdi in Mailand gegründete Altersheim für Opernsänger und Musiker. Daniel Schmid porträtiert die Bewohnerinnen und Bewohner mit einem Respekt und einer Bewunderung, was nur schafft, wer die Oper und insbesondere den Belcanto zutiefst liebt und um die Bedingungen des Gelingens und Scheiterns weiss. Auch bei diesem Film war ihm Renato Berta der begnadete Kameramann.
Die Porträts weisen über die Hommages hinaus und öffnen den Blick auf den Opernbetrieb mit menschlichen Schicksalen auf der Höhe des Ruhms und am Rande von Abgründen. Daniel Schmid greift noch weiter und zeigt, wie leidvoll das lediglich aus Erinnerungen bestehende Dasein der Stars und Choristen nach dem letzten Vorhang verläuft.
Wir sind nicht Zeugen des Wartens auf den Tod, sondern - weitaus schmerzender - des unerträglich langsamen Wegträumens. "Il Bacio di Tosca" ist auf der zweiten Ebene eine Parabel über die Vergänglichkeit und auf der dritten eine sanfte und darum so berührende Gesellschaftskritik.
Die Vergeblichkeit lohnt sich
Von Daniel Schmid bleiben die Filme mit den wunderbar inszenierten Menschen in einer um sich schlagenden Welt, in der Wärme und Schönheit zu suchen sich lohnt, auch wenn sie nicht gefunden werden können. Und es bleibt der Dokumentarfilm "Le Chat qui pense" von Pascal Hofmann und Benny Jaberg, der den Regisseur mit jener Sensibilität erfasst, mit der er selber die Nähe und die Distanz zu den Menschen im Alltag, im Film und auf der Bühne verband.