Castro ist Kuba, und Kuba ist Castro. So muss seit 1959, dem Triumph der kubanischen Revolution, jede ernsthafte Beschreibung der grössten karibischen Insel beginnen. Eigentlich schon seit dem 26. Juli 1953, als unter der Führung des damals 26-jährigen Anwalts Fidel Alejandro Castro Ruz eine Handvoll tollkühner Revolutionäre die Militärkaserne Moncada im Süden der Insel attackierten. Der Angriff endete in einem Desaster, Fidel überlebte nur durch reinen Zufall. Nicht zum letzten Mal. Mit seiner Verteidigungsrede vor dem Tribunal des damaligen Diktators Batista erregte er internationale Aufmerksamkeit: «Die Geschichte wird mich freisprechen», sagte er. Und das tut sie tatsächlich bis heute.
Vom Desaster zum Triumph ...
In der Nacht auf den 1. Januar 1959 floh der von den USA im Stich gelassene Batista von der Zuckerinsel, wenige Tage später marschierten die Barbudos, die bärtigen Revolutionäre, natürlich immer noch unter Führung von Fidel Castro, in Havanna ein. Nicht nur ihnen hatte Kuba die Befreiung von der bislang vorletzten einer ganzen Reihe von Diktaturen zu verdanken. Aber wer konnte dem Flair des Revolutionären widerstehen, dem Charisma, der Redegewalt, der unerschöpflichen Energie eines einzelnen Mannes, der über viele Jahre hinweg ohne Schlaf auszukommen schien? Der omnipräsent war, vor Ideen übersprudelte. Der als der wohl grösste Redner des 20. Jahrhunderts mit der Kraft des Wortes die Massen mitriss. In seiner ewigen oliv-grünen Kampfmontur des Guerillero den Glauben an eine bessere Welt, daran, dass doch alles möglich ist, symbolisierte. Es war die Liebe eines ganzen Volkes, die Bewunderung der Entrechteten und Erniedrigten, die Fidel schnell zur Legende werden liessen.
... und zurück ...
Fidel, Che Guevara, Camilo Cienfuegos und auch sein Bruder Raúl Castro, der von Anfang an dabei war, sie wurden die jungen Helden einer neuen Zeit. Aber alle Kampfgenossen wurden zur Staffage, wenn Fidel einen Raum betrat, das Rednerpodium bestieg, nicht nur seine kleine Insel, sondern die ganze Dritte Welt zu repräsentieren schien. Camilo Cienfuegos starb zu früh bei einem Flugzeugabsturz, Che Guevara begab sich auf die Suche nach weiteren Revolutionen in Afrika und Lateinamerika und wurde 1967 in Bolivien von der CIA gehetzt und gekillt, um als Ikone unsterblich zu werden. Fidel aber überlebte wie durch ein Wunder die vielen Dutzend Attentatsversuche auf ihn und hielt Kurs, unbeugsam, einsam, denn wer hätte ihm noch zu widersprechen gewagt? Sein Bruder Raúl, der jetzige Präsident Kubas, richtete sich lebenslänglich auf der Position der Nummer zwei ein. So steuerte Fidel seine Insel ins sozialistische Lager, löste fast den Dritten Weltkrieg während der Raketenkrise vom Oktober 1961 aus, erklärte sich zum lebenslänglichen Marxisten-Leninisten, tauschte sogar seine Guerilla-Montur gegen eine merkwürdige sowjetische Militäruniform. Denn er hatte gelernt: Äusserlichkeiten sind belanglos, Macht ist alles, was zählt. So wurde er auch noch zum wohl genialsten Machtstrategen des 20. Jahrhunderts. Aber leider nicht zur Wirtschaftskoryphäe. Deshalb ist die Insel seit vielen Jahren ziemlich pleite.
