Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, diese Lilliput-Perle hier als eine Art Primeur anzeigen zu können. Denn seit weit zurückliegenden Schülerzeiten weiss ich, dass Langenscheidts Lilliput-Wörterbücher zwar geschätzt, aber kaum in der Presse besprochen werden. Doch nun hat mir der Freund und Kollege Manfred Papst einen Strich durch die schöne Exklusiv-Rechnung gemacht. Er hat das frisch publizierte Kleinod bereits erspäht und es flugs zum Sujet seiner legendären „Zugabe“-Kolumne in der „NZZ am Sonntag“ verarbeitet.
Das hält mich allerdings nicht davon ab, das „kleine Wunderwerk“ (Papst) nun auch in den Spalten des „Journal 21“ zu feiern und zu empfehlen. Dafür besteht umso mehr Grund, als die Autorin des handlichen neuen Schweizerdeutsch-Kompendiums, Verena Stauffacher, zur Mitarbeiterin unserer Internet-Publikation zählt.
Genau genommen handelt es sich bei diesem Büchlein um ein Zürichdeutsch-Wörterbuch, denn wie die Autorin im Vorwort klarstellt und jeder Kenner helvetischer Verhältnisse weiss, gibt es gar kein einheitliches Schweizerdeutsch. Hinter diesem Oberbegriff steht in Wirklichkeit eine Fülle von alemannischen Dialekten. Dass der Verlag das Wörterbuch dennoch unter dem Titel „Schweizerdeutsch“ publiziert, entspringt zweifellos marktstrategischem Kalkül. Wie die Autorin aber richtig argumentiert, werden die von ihr zusammengestellten zürichdeutschen Wörter und Wendungen „auch in der übrigen Deutschschweiz gut verstanden“ (siehe „Zürischnure“, S. 301).
Jetzt aber genug der fachlinguistischen Erörterungen. Züritütsch heisst das bündig: „Chasch das abchläme“. Ein anderes kräftiges Verb unter dem Buchstaben A lautet: „abhocke“ (sich setzen). Für sehr wichtig halte ich in diesem A-Bereich auch das Substantiv „Anke“ für Butter – diese dialektale Echtheit scheint selbst unter waschechten Zürchern mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten.
Im Bereich des Buchstabens B sind mir beim Durchblättern neben vielen andern Beispielen die Ausdrücke „bittibätti mache“ (inständig bitten, betteln), „bireweich“ (saudumm), „Bäne“ (Schubkarre) und „Blööterliwasser“ (kohlensäurehaltiges Mineralwasser) aufgefallen. Mit „Blööterli“ (Blasen, Sprudel) wortmässig verbunden: „Du chasch mer blööterle“. Letzteres ist die mildere Variante eines erheblich schärferen, von Goethe in seinem „Götz von Berlichingen“ berühmt gemachten Kraftwortes, das – dialektal angepasst – natürlich auch im Schweizerdeutschen nicht fehlt. Verena Stauffacher erläutert dazu in einer beigefügten Glosse die verschiedenen Stufen von Gemütsregungen, die sich mit dem zürichdeutschen Verb „läck“ zum Ausdruck bringen lassen, zum Beispiel „läck mer am Tschööpli“.
Überhaupt gehören die in dem Lilliput-Büchlein eingestreuten Glossen zu bestimmten Wörtern und Wortverbindung zu den schönsten Fundstellen in diesem Kompendium. Nehmen wir die Erläuterungen zum Substantiv „Tirggel“. Dieser sei eine ur-zürcherische Adventsspezialität, hergestellt aus Honig, Mehl, Puderzucker und Gewürzen. Der Ausdruck „er hät ein Tirggel“ hat aber nicht unbedingt mit diesem süssen Gebäck zu tun, aber sicher mit Alkohol.
Vergnüglich und lehrreich sind auch die Erklärungen zum sehr zürcherischen und variantenreichen Schimpfwort „gopf“, Kurzform des krassen „gopfertami“. Für diesen harten Mundart-Fluch gibt es sprachlich etwas weniger anstössige Versionen, die aber im Kern alle das Gleiche meinen und die von der Autorin kundig aufgezählt werden: gopferchlämi, gopferteckel, gopferteli, gopfertoori, gopfridli, gopfridschtutz.
Wer über alle diese Nuancen Bescheid weiss oder sie zumindest versteht, darf ruhig behaupten, er verfüge über vertiefte Kenntnisse zumindest des Zürichdeutschen.