«Les Bleus» haben «La Celeste» mit 2:0 geschlagen – und dies verdient, souverän und abgeklärt sowie taktisch perfekt eingestellt. Es war eine angespannte, spielerisch nicht sehr begeisternde Partie, bei der jede Mannschaft einen Stammspieler zu ersetzen hatte: Matuidi, der alte Haudegen im zentralen Mittelfeld, fehlte wegen zwei gelber Karten bei Frankreich. Cavani, einer der beiden Weltklassestürmer Uruguays – und dies wog wahrscheinlich am Ende wesentlich schwerer – sass wegen einer angeschlagenen Wade bis zum Ende nur auf der Bank, ja war nicht mal im Aufgebot.
Frankreichs Elf, mit Ausnahme des erst 23-jährigen Tolisso von Bayern München, der Matuidi bestens ersetzte, begann mit derselben Aufstellung wie beim spektakulären 4:3-Sieg gegen Argentinien im Achtelfinale. Doch es sollte ein völlig anderes Spiel werden als gegen Lionel Messi und Co.
Kein zweites Feuerwerk
Im Bistro auf dem flachen Land im tiefen Frankreich am Oberlauf der Saône, wo der Fernseher läuft, kommt zunächst kaum Stimmung auf. «Die laufen aber nicht viel», knurrt einer. Sein Nachbar macht sich über den Namen des Innenverteidigers Umtidi lustig. Von der legendären Schnelligkeit der französischen Stürmer bekamen die wenigen Gäste, man mag sie kaum als Fans bezeichnen, so grummelnd betrachten sie den Spielverlauf, nicht viel zu sehen. Die Antrittsstärke von Mbappé und Griezmann kam diesmal einfach nicht zum Zug.
Uruguays berühmte und beinharte Abwehr hatte sämtliche Räume gnadenlos zugestellt. Der 19-jährige Kylian Mbappé, dessen Leistung gegen Argentinien weltweit bejubelt wurde, kam zu keinem einzigen seiner berühmten Ausritte mit bis zu 37 km/h und blieb fast das ganze Spiel über eher unauffällig, mit Ausnahme der einzigen Grosschance in der zehnten Minute, als er per Kopf aus fünf Metern eine Bogenlampe über den Torwart hinweg versuchte, die knapp hinter der Querlatte landete. Am Ende des Spiels wirkte Frankreichs neuer Superstar irgendwie beleidigt.
Uruguays Härte
Ab der zehnten Minute, als Uruguays Raubeine offensichtlich beschlossen hatten zu treten und kurz hintereinander drei Franzosen – auch Mbappé – ordentlich auf die Knochen bekommen hatten, wurde es im Bistro etwas lauter. «Diese faulen Säcke», tönt es – Worte, die im weiteren Verlauf dieses Viertelfinales immer wieder fallen sollten. Denn in der Tat musste man den Eindruck haben, Urugay wolle den Gegner mit kleinen und grossen und zum Teil fiesen, versteckten Fouls mürbe machen. Und es gelang ihnen zum Teil auch. Mbappé wurde wie im Ringkampf niedergezwungen – und nichts passierte, und in der zweiten Halbzeit blieb bei einem Kopfballduell ein grober Ellbogencheck gegen den Kopf von Frankreichs Mittelfeldspieler Tolisso ungeahndet.
«Wie kann man nur bei einem solchen Spiel einen Schiedsrichter aus Argentinien benennen», protestiert einer an der Theke, der sich ein wenig auszukennen scheint, allerdings offensichtlich nicht weiss, dass die Menschen aus Uruguay und Argentinien sich nicht sonderlich mögen.
«Wo ist überhaupt Giroud, sitzt er schon auf der Bank?», schreit einer im Saal, nachdem eine weite Flanke in den gegnerischen Strafraum weit und breit keinen französischen Abnehmer gefunden hat. Dem Kritiker war offensichtlich nicht aufgefallen, wie exzellent der 1,92 Meter grosse Mittelstürmer über weite Strecken mit dem Rücken zum Tor gegen ein oder zwei eisenharte Verteidiger die Bälle annahm und weiterverteilte und sich alles in allem gut aus der Affäre zog.
1:0
Trotz der übertriebenen Härte des Gegners – und auch dies zeigt die Stärke Frankreichs an diesem Abend – gewannen die in Weiss spielenden Blauen über 60 Prozent der Zweikämpfe. Und rechtzeitig vor der Halbzeitpause wurde die Mannschaft um Kapitän und Torwart Lloris für ihr Stehvermögen auch belohnt.
