Kein Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene Asylsuchende. Der Nationalrat missachtet Menschenrechte, der Ständerat will noch überlegen.
In der ausserordentlichen Session des Nationalrates zum Asyl ist am Dienstag ein fragwürdiger Entscheid gefallen. Der Ständerat hingegen wollte einen wichtigen Teil der Geschäfte nicht im Schnellverfahren beschliessen, sondern gibt diese zur Vorberatung an seine zuständige Kommission.
Nationalrat missachtet Recht auf Familie
Vor allem die SVP, aber auch andere bürgerliche Nationalräte finden, es kämen zu viele Asylsuchende in die Schweiz, Bund und Kantone seinen überfordert von der hohen Zahl, es gelte diese stark zu begrenzen. Ein Mittel dazu sei, die Familienzusammenführung von vorläufig aufgenommenen Asylsuchenden zu verbieten. Das ist nicht nur heikel, das widerspricht auch dem Recht auf Familie, das in der Bundesverfassung verankert ist; es widerspricht zudem der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie das mehrere linke und grüne Politiker sowie Bundesrat Beat Jans betonten.
Zudem hätte diese für unser Land unwürdige Einschränkung nur geringe Auswirkungen auf die Bevölkerungszahl, denn pro Jahr wurden in letzter Zeit im Schnitt 108 Familienzusammenführungen bewilligt. Die Hürden sind hoch. So muss ein vorläufig Aufgenommener eine Stelle haben, genügend Geld verdienen, um für seine Familie zu sorgen und sie in einer angemessenen Wohnung unterzubringen. Das heisst: Diese Menschen sind gut integriert und finanziell unabhängig.
Doch diese einleuchtenden und sachlichen Argumente vermochten die bürgerliche Mehrheit nicht davon abzuhalten, die Familienzusammenführung auszuschliessen und der SVP-Motion mit 119 gegen 74 Stimmen, bei 9 Enthaltungen, zuzustimmen.
Würde auch der Ständerat im Dezember zustimmen, hätte eine Anfechtung der Verweigerung der Zusammenführung vor dem Bundesgericht nach geltender Praxis gute Chancen auf Erfolg. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Dem Gerichtshof Grenzen setzen
Um Menschenrechte, das heisst um den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), entspannte sich eine längere Debatte. Eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention, welche die SVP verlangt, wurde klar abgelehnt im Nationalrat wie im Ständerat. Doch die Empörung über einige Entscheide des Gerichts, besonders jenes zugunsten der Klimaseniorinnen, hat die Debatte im Ständerat vom Mittwoch geprägt.
Die Rüge, dass die Schweiz zu wenig unternehme, um alte Menschen vor den Gefahren der Klimaerwärmung zu schützen, wurde als dreiste Einmischung in die Schweizer Politik empfunden. Der Gerichtshof habe seinen Kompetenzbereich unrechtmässig ausgeweitet: Er müsse sich auf den Kernbereich der Menschenrechte beschränken, mahnte Daniel Jositsch (SP, ZH), der die Motion des Appenzeller Ständerats Caroni zur Annahme empfahl.
Sie fordert den Bundesrat auf, in Strassburg beim Ministerrat des Europarates zu beantragen, den Gerichtshof anzuweisen, seinen ursprünglichen Kompetenzbereich nicht auszuweiten. Seine Aufgabe bestehe darin, die Menschenrechte als Schutz der Bürger vor Eingriffen des Staates durchzusetzen. Das sei in einem Zusatzprotokoll festzuhalten. Linke und Grüne sehen das anders. Franziska Roth (SP, SO) entgegnete, im Rahmen der Uno habe sich schrittweise die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich Menschenrechte und Umweltschutz gegenseitig bedingten. Verseuchte Böden und schmutziges Trinkwasser seien nicht nur eine Gefahr für die Umwelt, sondern auch für die betroffenen Menschen; es gebe also ein Recht auf eine gesunde Umwelt.
Das gelte ebenfalls mit Bezug auf den Klimawandel. Menschenrechte und Klimawandel liessen sich nicht einfach trennen. Dieser Einwand verhallte wirkungslos. Bundesrat Jans zeigte sich bereit, in Strassburg ein Zusatzprotokoll zu fordern und die Motion wurde mit 32 gegen 12 Stimmen angenommen. – Noch muss sich der Nationalrat damit befassen.
