Die Südafrikanerin Zanele Muholi (*1972) und der Schweizer Walter Pfeiffer (*1946): Im Schaffen beider geht es um Fragen sexueller Identitäten. Muholi versteht sich als Aktivistin. Pfeiffer huldigt einem Schönheitskult.
In strenger Seitensicht ist die Frau gezeigt. Die Profillinie des Gesichts ist elegant und perfekt. Das tiefe Schwarz ihrer Haut glänzt. Lippen und Augen leuchten hell. In ihrem krausen Haar stecken Metallkämme. Der Hinterkopf ragt steil nach links oben. Pose und Stilisierung gemahnen an die Nofretete-Büste mit ihrer hoheitsvollen Kopfbedeckung oder an Porträts edler Frauen des Quattrocento.
Gleichzeitig erinnert das Bild an ethnologische, von kolonialen Blicken gesteuerte Fotografien schwarzer Menschen Afrikas. «Qiniso, The Sails» betitelt Zanele Muholi das 2019 entstandene Foto. In einem weiteren Bild der Serie «Somnyama Ngonyama» blickt uns die Frau frontal entgegen, das Haar voller Wäscheklammern. In wieder einem anderen stecken Bleistifte im Haar.
Die Bilder sind von strenger, bis ins letzte Detail genau bedachter Schönheit. Nichts ist Zufall. Die Kompositionen und die klar akzentuierten Linienführungen sind klassisch, die Tonwerte der Schwarzweiss-Fotografie fein abgestuft. Und doch irritieren die Werke. Sie erschliessen sich uns auf einer ästhetischen Ebene, doch genau das ruft nach Fragen, mit denen wir aus zentraleuropäischer Sicht schwer zurechtkommen, weil uns der kulturelle Kontext nicht unmittelbar vertraut ist: Was ist mit diesen Kämmen? Was mit den Wäscheklammern oder Bleistiften? Was bedeutet der Titel der Serie?
Die südafrikanische Fotokünstlerin Zanele Muholi ist selber Modell in dieser Serie, deren Zulu-Titel «Gepriesen sei die dunkle Löwin» bedeutet, und in der sie (europäische) Gegenstände verwendet. Die Selbstporträts sind einerseits ein Hinweis auf die Rolle, welche die Mächtigen des Apartheid-Regimes den schwarzen Frauen in der Gesellschaft zuwiesen. Damit sind sie auch eine Hommage an die Mutter Muholis, die während vierzig Jahren als Hausangestellte weisser Familien arbeitete. Andererseits strahlen sie mit dem tiefen Schwarz der Gesichter ein waches Selbstbewusstsein und eine beeindruckende Selbstverständlichkeit des Daseins aus. Muholi dazu: «Ich fordere mein Schwarzsein zurück, das meiner Meinung nach ständig von anderen, Privilegierten in Anspruch genommen wird.»
Wege der Vielschichtigkeit
«Zanele Muholi bezeichnet sich selbst als Aktivisten-Fotograf*in, deren Arbeit auf die Intoleranz gegenüber schwarzen südafrikanischen Lesbierinnen und Transgender aufmerksam machen und sie aus der Unsichtbarkeit holen will.» (So ein Text der Walther-Collection in Neu-Ulm, die viele Werke Muholis besitzt.) Muholi setzt in ihren Bildern aber nicht auf vordergründige laute Provokation.
Bei aller politischen Brisanz der von ihr gewählten Thematik, von der sie selbst persönlich betroffen ist, wählt sie die wohl wirkungsmächtigeren Wege der Vielschichtigkeit, der Ambivalenz und der Vielfalt ihrer Strategien. Sie zeigt wohl Spuren von massiver Gewalt wie zum Beispiel die grossflächige Vernarbung auf dem Oberschenkel einer Frau. Ihre Ausstellung informiert ausführlich über die gesellschaftlichen Veränderungen in Südafrika als einem Land, in dem Gewalt und Unterdrückung aufgrund sexueller Präferenzen immer noch häufig sind.
Doch daneben erzählen Bilder mit poetischem Flair von zärtlichen Liebesbeziehungen. Wir begegnen Bildern als Plädoyers für die selbstverständliche Präsenz der von Diskriminierung betroffenen Frauen im öffentlichen Raum. Die Reihe «Faces and Phases», die von 2006 bis heute mehr als 500 Werke umfasst, ist eine Art kollektiven Porträts von «LGBTQIA+-Menschen» in Südafrika in unterschiedlichen Phasen ihrer persönlichen Entwicklung. Die Porträts wirken leidenschaftslos nüchtern und schön. In ihrer Vielzahl aber sind sie ein eindrückliches, Emotionen weckendes zeitgeschichtliches Dokument.
