Die Tageszeitung „Il Giornale“ gehörte einst Silvio Berlusconi. Nach seinem Eintritt in die Politik verkaufte er 1994 das Blatt seinem Bruder Paolo. Die Zeitung gilt vielen als populistisches Kampforgan gegen alle, die gegen Berlusconi sind. Sie hetzt auch immer wieder gegen Flüchtlinge. Das Blatt erreicht eine Auflage von knapp 200'000 und ist die zehntgrösste Zeitung Italiens.
Am Samstag wurde "Il Giornale" eine Ausgabe von „Mein Kampf“ beigelegt. Ministerpräsident Matteo Renzi bezeichnete die Aktion als „abscheulich“ (squallido). Er zolle den italienischen Juden den höchsten Respekt. "Mein herzlicher Gruss geht an die jüdische Gemeinschaft. Nie wieder!"
Laura Boldrini, die linke Präsidentin des Abgeordnetenhauses, spricht von einem „schwerwiegenden Fall“. Die Erinnerung an die Nazi-Opfer verdiene Respekt. „Meine Solidarität gilt allen Familien, die Opfer des Holocaust sind“.
"Widerwärtig, respektlos"
Die jüdische Gemeinde in Italien bezeichnete die Aktion als „ungehörig und pietätlos“. Linke Kreise in Mailand haben angekündigt, gegen die Zeitung zu klagen. Piero Fassino, der Bürgermeister von Turin, dessen Vater als Partisan gegen die Nazis gekämpft hatte, spricht von einer „widerwärtigen, respektlosen Initiative gegenüber allen Nazi-Opfern“.
In Mailand und Rom war am Samstag an zahlreichen Kiosken weder „Il Giornale“ noch die „Mein Kampf“-Beilage erhältlich. Viele Kioskbesitzer weigerten sich, das Buch aufzulegen.
In einem Kiosk in Rom wurde diese Notiz angebracht: „Aus tiefem Respekt gegenüber allen Opfern des Nazi-Faschismus und aus antifaschistischer Überzeugung verkaufen wir in diesem Kiosk das Buch „Mein Kampf“, das heute „Il Giornale“ beigelegt ist, nicht. Wir nehmen auch keine Bestellungen entgegen.“
Chefredaktor Alessandro Sallustri verteidigte sich. Er wolle mit der Aktion etwas zum Verständnis das Nazi-Faschismus beitragen, damit sich solches nie mehr wiederhole. "'Mein Kampf' zu lesen ist das richtige Gegengift gegen die Gift des Nationalsozialismus". Sallustri will in den nächsten Wochen weitere Bücher zum Nationalsozialismus verteilen.
Unkritische Ausgabe
Die samstägliche Beilage hat in Italien schnell wieder alte Wunden aufgerissen. Die Linke wirft der Rechten ihre Verfilzung mit dem Faschismus vor – und die Rechte der Linken ihre Verbindungen zum Kommunismus. Simone Furlan, ein Kämpfer an der Seite Berlusconis, sagt: „Renzi hat recht, wenn er die Aktion als abscheulich bezeichnet. Doch man sollte eher das ‚Schwarzbuch des Kommunismus’ verteilen, das die Gräueltaten der Kommunisten beschreibt. Dieses „Libro Nero del Comunismo“ hatte Berlusconi schon 1997 publiziert.
Beim jetzt von "Il Giornale" verteilten "Mein Kampf" handelt es sich um eine italienische Übersetzung der unkritischen Ausgabe von 1937 - und nicht um eine Übersetzung der jetzt in Deutschland publizierten kritischen Version mit ihren 3'500 kritischen Fussnoten.
Wahlmanöver?
Bei den Gemeindewahlen vor einer Woche schnitt Berlusconis „Forza Italia“-Partei schlecht ab. Mailand ist die einzig grosse Stadt, in der es ein Berlusconi-Kandidat in den zweiten Wahlgang geschafft hat. Diese Stichwahl findet am 19. Juni statt.
Einige Kommentatoren glauben nun, die „Operation ‚Mein Kampf’“ sei dazu da, die italienischen Post-Faschisten (und von denen gibt es noch einige) dazu zu bewegen, für Berlusconi zu stimmen. Die Post-Faschisten, unter anderem in der Partei "Fratelli d'Italia" vereint, hatten in mehreren Gemeinden besser abgeschnitten als Berlusconis Forza Italia.
Gegen diese Interpretation wehrt sich der Chefredaktor von „Il Giornale“ energisch. „Mit einer solchen Tragödie spielt man nicht“, erklärte er.
Schadensbegrenzung
Chefredaktor Sallistro ist offenbar überrascht von der virulenten Reaktion. Selbst Stefano Parisi, der Berlusconi-Kandidat in Mailand, reagierte empört auf die Publikation von "Mein Kampf". „Die Initiative von ‚Il Giornale’ beleidigt Tausende Familien aus Mailand und ganz Italien, die Opfer des Nazismus waren“.
Offenbar versucht der Chefredaktor jetzt, den Schaden zu begrenzen. Turins Bürgermeister Fassino, sagt: „Vielleicht wird er bald das Tagebuch der Anne Frank verschenken.“