... und hin und her
Multimilliarden an Entwicklungshilfe liess das sozialistische Lager auf seinen nur 90 Meilen von den USA entfernten Vorposten herabregnen. Und Fidel entwickelte damit einen Plan nach dem anderen, Industrialisierung, Kollektivierung, Forschung, Biotechnologie, Bildung und Gesundheit für alle. Doch vieles verlor sich in der magischen Realität eines real existierenden Surrealismus. Aber, schon 64-jährig, steuerte er mit sicherer und harter Hand die Insel durch das Ende des Ostblocks, ohne dass sie unterging. Vollbrachte das Kunststück, dass der beinahe vollständige Zusammenbruch des Aussenhandels in den 90er-Jahren zu keinen nennenswerten Protesten, Hungersnöten oder gar einer Auflösung der sozialen Ordnung führte. Benützte wie immer das auf dem Silbertablett gelieferte Argument der US-Handelsblockade geschickt als Erklärung für alle selbst errichteten Blockaden. Und 2006, kurz vor seinem 80. Geburtstag, hielt Fidel wie gewohnt seine Rede zum Nationalfeiertag am 26. Juli und meldete sich dann anschliessend krankheitshalber ab. Was für ein Abgang.
Ach, Fidel
«Auch Marathonläufer werden mal müde», sagte Fidel 1993, wohl der einzige Einblick in sein Innenleben, den er der Welt in all den Jahren gönnte. Und dann rannte er noch 13 Jahre lang weiter. Ist er ein Diktator? Natürlich, aber wohl der einzige, der wahrhaft und immer nur das Beste für alle gewollt hat. Auch wenn er so vieles schlecht gemacht hat. Er brauchte keine Insignien der Macht, denn er war die Macht, Luxus ist ihm wesensfremd, und seit seinen Anfängen in der Guerilla lebte er dem Prinzip nach: Ich muss Vorbild sein, nur was ich selbst lebe, kann ich von anderen fordern. Mut, Moral, Prinzipien, Tugenden müssen den Menschen leiten. Und Pflichtgefühl. Dann heiligen sich Zweck und Mittel gegenseitig. Dann darf man auch Ungutes tun, um das Gute zu befördern. Was er allerdings übersah: Wer konnte und kann da mithalten? Welcher junge Revolutionär hatte die Möglichkeit, neben dem Übervater Fidel zu eigener Statur zu kommen, sich als Nachfolger zu positionieren? Keiner.
Was bleibt
Was bleibt, ist ein Mann, der den Bewohnern seiner Insel etwas gegeben hat, was sie seit dem Beginn der Kolonisation im Jahre 1492 nicht hatten: Würde. Menschenwürde. Das Wissen darum, dass auch ein Schwarzer, Nachfahre von Sklaven, genauso ein Mensch ist wie ein weisser Nachfahre der Eroberer aus Spanien. Der Fidel ja ist. Was bleibt, ist ein Mann, der seiner Insel mehr als fünfzig Jahre lang sozialen Frieden, Stabilität, das Ausbleiben von Bürgerkriegen, im wahrsten Sinne Selbstbestimmung gegeben hat. Und dazu, auch kein kleiner Verdienst in der Dritten Welt, ihren Bewohnern ein langes Leben, frei von Krankheiten, die Befreiung aus dem Elend des Analphabetismus, das Bewusstsein, dass es ein Recht ist, die Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse, Wohnen, Essen, Gesundheit, Bildung, einzufordern. Und es mit nicht mehr begründen zu müssen als mit dem Satz: Ich bin ein Mensch. Gegen all das verblassen alle berechtigten und vor allem unberechtigten Kritiken an seiner Diktatur, seinen Fehlern, seinen Irrtümern.
Und was kommt?
Spätestens seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers wurden Tausende von Artikeln über Kuba veröffentlicht, die das Ende Castros, seiner Revolution ankündigten. Mit neuer Energie nach seinem Rückzug von der Macht im Jahre 2006. Die Tage, Stunden, Minuten, Sekunden wurden heruntergezählt, bis es vorbei ist. Gealtert, geschwächt, aber geistig offensichtlich bis heute hellwach und munter, wird Fidel an seinem Geburtstag hoffentlich etwas tun, was er sich öffentlich, schliesslich repräsentiert er seit vielen Jahren auch die Würde der Revolution, nie gestatten würde: Herzlich und anhaltend und homerisch darüber lachen. Und was wird nach ihm kommen? Nichts Nennenswertes, soviel ist sicher. Auf die Frage, wie er sich denn den Fortgang seiner Revolution nach seinem Tod vorstelle, hat er schon lange eine gute Antwort gegeben: Nach so vielen Jahren des Kampfes, der Entscheidungen über Leben und Tod, der Krisen und Triumphe, solle man ihn doch wenigstens in seinem Grab in Ruhe lassen. Zuvor aber einfach: feliz cumpleaños, compañero Fidel.