Im vergangenen Dezember wandte sich das westafrikanische Sao Tome und Principe von Taiwan ab und nahm diplomatische Beziehung zur Volksrepublik China auf. Der Grund: Taiwan schlug dem hochverschuldeten westafrikanischen Inselstaat eine Bitte um finanzielle Hilfe in der Höhe von 200 Millionen Dollar rundweg ab. Jetzt, Mitte Juni, nahm auch der mittelamerikanische Staat Panama diplomatische Beziehungen zu Peking auf, was im Zuge der mittlerweile fast von allen Staaten anerkannten Ein-China-Politik automatisch den Bruch mit Taiwan nach sich zog.
Checkbuch-Diplomatie
Im Falle von Panama ging es nicht um verweigerte Finanzhilfe. Vielmehr stehen für Panama lukrative chinesische Investitionen im Mittelpunkt, und für China steht eine gefestigte Position an einem der wichtigsten Wasserwege der Welt auf dem Spiel. Dort, wo einst ausschliesslich die USA das Sagen hatten, nimmt nun China immer mehr Einfluss. Bereits sind Milliarden an Investitionen aus dem Reich der Mitte geflossen, unter anderem für einen der grössten Häfen am Panama-Kanal. Doch in einem Kommentar der Global Times – einem Ableger des Parteiblattes Renmin Ribao (Volkstageszeitung) – wird festgestellt, dass China „nicht mit den USA um Einfluss in Zentralamerika“ konkurrieren werde. China suche nicht „die US-Interessen in der Westlichen Hemisphäre zu unterminieren“, und ausländische Medien – mithin auch Ihr Korrespondent – sollten diesen Sachverhalt nicht falsch interpretieren.
Nur 19 wirtschaftlich meist unterentwickelte Staaten anerkennen nun noch Taiwan, elf allein aus Mittelamerika und der Karibik, der Rest aus Ozeanien und Afrika. Die Checkbuch-Diplomatie Taibeis von einst verliert zusehends an Wirkung, zumal Peking nicht knausrig ist, wenn es bei zunehmender internationaler Verflechtung um strategische Vorteile geht.
Vatikan
Im sino-taiwanesischen Kampf um diplomatische Anerkennung verbleibt mit dem Vatikan eine entscheidende Hürde. Gespräche zwischen dem Vatikan und China sollen schon weit fortgeschritten sein. Hier geht es natürlich nicht um Checkbuch-Diplomatie sondern um Religion, um die Ernennung von Bischöfen etwa. Der Vatikan pocht dabei auf ein Mitentscheidungsrecht, was Peking nach dem Prinzip „keinerlei ausländische Einmischung“ nach wie vor ablehnt. Die Position des Vatikans wird die noch immer zu Taiwan stehenden lateinamerikanischen Länder Nicaragua, El Salvador, Honduras und Guatemala stark beeinflussen.
„Historischer Trend“
Für das englischsprachige chinesische Regierungsblatt „China Daily“ ist die Entwicklung klar. Mit der Anerkennung Chinas durch Panama erfüllt sich ein „historischer Trend“. Die Beziehungen zwischen Peking und Taibei haben sich verschlechtert, seit vor einem Jahr die Demokratische Fortschrittspartei DDP gegen die acht Jahre regierenden Nationalisten Kuomintang KMT gewonnen hatte. Unter KMT-Präsident Ma Ying-jeou blühten die Beziehungen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen wurden enger. Taiwanesische Firmen investierten massiv auf dem Festland. Unterdessen arbeiten und leben rund eine Million Taiwanesinnen und Taiwanesen in China. Hunderttausende Festlandchinesen strömten als Touristen auf die Insel. Doch seit im Juni 2016 die DDP-Präsidentin Tsai Ing-wen regiert, trübten sich die Beziehungen ein. Tsai nämlich will den „1992-Konsens“ nicht anerkennen, wonach sowohl das Festland als auch Taiwan zu einem China gehören. Die Global Times schreibt denn auch, dass die „politische Balance“ zwischen dem Festland und der Insel seit Tsai Ing-wens Machtantritt gebrochen sei, denn sie habe sich geweigert, den 1992-Konsens anzuerkennen.
