Auf dem Nein-Plakat zur eidgenössischen Abstimmung vom 19. Mai über die EU-Waffenrichtlinie ist Folgendes zu lesen: «Stopp dem Entwaffnungsdiktat der EU». Dieses sei «unrecht, freiheitsfeindlich, nutzlos, gefährlich, antischweizerisch». Hier haben wir es mit einer geballten Ladung sogenannter Totschlagargumente zu tun.
Totschlagargumente sind gemäss Definition in Wikipedia «inhaltlich nahezu leere Argumente, blosse Behauptungen oder Vorurteile», von denen der Sprecher annehme, dass die Mehrheit seines Umfeldes mit seiner Bewertung übereinstimme. Oder dass dieses Umfeld keinen Widerspruch wagt, weil es damit in der Öffentlichkeit auf Ablehnung stossen würde.
Verlogen und inhaltsleer
Auf den ersten Blick mag ja die Behauptung, bei der EU-Waffenrichtlinie, die die Schweiz übernehmen soll, handle es sich um eine Art «Entwaffnungsdiktat», ein zwar zugespitztes, aber vielleicht nicht völlig unbegründetes Argument sein. Doch schon eine kurze Faktenprüfung macht klar: alles ist falsch und verlogen an dieser Behauptung. Erstens wird uns ja nichts diktiert, sondern wir werden vor eine Entscheidung gestellt und haben so die freie Wahl, ob wir die EU-Richtlinie übernehmen wollen oder nicht – also das Gegenteil von einem Diktat. Wenn wir sie nicht übernehmen, läuft die Schweiz allerdings das sehr reale Risiko, vom Informationssystem der Schengen-Verträge und dessen elektronischem Fahndungsverbund ausgeschlossen zu werden. Das wäre zweifellos eine grössere Belastung für unsere Grenzsicherheit als die Zustimmung zur EU-Waffenrichtlinie.
Zweitens ist die Unterstellung eine schlichte Lüge, dass das angebliche «EU-Entwaffnungsdiktat» den Schweizer Bürgern verbieten würde, privat eine halbautomatische Waffe zu besitzen. «Sturmgewehre können jedoch weiter direkt von der Armee übernommen werden. Das traditionelle Schweizer Schiesswesen kann unverändert fortbestehen“, heisst es in der Botschaft des Bundesrates zu der Abstimmungsvorlage. Lediglich halbautomatische Waffen mit grossen Magazinen, die nicht von der Armee übernommen werden, müssen künftig innerhalb einer bestimmten Frist kostenlos beim kantonalen Waffenbüro registriert werden.
Was an einer solchen, von einer Volksmehrheit mitgetragenen, vernunftgeleiteten Zustimmung «unrecht, freiheitsfeindlich, nutzlos, gefährlich und antischweizerisch» sein soll, entzieht sich jeder ehrlichen und rationalen Argumentation. Es handelt sich, wie gesagt, um sogenannte Totschlagargumente, die ins Feld geführt werden, um dem Stimmbürger zu suggerieren, er verhalte sich «unschweizerisch», wenn er der Waffenrechtsrevision zustimmen sollte. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesen Suggestionen um inhaltslose Schlagworte.
«Faschismusgefahr» als Propaganda-Alarmismus
Ähnliche sprachliche Verschwörungsmuster konnte man auch im Zusammenhang mit den jüngsten Präsidentschaftswahlen in der Ukraine beobachten. Russische Propagandasender wie RT und Sputnik oder Putin-Trolle und Verharmloser im Westen konzentrierten ihre Berichte über den überaus bewegten, pluralistischen und streckenweise wenig zivilisierten Wahlkampf mit Vorliebe auf die angeblich brandgefährlichen ultrarechten oder rundweg faschistischen Gruppierungen in diesem Land. Offenkundig sollte damit dem Publikum suggeriert werden, es bestehe eine echte Gefahr, dass solche Gruppierungen in der Ukraine demnächst an die Macht kommen könnten.
Schlagworte von einem möglichen «faschistischen» oder «ultrarechten» Erdrutsch in einem so grossen und politisch ungefestigten Land wie der Ukraine, das zudem im Osten des Landes mit einer kriegerischen Einmischung Moskaus konfrontiert ist, sind durchaus geeignet, bei einer nur oberflächlich informierten Öffentlichkeit sowohl in Russland als auch im Westen Beunruhigung hervorzurufen.
In Wirklichkeit hat das Ergebnis der ukrainischen Präsidentenwahl solche Beschwörungen einer akuten und von den meisten westlichen Medien angeblich unterschlagenen «Faschismusgefahr» in keiner Weise bestätigt. Wie sonst hätten 73 Prozent der Wähler mit Wolodimir Selenski ausgerechnet einen Kandidaten jüdischer Herkunft zum haushohen Wahlsieg verhelfen können?
Grosse Begriffe – wenig Substanz
Damit soll nicht behauptet werden, dass in der Ukraine – ebenso wie in zahlreichen andern Ländern Europas, Russland inklusive – nicht Kräfte und Strömungen existieren, die mit rechtsnationalem bis faschistischem Gedankengut (auch in diesem Bereich gibt es zahlreiche Schattierungen) sympathisieren. Doch wenn solche Tendenzen mit Absicht alarmistisch überhöht werden, handelt es sich um blosse Schlagwort-Propaganda.
Ideologisch stark aufgeladene und weitmaschige Begriffe wie Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus, Sozialismus oder Neoliberalismus lassen sich von entschlossenen Propagandisten leicht zu Totschlagargumenten missbrauchen, weil – je nach Publikum – vermeintlich allen Angesprochenen klar ist, dass es sich bei diesen Begriffen entweder um katastrophale Irrlehren oder grossartige Fortschrittssysteme handelt. Wer als Autor, Redner oder Prediger nicht erklärt, welche konkreten Fakten mit diesen Begriffen gemeint sind, instrumentalisiert sie als billige Heils- oder Totschlagbegriffe.