Die zehnjährige Geschichte des zürcherisch-schweizerischen Kampfs mit Deutschland und der EU um die Flugrechte und –beschränkungen rund um den nationalen Flughafen Kloten ist eine blamable Geschichte von helvetischen Irrtümern, Fehleinschätzungen, Engstirnigkeiten und Zwängereien. Da liegt 2003 ein Vertrag vor, von dem heute ein Schweizer Volksvertreter anerkennenswert zugibt, er hätte ihm damals zustimmen sollen, anstatt ihn wie die Mehrheit abzulehnen, denn er wäre besser gewesen als der Staatsvertrag, den der Ständerat diesen Donnerstag, 7.März 2013, mit 43:2 Stimmen zähneknirschend akzeptiert hat, weil er ein schlechtes, aber das beste noch erreichbare Resultat ist.
Bundesrat folgt der SVP-Forderung
Warum bekommt die Schweiz heute einen schlechteren Vertrag als den ihr 2003 offerierten, oder vielleicht wegen deutscher Nachverhandlungs-Forderungen einen noch schlechteren? Ich kann es nicht anders nennen als die Frucht einer Schweizer Stieregrind-Mentalität. Die SVP-Politiker hatten mit dem Argument der „fremden Richter“ gegen den EWR und die bilateralen Abkommen gekämpft, und zwei Wochen nach dem Inkrafttreten der letzteren fordern sie im Parlament empört, der Bundesrat müsse sich an die EU-Richter wenden, um eine Nichtigerklärung der deutschen Einschränkungen des Klotener Flugverkehrs zu erlangen.
Der Bundesrat folgt den SVP-Leute 2003 und klagt. Zehn Jahre später weist der EU-Gerichtshof („EuGH“) in letzter Instanz die Klage ab. Die Volksvertreter der badischen Landkreise um Waldshut wittern jetzt darin schon die Chance, ihre Regierung in Berlin den vorliegenden Vertrag wieder aufzuschnüren zu lassen und von der Schweiz noch drakonischere Einschränkungen zu verlangen.
Für ein Nichtmitglied von EU und EWR gelten nicht die gleichen Bestimmungen
Ein kapitales Fiasko der schweizerischen Politik in dieser Frage. Man appelliert an fremde Richter. Man analysiert die EU-Rechts- und Vertragstexte. Man interpretiert sie zu eigenen Gunsten, falsch, wie sich heute zeigt. Man appelliert 2010 nach dem erstinstanzlichen Urteil an die höhere Instanz, um es zu korrigieren. Man weiss, dass diese nicht dessen Inhalt sondern nur allfällige Formfehler korrigieren kann. Man verlängert mit diesem Appell an juristische Formalitäten den EU-Urteilsspruch ins Jahr 2013 hinein, ein Jahr vor deutschen Wahlen, in denen jede Partei in Versuchung kommen kann, die badischen Wähler durch eine Verhärtung der Linie im Flughafenstreit auf ihre Seite zu ziehen.
Worauf stützte sich die Hoffnung der Schweiz, Recht zu bekommen? Auf das Luftverkehrsabkommen mit der EU, eines der im Juni 2000 in Kraft getretenen ersten bilateralen Abkommen. Gemäss dem zuverlässigen NZZ-Bericht aus Brüssel war ein Hauptargument, dieses Abkommen gewähre die Dienstleistungsfreiheit, also das Recht Klotens auf freien Flugverkehr unabhängig von deutsch-lokalen Einschränkungen. Die EU-Richter bemerkten aber den kleinen Unterschied, dass diese Freiheit in der Tat im EWR und in der EU vorgeschrieben sei, aber nicht ausdrücklich im bilateralen Abkommen mit der Schweiz. Die Schweiz dürfe nicht annehmen, die in der EU und dem EWR gängigen Wirtschaftsfreiheiten gälten automatisch auch für sie, ein Nichtmitgliedland von EWR und EG.
EU-Richter zerzausen das Schweizer Argument
Es ist vielleicht noch verständlich, dass der Bundesrat 2003 seinen Rechtsexperten folgte, die ihn ermunterten, diesen noch nie rechtlich getesteten Unterschied einmal zu testen. Das Resultat scheint aber zu zeigen, dass hier eine nicht nur politische, sondern generelle schweizerische Überheblichkeit gegenüber der EU eine verhängnisvolle Rolle spielte. Auch heute noch ist die überwältigende Schweizer Mehrheit der Meinung, wir hätten ein Recht auf die Segnungen des Binnenmarktes der EU, obwohl wir weder EU-Mitglied sind noch je etwas zu seiner Verwirklichung taten und überdies den Beitritt zum EWR ablehnten, in welchem die EU den Nichtmitgliedländern diese Segnungen gratis offeriert.
Die Luxemburger EU-Richter haben das von der Schweiz vorgebrachte Rechtsargument zerzaust, die EU habe das in ihrem Binnenmarkt und in dem von uns abgelehnten EWR verankerte Dienstleistungsrecht auch der Schweiz zuzugestehen, obwohl es in ihrem bilateralen Abkommen nicht erwähnt werde. Die Schweizer Argumentation verrät die auch nach unseren eigenen Werturteilen unbegreifliche Anmassung, von den Regeln einer Organisation zu profitieren, der wir nicht angehören wollen.
Mangelhafte Chancen-Beurteilung
Der Zürcher Kommentator der NZZ treibt diese anmassende Haltung noch weiter bis in die Missachtung elementarster Rechtsstaat-Prinzipien. Er wirft „der EU“ pauschal vor, sie wolle den Luftverkehr rationalisieren und ökologisieren, verhindere aber die Einbeziehung der Schweiz in diese vernünftige Strategie. Er übersieht, dass die EU-Richter nicht Politik treiben, sondern EU-Recht auslegen. Nach seiner Meinung hätten die EU-Richter entgegen allen Regeln der Gewaltenteilung in ihrem Kloten-Urteil der generellen Luftverkehrspolitik der EU anstatt dem EU-Recht folgen müssen. Sie hätten einem Staat, der sich störrisch der Mitgliedschaft verweigert, die gleichen Regeln zubilligen müssen wie den Mitgliedern.
All das soll nicht heissen, dass sich das Nicht-EU- und EWR-Mitglied Schweiz der EU willenlos unterwerfen soll. Auch als Pro-Europäer akzeptiere ich, dass unser Volk die EU-Mitgliedschaft massiv und den EWR mit einer knappen Mehrheit von 50,3 Prozent verworfen hat. Auch als Land, das mit der EU nur durch bilateral-sektorielle Abkommen verbunden ist, darf und soll die Schweiz ihre Interessen überzeugt verteidigen. Mir scheint nur, in der zehnjährigen Klotener Episode habe schweizerische Zwängerei und Anti-EU-Dickköpfigkeit der gelassenen Chancenanalyse und vernünftigem Politisieren sogar auf politischer Ebene keine Chance gelassen.