Deshalb will Berlusconi eine Brücke. „So kann man auch in der Nacht von Sizilien nach Italien gehen“, sagt der Ministerpräsident. „Wenn jemand eine grosse Liebe auf der andern Seite des Wassers hat, kann er diese Liebe auch um vier Uhr morgens finden und muss nicht auf die morgendliche Fähre warten“.
Natürlich will Berlusconi nicht nur deshalb eine Brücke von Reggio di Calabria nach Messina auf Sizilien. Er will sich ein Denkmal setzen, wie es Dutzende vor ihm wollten. Gelingt jetzt Berlusconi was vor über zweitausend Jahren römischen Elefantentreibern nicht gelang?
Die famose Idee des Konsul Lucio Cecilio Metello
Sie waren die wohl ersten, die damals eine feste Verbindung zwischen Sizilien und dem Festland schaffen wollten. Die Karthager hatten im ersten punischen Krieg 1‘500 Elefanten vom heutigen Tunesien nach Sizilien verschifft. Sie wollten mit den schweren Tieren weiter aufs italienische Festland und dort die Römer bezwingen. Doch das Unternehmen scheiterte. Bei Palermo wurden die Karthager geschlagen. Da standen nun die Elefanten herum.
Was tun? Jetzt wollten die siegreichen Römer die Tiere aufs Festland schaffen. Doch im Gegensatz zu den Karthagern fehlten ihnen passende Schiffe. Da hatte Konsul Lucio Cecilio Metello eine famose Idee. Laut Berichten des Historikers Strabone wollte er 250 vor Christus zwischen Sizilien und dem Festland einen Steg bauen. Metello wollte Zehntausende leerer und verschlossener Fässer zusammenzimmern, darüber Bretter legen und so einen Steg für die Elefanten bauen. Es kam nicht dazu. Was mit den Elefanten geschah, ist nicht überliefert.
Die Geschichte mit den karthagischen Elefanten erzählt jetzt der Soziologe Aurelio Angelini in dem Buch „Il mitico ponte sullo Stretto di Messina“ (Verlag: Franco Angeli). Veröffentlicht wird das Werk zum 40. Jahrestag der Gründung der „Gesellschaft Strasse von Messina“. 1971, vor genau vier Jahrzehnten, hat das italienische Parlament das „Gesetz Nummer 1158“ verabschiedet. Ziel der damit geschaffenen Gesellschaft ist der Anschluss Siziliens ans italienische Festland über eine gut drei Kilometer lange Brücke.
Mussolini: "Nach dem Krieg baue ich die Brücke"
Aurelio Angeli beschreibt in seinem Buch Hunderte von Projekten, Träumen und Plänen, eine feste Verbindung über die Meeresenge zu schaffen. 1870 gab es sogar den Plan eines Tunnels. Schon immer hat das Thema die Gemüter erhitzt. Die Brücke über die Strasse von Messina gehört zu den Dauerbrennern italienischer Debatten. Sogar Mussolini wollte eine Brücke. „Es ist Zeit, dass Sizilien keine Insel mehr ist“, sagte er und fügte bei: „Nach dem Krieg werde ich eine Brücke bauen“. 1984 prahlte Claudio Signorile, ein Minister für süditalienische Angelegenheiten: „In zehn Jahren wird es die Brücke geben“.
1985 prophezeite Bettino Craxi: „1995 wird die Brücke stehen, das wird ein Weltereignis sein“. 1995 allerdings steckte Craxi im tunesischen Exil, wo vor über zweitausend Jahren die karthagischen Elefanten herkamen. Und Nino Calarco, Präsident der „Gesellschaft Strasse von Messina“ sagt: „Wenn die Mafia in der Lage ist, die Brücke zu bauen – dann sei willkommen, Mafia“.
Alle Versuche scheiterten bisher. Noch immer muss man in Villa San Giovanni in Reggio di Calabria die Fähre nehmen, um nach Messina zu gelangen – oder umgekehrt. Die Überfahrt über diese „Autobahn des Meeres“ dauert 40 Minuten. 18 Millionen Menschen passieren die Meerenge jedes Jahr.
Die schöne Frau mit dem Unterkörper aus Hunden
Das Gesetz Nummer 1158 hat eine eigentliche Planungs-Euphorie ausgelöst. Laut Angaben der Zeitung „La Repubblica“ wurden seither 126 Kilo Papier mit Skizzen und Zeichnungen gefüllt. 150 Millionen Euro wurden aufgewendet. Sogar eine Studie über die Auswirkungen einer Brücke auf die in der Nacht fliegenden Zugvögel wurde erstellt.