Zanele Muholi wurde 1972 in Lumpazi, Südafrika, geboren. Sie nennt sich eine nichtbinäre Person, die aktiv für «LGBTQ+»-Rechte eintritt und kämpft. Mit ihren Fotografien ist sie seit rund 15 Jahren weltweit in Museen und Ausstellungen präsent. 2013 erhielt sie eine Honorarprofessur an der Hochschule für Künste Bremen. 2012 waren ihre Arbeiten an der documenta 13 in Kassel, 2017 im Stedelijk Museum in Amsterdam, 2018 erstmals in der Schweiz im LUMA Westbau in Zürich und 2019 an der 58. Biennale von Venedig zu sehen. Zanele Muholi erhielt für ihre Arbeit zahlreiche Preise. Ihr Werk ist in vielen Bildpublikationen erschlossen. Die in Luzern gezeigte Schau ist eine von der Tate Moderne in London organisierte Tournee mit Stationen in der Maison Européenne de la Photographie in Paris, im Gropius Bau in Berlin, im Institut Valencia der Moderne und im Kunstmuseum Luzern.
Sehnsucht nach Schönheit
«Bei dir war es immer so schön» titelt Walter Pfeiffer für seine auf die Luzerner Ausstellung «Sincerely, Walter Pfeiffer» hin geschaffene Videoinstallation, die bunte Bilder vor allem junger attraktiver Männer über alle vier Wände sowie über den Boden eines Museumsraumes tanzen lässt. Die Models posieren spielerisch als eine Art Bacchus, beissen lustvoll in einen Apfel, jonglieren einen Ball, saugen, auf dem Kopf ein Lorbeerkranz, an den Fingern oder scheinen sich schlicht ihrer Schönheit zu freuen.
Die Bilder wechseln mit jenen klassischer griechischer Skulpturen, auch sie ein Lob auf die Schönheit männlicher Körper. Walter Pfeiffer, 77-jährig, war in Modemetropolen gefragter Fotograf und versiert im Umgang mit Top-Models. Seine Arbeiten sind perfekt, was Komposition und ausgewogene Farbigkeit betrifft. In den jugendlichen Akten brilliert er mit der Wiedergabe sensibler Hautoberflächen, in Stillleben erweist er sich als Meister in der Charakterisierung verschiedener Materialien wie Pommes Frites oder modische Stoffe.
In den 1970er-Jahren widmete er sich als fotografischer Autodidakt und Absolvent der Zürcher F+F-Klasse mit der Kamera der homosexuell geprägten Zürcher Underground-Kultur und erreichte einen Kult-Status. 1974 entstand zum Beispiel die Serie «Carlo Joh»: zwanzig schwarzweisse kleinformatige Fotos eines Jungen, der mit weiblich-männlicher Ambivalenz spielt. Pfeiffer reihte sich damit nahtlos ein in die von Jean-Christophe Ammann im Kunstmuseum Luzern gezeigte Ausstellung «Transformer – Aspekte der Travestie» (1974).
Zeitspanne von fünfzig Jahren
Von 1974 bis 2023 reicht die Retrospektive Walter Pfeiffers, die Luzerns Museumsdirektorin Fanni Fetzer dem Künstler jetzt ausrichtet. Die Ausstellung umfasst die Zeitspanne von fünfzig Jahren. Das ist ein weiter Weg, der auch zu Zeichnung und – in der Ausstellung weniger berücksichtigt – Malerei, Plakaten und Modefotografie führt.
Geblieben ist Pfeiffers Grundthematik, auch wenn sich sein Zugriff im Lauf der Jahre änderte:«Carlo Joh» ist ein Jugendwerk, getragen von einer kaum präzis fassbaren Atmosphäre der Zwischentöne. Die grosse, ebenfalls schwarzweisse Serie «Die Augen, die Gedanken, unentwegt wandernd» (1986) reiht Bild an Bild Porträts junger Männer, die fragend, staunend, selbstbewusst oder skeptisch und zweifelnd in die Zukunft blicken.
