Mit Sawsan Chebli, der ehemaligen Staatssekretärin im Berliner Senat, und Jörg Müller, dem Chef des Verfassungsschutzes von Brandenburg, diskutiert Tim Guldimann über die stark zunehmenden Anfeindungen gegen politisches und gesellschaftliches Engagement.
Gemäss dem deutschen Bundeskriminalamt haben sich zwischen 2018 und 2021 die Straftaten gegen Amts- und Mandatspersonen bundesweit mehr als verdreifacht, mit leichtem Rückgang 2022. Mehr als ein Drittel der Amtsträgerinnen und Amtsträger auf kommunaler Ebene erlebten im vergangenen Jahr persönliche Anfeindungen. 82 Prozent der Betroffenen leiden an psychischen und physischen Folgen. Jörg Müller hat eine entsprechende Studie in Brandenburg für den gesamten Bereich des Ehrenamtes bei 7’000 Personen der kommunalen Mandatsträgerschaft durchgeführt: «Die Befunde sind leider so, wie wir es erwartet haben, sehr alarmierend. (…) Die Frauen sind deutlich betroffener, was die Aggressivität anbelangt, das ging bis zu Vergewaltigungsdrohungen.»
«Wir haben», so Müller «eine breite Radikalisierung auch in der Sprache. Früher war man der Gegner in der politischen Debatte, heute ist man gleich der Feind». Man habe über lange Zeit wahrnehmen können, dass zunächst die Verrohung der Sprache kommt und dann meistens Taten folgen: «Wir hatten die Attentate von Halle und Hanau, wir hatten den Mord an Walter Lübke.»
Sawsan Chebli kann aus eigener Erfahrung bestätigen: «Das, was wir als Frauen erleben, ist viel aggressiver, viel brutaler. Ich habe da auch viele Morddrohungen bekommen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Facebook mich schützt, dass der Hass gelöscht wird. Vor allem weiss ich, dass es für meine Familie noch schlimmer ist als für mich.» Da habe sie sich gefragt: «Lohnt sich das alles? Ich bin dann zu dem Schluss gekommen, ja es lohnt sich, ich möchte nicht schweigen, ich möchte nicht kapitulieren. Mein Wunsch wäre es, dass das Thema raus aus der Nische kommt, dass alle kapieren, was es bedeutet, was dieser Hass mit uns als Gesellschaft tut.»
Journal 21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.