Ein Land – zwei Systeme
Sowohl für Peking als auch für Taiwan gilt nach wie vor die von Deng Xiaoping in den 1980er-Jahren zunächst für Hong Kong und Macao entwickelte Doktrin „Ein Land – zwei Systeme“. Ein demokratisches Taiwan kann sich unter diesem Prinzip nach chinesischer Vorstellung ohne weiteres mit dem „Mutterland wiedervereinigen“. In Taiwan freilich befürworten die meisten den Status quo, wenn auch der Ruf nach Unabhängigkeit – nicht selten eben auch aus den Reihen der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei DDP – laut wird. Die Volksrepublik China hält derweil an ihrer Politik seit der Staatsgründung 1949 fest: Taiwan ist eine „abtrünnige Provinz“ und muss notfalls auch gewaltsam zurückerobert werden. Nicht von ungefähr stehen in der Provinz Fujian Hunderte von Raketen einsatzbereit, um über die Strasse von Formosa abgefeuert zu werden.
Für die meisten Chinesinnen und Chinesen – zumal auch Dissidenten – ist absolut klar, dass Taiwan zu China gehört. Die Global Times schreibt in einem Kommentar: „Obwohl Taiwan eine Insel ist, war sie historisch nie weder eine geographisch noch eine politisch unabhängige Einheit.“ Jetzt, wo China im Begriff sei, „eine Weltmacht zu werden, ist das chinesische Volk entschlossen, sein Land wiederzuvereinigen“.
Eng mit China verknüpft
Taiwan hat eine wechselhafte, jedoch immer eng mit China verknüpfte Geschichte. Bereits vor 6‘000 Jahren sind die ersten Bauern vom Festland auf die Insel im Ostchinesischen Meer gekommen. Chinesische Fischer sowie Piraten aus China und Japan nutzten im 13. Jahrhundert und dann vermehrt im 16. Jahrhundert die Insel. Die Holländer und Spanier tauchten im 17. Jahrhundert auf, wurden aber von Koxinga, einem Loyalisten der auf dem Festland gestürzten Ming-Dynastie, wieder vertrieben. Die auf dem Festland regierende Qing-Dynastie besiegte Koxingas Grosssohn und annektierte Taiwan 1683. Von einer Präfektur der Provinz Fujian wurde Taiwan 1887 zur eigenständigen Provinz erhoben. Seit dem ersten sino-japanischen Krieg 1894/95 ist Taiwan bis zum Ende des II. Weltkrieges 1945 japanische Kolonie. Nach der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg flohen die Nationalisten Kuomintang auf die Insel. Dort errichtete Chiang Kai-shek 1949 die „Republik China“ mit dem Anspruch, das ganze Festland zu vertreten. 1971 verlor Taibei den UNO-Sitz an Peking. 1979 brachen die USA die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab. Doch im „Taiwan Relations Act“ versicherten die USA bei einer Bedrohung militärische Unterstützung. Das hiess nie automatisch militärisches Eingreifen, sondern vor allem Waffenverkäufe.
98 Prozent der heute auf Taiwan lebenden Einwohner sind Han-Chinesen. Eine erste Einwanderungswelle setzte im 17. Jahrhundert ein, eine zweite im 19. Jahrhundert und die letzte 1949 nach dem Ende des chinesischen Bürgerkrieges.
„Chinese Taibei“
Die Internationale Gemeinschaft hat sich zum Prinzip der „Ein-China-Politik“ und zu Peking bekannt. Taiwan freilich ist mit 24 Millionen Einwohnern ein ansehnliches Land. In internationalen Organisationen – zum Beispiel im Internationalen Olympischen Komitee IOK – ist es als „Chinese Taibei“ zugelassen und kann an Olympischen Spielen teilnehmen. Der Weltgesundheitsorganisation WHO wiederum darf Taiwan nicht beitreten, nicht einmal als Beobachter, weil seit 1971 Peking Taibei als alleinige Vertreterin Chinas in der UNO abgelöst hat. In den Medien wird Taiwan oft als National-China apostrophiert, weil 1949 nach der Niederlage im Bürgerkrieg die Nationalisten unter der Führung von Generalissimo Chiang Kai-shek nach Taiwan geflohen sind. In der Wirtschaft wiederum ist „Made in Taiwan“ ein anerkanntes Gütesiegel.
International ist Taiwan zunehmend isoliert und wird es bleiben. Dennoch unterhalten viele Staaten inoffizielle Vertretungen in der Form von Kultur- und Wirtschaftsbüros in der Hauptstadt Taibei. Darunter die USA, Russland sowie fast alle EU-Staaten. Und selbstverständlich auch die Schweiz.