Schöne Männer überwiegen in Pfeiffers Werk. Frauen fehlen an den teils pink gestrichenen Wänden der Luzerner Ausstellung weitgehend, obwohl der Bildband «Cherchez la femme» (2007, Edition Patrick Frey) in über hundert Porträts von Frauen auch diese Seite von Pfeiffers Schaffen prominent belegt. Schönheit oder gar ein eigentlicher Schönheitskult dominiert, und das nicht nur, wenn es um junge Männer geht, sondern auch in Stillleben oder in Modefotos wie jenem Bild, das vor schwarzem Grund Beine in grellroter Hose und einen Strauss roter Tulpen zeigt.
Doch vielleicht spricht man statt von einem Schönheitskult besser von einer Sehnsucht nach Schönheit: Walter Pfeiffer schildert weniger eine reale Welt als vielmehr seinen Traum einer utopischen Schönheit – utopisch und nicht einlösbar. Folgerichtig zeigen sich in dieser wunderschönen Traumwelt auch Brüche. Da finden sich in einer Reihe von Fotografien plötzlich ein Bild mit vier Händen, die scharfe Messer zücken, und das Foto einer Glasscherbe, in der sich ein Jünglingsgesicht spiegelt.
Solch Aggressives fehlt in der sechsteiligen Serie «Weekend oder Die grosse Langeweile» (1979–1992). Die jungen Männer, die Pfeiffer hier in schummriges Licht rückt, scheinen wenig mit sich anfangen zu können. Vielleicht sind sie heute Spitzbuben und morgen versinken sie in Lethargie. So perfekt, wie man zu Beginn annehmen mag, ist die Welt schöner Träume nicht. Möglich, dass Pfeiffer selber dem schönen Schein misstraut.
Zanele Muholi versteht ihre Arbeiten als Äusserung politischen Protests, fokussiert auf Fragen der sexuellen Identität und auf die Freiheit für alle ihre Spielarten. Und Walter Pfeiffer? Das politische Statement oder die politische Aktion stehen für ihn kaum im Vordergrund, es sei denn, man interpretiere bereits die unbekümmerte Selbstverständlichkeit, mit der er seine (schwule) Welt utopischer Schönheitsvorstellungen Bild werden lässt, als politisches Bekenntnis: Schönheit als Provokation.
Walter Pfeiffers Rückkehr
Walter Pfeiffer kehrt mit «Sincerely, Walter Pfeiffer» in jenes Museum zurück, in dem ihm 1974 Jean Christophe Ammann in der Ausstellung «Transformer – Aspekte der Travestie» einen ersten Museumsauftritt ermöglichte. Mit von der Partie waren neben Walter Pfeiffer Luciano Castelli, Urs Lüthi, Alex Silber und Tony Morgan. Die Ausstellung reiste im Anschluss nach Graz und nach Bochum. Die fünf Künstler loteten – mittels verschiedener Medien wie Installation, Performance und Fotografie – spielerisch die fliessenden Grenzen zwischen den Geschlechtern aus.
Das Unternehmen fand ein breites Echo, erregte Widerspruch und Zustimmung und erreichte im Nachhinein eigentlichen Kultstatus. Ein Blick dahin zurück zeigt: Die Themen der heute überall mit Leidenschaft geführten Gender- und Sternchen-Diskussionen haben bereits vor einem halben Jahrhundert und in völlig anderem und teils verkrustetem Kontext hohe Wellen geworfen. Doch bereits damals war das nicht so neu wie viele glaubten: Schon die antiken Mythen mit ihren Göttergeschichten und Göttinnen-Liebschaften leben von einem Gewimmel dessen, was heute unter dem Zeichen «LGBTQIA+» Schlagzeilen macht.
Walter Pfeiffer (*1946 im Kanton Schaffhausen, lebt in Zürich) besuchte die F+F-Klasse in Zürich und arbeitet seit 1971 als freischaffender Fotograf (auch Modefotografie im Auftrag bedeutender Modedesigner), Maler, Video- und Performance-Künstler und Gestalter von Plakaten. Einzelausstellungen u. a. in der Kunsthalle Basel, Centre culturel Suisse in Paris, Swiss Institute in New York, Fotomuseum Winterthur. Viele Beteiligungen an Gruppenausstellungen. Zahlreiche Publikationen u.,a. Edition Patrick Frey Zürich.
Kunstmuseum Luzern: Zanele Muholi und Walter Pfeiffer, bis 22. Oktober