Weitere Einschränkungen des Asylrechts knapp abgelehnt
Der Nationalrat hat am Dienstag zwei Motionen der SVP, die eine empfindliche Einschränkung des Asylrechts anstreben, nur knapp abgelehnt. Der Freisinn hatte vor kurzem noch die mit der Bundesverfassung kaum im Einklang befindliche Gesetzesänderungen abgelehnt, doch plötzlich folgte die Kehrtwende. Die erste Motion verlangt, dass Asylsuchende, die ein sicheres Land durchqueren, in der Schweiz nicht als Flüchtlinge anerkannt werden. Da die Schweiz von sicheren Ländern umgeben ist, könnten nur noch Flüchtlinge, die auf einem Schweizer Flughafen ankommen, ein Asylgesuch stellen. So würde das Asylrecht weitgehend aufgehoben. Mit 94 zu 89 Stimmen wurde die Motion abgelehnt.
Der zweite SVP-Vorstoss verlangt, dass in Grenzkantonen Transitzonen geschaffen werden, wo das Asylverfahren bis zu einem Entscheid zu behandeln wäre. Das ist ein praktisch in der Schweiz kaum durchführbares Vorhaben, wie das auch Bundesrat Jans darlegte. Mit 105 zu 74 Stimmen bei 9 Enthaltungen wurde die Motion zurückgewiesen. Wie erwähnt, wird sich der Ständerat noch eingehend damit befassen.
Afghaninnen dürfen hoffen
Einen Lichtblick gab es am Mittwoch im Ständerat. Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor über zwei Jahren sind den Frauen sämtliche Rechte entzogen worden: Sie dürfen nicht arbeiten, nicht studieren, ausserhalb ihrer Wohnung müssen sie stumm bleiben und als Menschen unsichtbar sein. Das hat das Staatssekretariat für Migration bewogen, für sie das Asylverfahren etwas zu erleichtern, was in der Folge jedoch missverständlich kommuniziert worden war.
Darauf haben Politiker der SVP und auch anderer Parteien verlangt, die Erleichterung abzuschaffen oder doch einzuschränken. Nach sorgfältiger Prüfung der Angelegenheit konnte SP-Ständerat Jositsch den Rat beruhigen, das Vorgehen sei korrekt. Weiter sagte er, weltweit gebe es keine Frauen, die so schlecht behandelt würden wie jene in Afghanistan, weshalb ein Entgegenkommen gerechtfertigt sei.
Bundesrat Jans führte zudem aus, dass auch für diese Frauen stets eine Einzelprüfung durchgeführt würde. Sofern eine Familienzusammenführung gewährt werde, gebe es für alle Angehörigen ab 14 Jahren eine Sicherheitsprüfung. Darauf wurden die Vorstösse mit klarer Mehrheit abgelehnt: Es gibt keine neuen Hindernisse für Afghaninnen.
Eintritt in Arbeitswelt für Ukrainerinnen erleichtern
Am Dienstag gab es noch einen erfreulichen Entscheid im Nationalrat. Das Bemühen, Ukrainer und Ukrainerinnen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hat noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Corina Gredig (glp. ZH) verlangt, dass die Hürden abgebaut werden. Sie hat Beispiele von verschiedenen Ukrainerinnen, die qualifiziert sind, eine Stelle in Aussicht hatten, aber viele zermürbende Monate auf die Arbeitsbewilligung warten mussten.
Würden die Behörden besser zusammenarbeiten, erleichterte dies den Ukrainerinnen, eine Stelle zu finden. Davon würde die Wirtschaft profitieren, aber auch der Staat, denn diese Menschen würden schneller finanziell selbstständig. Auch den Frauen ginge es besser. Nach Meinung des Bundesrats sollte der Vorstoss abgelehnt werden. Die Mehrheit des Nationalrats hingegen war mit Gredig einverstanden (125:67 Stimmen), den Eintritt der Ukrainerinnen ins Erwerbsleben zu erleichtern.