Bei dieser Weltmeisterschaft mit überdurchschnittlich vielen Toren nach Standardsituationen zirkelte Atletico-Madrid-Star Griezmann diesmal einen Freistoss von der rechten Seite mit dem linken Fuss Richtung Elfmeterpunkt. Libero Varane kam angerauscht und traf, Sekundenbruchteile vor einem Gegner, per Kopf in die linke obere Ecke. Varane, der von Anfang des Turniers an als umsichtiger und souveräner Libero, mit einer gewissen Eleganz, die stellenweise an Franz Beckenbauer erinnert, ganz entscheidend zur insgesamt guten Abwehrleistung der Equipe Tricolore beigetragen hat.
Mit 1:0 ging es in die Pause, wobei Frankreichs Torwart, Hugo Lloris, in der 43. Minute einen strammen Kopfball aus nur zehn Metern Richtung linkes unteres Eck mit einer Weltklasseparade abwehren konnte.
Zweite Halbzeit
Frankreich kam selbstbewusst aus der Kabine und liess in der ersten Viertelstunde so gut wie nichts anbrennen, während Uruguay mit der rauen Gangart fortfuhr.
«Dieses Arschloch beschwert sich auch noch,» schimpft einer im Bistro nach dem x-ten Foul und den Protesten eines Urugayers.
Und die Truppe vom Rio de la Plata wurde kurz nach dem schon erwähnten Ellbogencheck an einem Gegner in der 61. Minute indirekt bestraft: Der eifrige lange Paul Pogba hatte im Mittelfeld den Ball erobert, über Tolisso kam das Spielgerät auf Griezmann an der linken Strafraumseite, der aus 17 Metern einfach draufhielt. Uruguays unglücklicher Torwart hatte einen kleinen Schritt Richtung langes Eck getan, versuchte wieder einen Schritt zurück zu machen, der Ball kam letztlich direkt auf ihn, doch der unglückliche Muslera liess ihn über die Fingerspitzen rutschen. 2:0.
Diese WM ist wahrlich nicht die WM der Torhüter. Musleras Torwartfehler erinnerte an weitere. Etwa als der hoch gelobte spanische Keeper, David de Gea von Manchester United, einen mittelmässigen Schuss von Portugals Ronaldo beim 3:3 im Gruppenspiel fast auf dieselbe Art passieren liess.
Auf dem Boden der Tatsachen
Man muss es den Spielern von Teamchef Didier Deschamps lassen: Sie haben im Kollektiv dafür gesorgt, dass diese unangenehm zu spielende Mannschaft aus Uruguay sich bereits zwanzig Minuten vor Ende der Begegnung aufgegeben hat. Frankreich, ausgesprochen ballsicher und mit wenigen Fehlern bei Kurzpässen, liess den Gegner nur noch laufen. Der Gegner war ganz offensichtlich matt. Und lieferte fünf Minuten vor Ende auch noch ein Bild, wie man es im internationalen Fussball wohl selten jemals zu sehen bekam: Bei einem der letzten Freistösse der Franzosen weinte in der Mauer einer der Abwehspieler der Celeste bereits bitterlich. «Die anderen weinen schon, das ist wichtig», kommentiert einer aus der Runde im Bistro.
Frankreichs Trainer Deschamps stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Er hat das vorgegebene Ziel, unter die letzten Vier zu kommen, erreicht. «Ich bin stolz auf diese Mannschaft», sprach er mit etwas feuchten Augen. «Und ich bin froh, dass es gelungen ist, das Team aus den Wolken und der Euphorie nach dem Argentinienspiel vor dieser Begegnung wieder auf den Boden der Tatsachen herunter zu holen.»
Wie gesagt: am Ende war es ein absolut verdienter Einzug Frankreichs ins Halbfinale dieser Fussball-WM – erstmals wieder seit 2006. Und doch hat die Equipe Tricolore letztlich nur durch eine Standardsituation und einen krassen Torwartfehler von Uruguays Keeper mit 2:0 die Oberhand behalten.
Im Halbfinale trifft Frankreich auf Belgien, das sensationell und furios Brasilien ausgeschaltet hat. Der ewige Geheimfavorit ist plötzlich ein echter Favorit – auch gegen Frankreich und auch für das Endspiel.