Die Gegend ist gefährlich. Schon in frühen Zeiten fürchtete man sich vor den Wassern in der Strasse von Messina. Immer wieder verschwanden Fischerboote und Fischer. Es war eine Art Bermuda-Dreieck der griechischen Antike. Immer wieder sichtete man im Wasser seltsame Ungeheuer. Sie hatten mehrere Köpfe und riesige Fangarme. Nördlich von Reggio di Calabria liegt der Fischerort Scilla. Dort soll das Meeresungeheuer Skylla gewohnt haben. Dieses hatte den verführerischen Oberkörper einer wunderbar schönen Frau – der Unterkörper bestand aus sechs Hunden.
Heute fürchtet man sich nicht mehr vor den Meeresungeheuern, doch man hat Angst vor Erdbeben. Gerade dort, wo die Brücke gebaut werden soll, ist die Erdbebengefahr riesig. Die Städte Messina und Reggio Calabria wurden am 28. Dezember 1908 von einem katastrophalen Erdbeben zerstört. 83‘000 Menschen starben. Das Epizentrum lag genau zwischen Messina und Reggio.
340'000 Tonnen - aufgehängt an nur zwei Masten
Dass italienische Ingenieure Genialität im Blut haben, ist bekannt. Doch selbst für sie wäre der Bau einer solchen Brücke eine gewaltige Herausforderung. Hier toben Stürme von bis zu 160 Kilometern pro Stunde. Würden sie das aufgehängte Stahlwerk nicht in verheerende Schwingungen versetzen? Ein Pfeiler in der Mitte der Meerenge will man nicht bauen – zu Recht. Der Schiffverkehr ist dort sehr dicht. Die Gefahr, dass ein Supertanker den Pfeiler rammt, wäre zu gross.
Die Kosten für den Bau würden sich nach heutiger Schätzung auf fünf Milliarden Euro belaufen. Die Brücke soll 3‘360 Meter lang werden. Die zwei Masten, an denen sie aufgehängt werden soll, wären je 370 Meter hoch. Das 340 000 Tonnen schwere Bauwerk würde 70 Meter über dem Wasser schweben.
Doch jetzt soll es ernst werden, Berlusconi ist ja ein „Macher“. Mit grossem Pomp wurde im vergangenen Jahr der Grundstein für die Brücke gelegt. Fernsehanstalten berichteten ausführlich über den sogenannten Baubeginn. Die meisten Italiener quittierten die Zeremonie mit einem müden Lächeln.
Berlusconi will mit dem Brückenbau auch die Wirtschaft ankurbeln. Über viele Jahre hinweg würden im unterentwickelten Süden 15‘000 bis zu Arbeitsplätze geschaffen. Natürlich favorisiert auch die Ndrangheta, die kalabresische Mafia, den Brückenbau. Sie würde fürstlich mitverdienen, denn die Bauwirtschaft befindet sich beidseits des Wassers fast ganz in Mafia-Händen.
Ein anderer Mafioso, allerdings ein sympathischer, wollte schon 1982 die Brücke bauen - einer, der ebenso reich ist wie Berlusconi: Dagobert Duck. In der gezeichneten Walt Disney-Geschichte „Dagobert Duck und die Strasse von Messina“ („Zio Paperone e il Ponte di Messina“) geht es dramatisch zu. Dagobert will die Brücke bauen, doch alle Projekte scheitern. Da trifft er einen Fischer, der schnell wachsende Korallen züchtet. Und so baut Dagobert eine Brücke aus Korallen.
Da keine schnell wachsenden Korallen in Sicht sind, könnte sich der Bau der Brücke verzögern. Seit der Grundsteinlegung im letzten Jahr geschah wenig. Berlusconi verspricht immer wieder viel: „Ich werde den Müll in Neapel beseitigen“ – der Müll ist noch immer dort. „Ich werde für alle Obdachlosen in L’Aquila Häuser bauen“ – noch immer leben Tausende in Notunterkünften. „Ich werde alle nordafrikanischen Flüchtlinge aus Lampedusa herausschaffen“ – noch immer sind Tausende dort.
So wird wohl der Brückentraum wohl noch lange ein Traum bleiben. Doch warten muss der junge Mann, der zu seiner Geliebten auf Sizilien will, doch nicht. Denn etwas weiss Berlusconi nicht: Die Fähren verkehren auch in der Nacht: alle 80 Minuten.