Der vergeigte Börsengang von Facebook liefert einen weiteren Beweis dafür, dass modernes Hightech Financial Engineering ein neumodisches Wort für tobende Inkompetenz ist. Mit kompliziertesten mathematischen Algorithmen werden Supercomputer zur Kernschmelze getrieben, und heraus kommt: wissenschaftlich verkleideter Schwachsinn. Analysieren wir den Flop Schritt für Schritt.
1. Schritt: Das Pricing
Vor einem Börsengang einer Firma, einem IPO, wird der Ausgabepreis der Aktie festgelegt. Bei diesem sogenannten Bookbuilding wird ausgetestet, wie viele Aktien zu welchem Preis losgeschlagen werden können. Ein Konsortium von Banken verdient sich ein goldenes Näschen, indem Heerscharen von Spezialisten komplizierte Berechnungen anstellen und am Schluss auf eine Zahl kommen, an deren Richtigkeit kein Zweifel möglich ist: 38 Dollar. Wer daran zweifelt, dass es möglich sein sollte, den Wert eines erst seit 8 Jahren existierenden virtuellen sozialen Netzwerks zu bestimmen, auf dem 900 Millionen Nutzer mit Vorliebe Fotos veröffentlichen, die sie besser für sich behalten hätten, wird im Gestus wissenschaftlicher Überlegenheit weggelächelt. Wer die Frage stellt, ob es sich nicht um einen Hype handeln könnte, wenn dieses Teil plötzlich sagenhafte 104 Milliarden Dollar wert sein soll, hat keine Ahnung. Wer an die Dotcom-Blase und AOL erinnert, schaut in verständnislose Gesichter von Junganalysten, deren Kurzzeitgedächtnis nicht so weit zurückreicht.
2. Schritt: Der Börsenstart
Vergangenen Freitag um Punkt 17.00 h Schweizer Ortszeit läutete eine virtuelle Glocke den Börsenstart an der modernsten Börse der Welt ein, der Nasdaq. Keine Hektik mehr, kein Handel «à la crié» wie früher, wo hektische Händler auf dem Parkett sich niederbrüllten. Aber es geschah erst einmal eine halbe Stunde gar nichts. Software-Panne, Problem, rote Köpfe vor Computerbildschirmen, eine Lachnummer. Aber immerhin: Diverse Händler, die auf unnütze Prognosen vertrauten, sparten einen Haufen Geld, indem ihre Kauforders zu Kursen von 45 oder 50 Dollar gar nicht ausgeführt wurden. Als der Handel dann endlich in die Gänge kam, dümpelte die Aktie um den Ausgabekurs herum. Und der musste erst noch massiv gestützt werden, damit die vorgekauften Aktienpakete nicht schon am ersten Tag Milliarden an Wert verloren. Mit lockerer Hand wurde das Grundgesetz aller Grundgesetze über Bord geworfen: Man kann und soll nicht gegen den Markt spekulieren.
3. Schritt: Die Fortsetzung
Das Wochenende machte dem Trauerspiel ein vorläufiges Ende: Börse zu. In diesen rund 60 Stunden bis zum Neustart am Montag wurden sicherlich nochmals die Computer zur Weissglut getrieben, um die mögliche Weiterentwicklung zu antizipieren. Am Montagmorgen sanken dann Heerscharen von Analysten mit rotgeränderten Augen ins Bett, während die Buchhaltungen ihrer Finanzhäuser Überstunden einlegten, um satte Honorarrechnungen zu schreiben. Am gestrigen Handelstag ging dann das Trauerspiel weiter. Mit 34 Dollar, einem satten Minus von 30 Prozent zum Höchstkurs, ging die Facebook-Aktie von der Börse. Inzwischen haben sich auch die Analysten wieder gefangen und betreiben ein Spiel, das sie beherrschen: Im Nachhinein weiss man es immer besser. «Gehypt», «unklares Geschäftsmodell», «viel zu hoher Einstiegskurs», «wir wollen die Parketthändler zurück», und am schönsten: «Das musste ja so kommen.» Immerhin, diese Prognosen stimmen. Kleiner Schönheitsfehler: Sie richten sich in die Vergangenheit.
4. Zwischenschritt: Eine Frage
Kleine Zwischenfrage: Wenn man schon das grösste soziale Netzwerk aller Zeiten betreibt, wieso hat man dann nicht genau das benutzt, um in Form einer Auktion einen sinnvollen Ausgabepreis der Aktie festzulegen? Einzig denkbare Antwort: Weil so J.P.Morgan und weitere 32 Banken als Konsortialführer nicht Millionen am Bookbuilding, also an der Preisfestlegung, verdient hätten. In der Hoffnung, spielerisch nochmals Multimillionen zu verdienen, wenn der Kurs am Anfang deutlich gestiegen wäre. Denn hinter all dem damit verbundenen wissenschaftlichen Voodoo steht ja nur eine Absicht: spielend einfach und ohne grosse Leistung möglichst viel Kohle abzuzocken. Das wird zwar von den Banken entrüstet abgestritten, ist aber die einfache und klare Wahrheit hinter solchen Spielchen.
5. Schritt: Die Zukunft
Heisst das nun, dass spielerisch veranlagte Leser von Journal21 hübsch Kohle verdienen können, indem sie auf einen weiter fallenden Kurs der Facebook-Aktie wetten? Nun, bevor sie das tun, sollten sie die einzig ewig gültige Börsenregel beherzigen: Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert der Kurs – oder bleibt, wie er ist. Ergänzt wird dieses ohne Ausnahme gültige Gesetz noch durch eine zweite ewige Wahrheit. Unabhängig davon, ob diese Aktie im Verlauf dieser Woche auf 20 Dollar abschmiert oder auf 60 Dollar steigt, ob sogar der Handel eingestellt wird oder das Unternehmen Facebook wertvoller wird als alle anderen US-Firmen zusammen: Im Nachhinein werden alle Analysten im Chor sagen: Das musste ja so kommen.